Kommentar

Formfehler sind Pflicht Julia Pradel, 03.04.2014 09:48 Uhr

Ein Rezept für alles: Laut LSG Baden-Württemberg müssen Apotheker unter Umständen Verordnungen beliefern, auch wenn kein Wirkstoff aufgeführt ist. Foto: APOTHEKE ADHOC
Berlin - 

Der kleinste Formfehler kann teuer werden – das wissen Apotheker seit dem Streit um BtM-Rezepte. „Gemäß“ statt „laut“, „Anordnung“ statt „Anweisung“: Wenn es um Geld geht, können Krankenkassen richtig pingelig sein. Oder ganz besonders freimütig: Um ihre Impfstoffverträge durchzusetzen, fordert die AOK die Apotheker in Baden-Württemberg auf, ungültige Rezepte zu beliefern. Jetzt haben Richter der Kasse einen Freibrief erteilt.

Im Ländle sollen die Apotheker Impfstoffe aufgrund sogenannter „produktneutraler“ Verordnungen abgeben. Auf dem Rezept steht nicht – wie vorgeschrieben – der Name eines Fertigarzneimittels oder der Wirkstoff, sondern beispielsweise „Impfstoff gegen Diphterie“. Ob der Apotheker dann den Vierfach- oder den Fünffachimpfstoff abgibt, bleibt ihm überlassen.

Damit muss der Apotheker eine Entscheidung treffen, die nicht in seinen Verantwortungsbereich fällt – und für diese Entscheidung im Zweifelsfall auch haften. Dass er damit gegen AMG und AMVV verstößt, ist für die AOK Nebensache.

Obwohl die Rechtslage eindeutig ist, folgte das Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) jetzt im Eilverfahren der Argumentation der Kasse: Ein Rezept ohne ausreichende konkrete Verordnung kann damit zulässig sein, wenn sich in Verbindung mit dem jeweiligen Rabattvertrag ein Präparat eindeutig zuordnen lässt. Dass das Poster der AOK, dass die Apotheker als Grundlage nehmen sollen, keinen verbindlichen Charakter hat, ist ebenfalls einerlei.

Denkt man in dieser Logik weiter, könnte es künftig auch Rabattverträge zu Indikationen geben – und entsprechend Rezepte über „Hustenmittel“ oder „Betablocker“. Oder, treibt man die Argumentation auf die Spitze, auch leere Rezepte: Bei Zweifeln könne und müsse der Apotheker schließlich beim Arzt nachfragen, so die Richter.

Die Argumente der Apotheker prallten beim LSG ab: Die betroffene Apothekerin konnte nur eine Retaxation von 311 Euro vorweisen – „minimal“, fanden die Richter. Eine „Retaxationswelle“ wollten sie ebenfalls nicht erkennen: Sofern auch andere Apotheker betroffen seien, sei dies für den Einzelfall unerheblich. Was man nicht sehen will, sieht man nicht.

Den Einwand, dass sich Apotheker strafbar machten, wenn sie unvollständige Verordnungen belieferten, fegten die Richter ebenfalls vom Tisch: Seit Einführung der Verträge sei ja kein Strafverfahren eingeleitet worden – auch nicht gegen die Apothekerin, die sich am Anfang ja an die Regeln der Kasse gehalten hatte.

Stattdessen manövriert das Gericht die Apotheker mit einer weiteren Empfehlung noch tiefer in den rechtlichen Graubereich: Wer ernsthaft arzneimittelrechtliche Bedenken gegen diese Art der Verordnung habe, könne ja die Abgabe ablehnen. Bei Rabattverträgen spielen offenbar nicht nur AMG und AMVV, sondern auch die ApBetrO keine Rolle.

Die Apotheker können also nur falsch handeln: Geben sie nicht rabattierte Impfstoffe ab, drohen ihnen Retaxationen. Verweigern sie die Abgabe, rufen sie die Aufsichtsbehörden auf den Plan. Und selbst wenn sie sich an die Regeln von AOK und LSG halten, wären sie nicht auf der sicheren Seite: Denn geht das Verfahren doch noch anders aus, hätten die Apotheker ungültige Rezepte beliefert. Und die Kasse könnte retaxieren.