Standort U-Bahn-Station

Apotheker trotzt Krise mit Fahrradkurier APOTHEKE ADHOC, 25.05.2020 15:12 Uhr

Gut durch die Krise: Inhaber Frank Füßl profitiert in der Coronakrise nicht nur von seinem großen Stammkundenbestand, sondern auch davon, sich offen für neue Konzepte zu zeigen. Foto: Apotheke an der Münchener Freiheit
Berlin - 

Ein diversifiziertes Geschäftsmodell macht krisenfest. Diese einfache Weisheit spüren derzeit auch manche Apotheken im Land: Wer nur von der Laufkundschaft lebt, für den können die vergangenen Monate dramatisch gewesen sein. Das konnte auch Inhaber Frank Füßl beobachten: Seine Apotheke zur Münchener Freiheit liegt in der gleichnamigen U-Bahn-Station und hat mit Beginn der Coronakrise den Großteil ihrer Laufkundschaft eingebüßt. Glücklicherweise setzt Füßl schon länger darauf, seine Kunden auch anders zu erreichen – zum Beispiel mit dem Fahrrad.

Eigentlich ist Schwabing ein Premiumstandort für eine Apotheke. „Wir haben hier eine der höchsten Arztdichten Europas“, erklärt Füßl. „Aber das bringt nicht viel, wenn sich die meisten Fachärzte verabschieden.“ Vor allem im März und April habe er gespürt, dass viele Patienten fehlten, die auch aus anderen Gegenden Münchens nach Schwabingen zum Arzt kommen. Doch das war bei weitem nicht die größte Kundengruppe, die wegbrach. Denn Füßls Hauptapotheke liegt in der U-Bahn-Station Münchner Freiheit und lebte zu einem beträchtlichen Teil von der enormen Laufkundschaft, die so eine Innenstadtstation bietet.

Ab Ende März ging es steil bergab: Nach der Verkündung der Ausgangsbeschränkungen in Bayern brachen die Fahrgastzahlen der Münchner S- und U-Bahn um bis zu 90 Prozent ein. „Man merkt deutlich die fehlende Frequenz, normalerweise laufen hier täglich mehrere zehntausend Menschen vorbei. Von Anfang April bis Ostern wurde es aber sukzessive weniger“, berichtet Füßl. Über 30 Prozent betrug der Umsatzeinbruch seiner Hauptapotheke in der Spitze – wäre aber wahrscheinlich noch spürbar schlimmer ausgefallen, wenn Füßl sich nicht früh und entsprechend auf die neue Situation hätte einstellen können.

„Gott sei Dank haben wir die Kundenkartendaten von knapp 8000 Patienten und sind für viele Schwabinger die erste Anlaufstation in Gesundheitsfragen“, sagt er. Das große Verzeichnis ist eine der Stützen, die ihm bisher durch die Krisenzeit helfen. „Durch die hohe Zahl unserer Stammkunden konnten wir viel abfedern, nicht zuletzt, weil es uns gelungen ist, auch Kunden zu halten, die bereits aus Schwabingen weggezogen sind.“ Voraussetzung dafür war aber, gut aufgestellt zu sein. Denn nicht nur die Zahl, sondern auch das Kaufverhalten der Kunden hat sich durch die Krise verändert, sagt Füßl. „Die Kunden haben gelernt, mehr Online-Services zu nutzen. Deshalb hoffen wir, dass wir mit unserem Konzept die Kundenkartendaten da gut einbinden können.“

Das veränderte Kundenverhalten spiegelt sich direkt in Füßls Büchern wider. „Wir hatten eine enorme Zunahme an Vorbestellungen und Versandhandelsbestellungen“, erklärt der Apotheker. Seine Filiale, die St.Ursula-Apotheke, hat nämlich eine Versandhandelserlaubnis und liegt nur 50 Meter von der Hauptapotheke entfernt, dafür oberirdisch. Zusammen mit der Apotheke am Josephsplatz bilden sie Füßls kleinen Verbund unter der Dachmarke „Gesundes Schwabing“ – das half ihm, die in der U-Bahn-Station ausfallende Kundschaft auch anderweitig zu erreichen. Durch die über viele Jahre aufgebaute Datei konnte die Apotheke viele Kunden bei sich halten und ihnen neue Angebote machen: „Wir bieten den großen Versendern hier in Schwabing erfolgreich Paroli“, sagt er. Habe er vor der Krise rund 30 Pakete am Tag versendet, seien es zu Hochzeiten an die 150 gewesen – „zu normalen Konditionen“, wie er betont. „Das konnte die Verluste nicht ganz wettmachen, aber hat dazu beigetragen, durch die Krise zu kommen.“

Wichtiger noch als der Postversand ist jedoch die Belieferung der Kunden über den Botendienst, den Füßl parallel ebenfalls ausgebaut hat – nicht jedoch aus eigenen Ressourcen. „Unser Fahrer hat Vorerkrankungen und ist deshalb zu Beginn der Pandemie zuhause geblieben“, erzählt er. „Als wir uns dann Gedanken gemacht haben, wie wir unseren Botendienst ausbauen können, dachte ich deshalb an Lamiloo.“ Das Münchner Start-up bietet Apotheken Botendienst per Fahrradkurier und befindet sich derzeit noch in der Erprobung, war Füßl aber bereits bekannt. „Wir waren vergangenes Jahr bereits bei denen in ein Pilotprojekt eingebunden und haben da gute Erfahrungen gemacht. Also haben wir uns an Lamiloo gewandt und gefragt, ob wir ein gemeinsames Konzept auf die Beine stellen können.“

Das gelang innerhalb von nicht einmal zwei Wochen. Und so werben Füßls drei Apotheken nun mit der Fahrradbelieferung: Wer bis 17 Uhr bestellt, bekommt seine Arzneimittel noch am selben Tag zwischen 18 und 21.30 Uhr zugestellt – unter Einhaltung aller rechtlichen Vorgaben, wie er betont. Innerhalb des Testbetriebs zahlt er dafür eine fixe Pauschale und im Falle einer höheren Zahl an Auslieferungen noch einen Aufschlag. Wie hoch beide Summen sind, könne er nicht verraten. Lamiloo wolle das Angebot schließlich in naher Zukunft in ganz München ausrollen und muss seine Preise dann gegebenenfalls noch anpassen.

Die Durchführung sei denkbar einfach: Lamiloo habe eine eigene Software zur Routenberechnung, in die die Apothekenmitarbeiter die Kundendaten einpflegen, und zu einem festen Abholtermin kommt der Kurier in die Apotheke, um die Ware zu holen. „Das Angebot wurde gerade in der Hochzeit der Krise sehr rege genutzt. Und das Kundenfeedback ist sehr positiv, viele sind sehr dankbar für den Service.“ Zeitgleich fährt das eigene Team Bestellungen von Großkunden aus. Denn deren Zahl ist dank vorausschauender betriebswirtschaftlicher Arbeit ebenfalls gestiegen. „Wir haben uns sehr früh Gedanken wegen des Einkaufs gemacht“, sagt er. „Bei Schutzausrüstung und Desinfektionsmitteln waren wir deshalb immer gut aufgestellt und es hat sich in Schwabing herumgesprochen, dass wir Ware haben.“ Dadurch habe er einige Arztpraxen und andere Einrichtungen hinzugewinnen können.

Als wäre es nicht genug, in der Situation den Betrieb zweier Apotheken zu stemmen, war Füßl zeitgleich noch mit einer Übernahme eingespannt: Seine dritte, die Apotheke am Josephsplatz, zählt nämlich erst seit dem ersten Mai zu seinem Verbund. Geplant war die Übernahme schon zum 16. März, doch die Pandemie durchkreuzte den Zeitplan. „Es gab da so einige Schockmomente, beispielsweise als ich ein polizeiliches Führungszeugnis einreichen musste – aber in den Behörden niemand zu erreichen war.“ Dank vielen Telefonaten und E-Mails kriegte er alles Nötige dennoch in den Griff. „Für mich und die Verkäuferin war die Verzögerung kein Problem und meinem Team gab es sogar die Möglichkeit, viele Sachen eher in Ruhe zu erledigen.“

Dass jetzt alles im Lot ist, wäre trotzdem eine Übertreibung. „Die Kundenzahlen sind bis heute rückläufig. Das sind täglich wechselnde und schwankende Gefühlslagen“, sagt Füßl. „Natürlich öffne ich die ADG-App mit den Kundenzahlen in letzter Zeit öfter, um nachzuschauen wie es läuft.“ Doch das Tal der Tränen scheint langsam durchschritten. Seit Restaurants und Kneipen wieder öffnen dürfen, steige auch die Menge der Laufkundschaft stetig wieder an. „Es tut uns auch gut, dass die Straßen wieder voller werden.“ Mit einem Vorkrisenniveau beim öffentlichen Nahverkehr rechnet er dennoch nicht allzu bald. „Ich denke das wird die Apotheke noch eine Weile treffen, denn viele Menschen überlegen immer noch, ob sie wirklich den ÖPNV nehmen und viele Unternehmen sind weiter im Homeoffice oder in Kurzarbeit. Es hat sich deshalb bei uns bewährt, dass wir mit dem Versandhandel breit aufgestellt sind und uns schnell auf neue Konzepte einstellen können.“