Kein Notvorrat aus Krankenhausapotheke

15.000 Euro: Klinikambulanz muss Rezepte ausstellen Patrick Hollstein, 19.06.2022 08:01 Uhr

Klinikapotheken dürfen laut LSG Baden-Württemberg keine Notfallvorräte abgeben. Foto: Elke Hinkelbein
Berlin - 

Klinikapotheken dürfen nur Arzneimittel abgeben, die zur unmittelbaren Verwendung in der Einrichtung gedacht sind. Eine Verordnung als Notfallversorgung für unterwegs gehört nicht dazu, wie das Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) entschieden hat. Die Richter kippten mit der Argumentation einen Regress über knapp 15.000 Euro.

Rechtslage

Nach § 14 Abs. 7 Apothekengesetz (ApoG) dürfen Krankenhausapotheken nur Arzneimittel zur unmittelbaren Anwendung in Ambulanzen des Krankenhauses und an ermächtigte Krankenhausärzte abgeben. Außerdem darf Patient:innen, die nach einer stationären oder ambulanten Behandlung aus dem Krankenhaus entlassen werden, die zur Überbrückung von Wochenenden oder Feiertagen benötigte Menge Arzneimittel mitgegeben werden.

Streitfall

In einer Ambulanz, die zu einem Klinikum gehört und zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen ist, wurde einer Patientin zwischen Februar 2013 und Feburar 2014 das Arzneimittel Remodulin 2,5 mg/ml 20 ml Infusionslösung verordnet. Der Wirkstoff Treprostinil wird zur Behandlung von idiopathischen oder erblichen pulmonalen arteriellen Hypertonien (PAH) bei Patient:innen mit mittelschweren Symptomen eingesetzt. Das Medikament wird als Dauerinfusion subkutan mittels einer Pumpe verabreicht, die im konkreten Fall in der Ambulanz befüllt wurde. Das Medikament brachte die Versicherte mit, ihr war vorab ein Rezept ausgestellt worden, das sie in einer öffentlichen Apotheke eingelöst hatte.

Ihre Kasse fand dieses Vorgehen unwirtschaftlich: Das Arzneimittel hätte auf kostengünstigerem Weg über die Krankenhausapotheke bezogen werden müssen. Die Prüfungsstelle verweigerte jedoch den gewünschten Regress über zwei Teilbeträge von 5500 beziehungsweise 9000 Euro. Die Arzneimittelvereinbarung ermächtige die Krankenhausapotheke lediglich dazu, Arzneimittel zur unmittelbaren Anwendung in Ambulanzen des Krankenhauses abzugeben. Dies sei aber nicht vorgeschrieben: Die Vereinbarung enthalte explizit keine Pflicht zur Inanspruchnahme der Krankenhausapotheke durch den Versicherten, was ohnehin als unzulässiger Vertrag zulasten Dritter zu qualifizieren wäre. Es gelte nämlich auch im Fall von § 129a Sozialgesetzbuch (SGB V) – Vereinbarung zwischen Krankenhausträgern und Krankenkassen zu Abgabepreisen für Versorgung durch Klinikapotheken – der Grundsatz der freien Apothekenwahl.

Klage

Nach erfolgslosem Widerspruch klagte die Betriebskrankenkasse. Das Bundessozialgericht (BSG) habe im Zusammenhang mit Gerinnungsfaktoren entscheiden, dass Vertragsärzte das Wirtschaftlichkeitsgebot nicht nur bei der Verordnung eines Arzneimittels, sondern auch die Auswahl des kostengünstigsten Bezugsweges zu berücksichtigen hätten.

Das Sozialgericht Stuttgart (SG) sah die Sache wie die Kasse: Das Apothekenwahlrecht habe gegenüber dem Wirtschaftlichkeitsgebot nur dann Vorrang, wenn „berechtigte Interessen“ vorlägen und die Mehrkosten übernommen würden. Bei der Versorgung durch Krankenhausapotheken finde es überhaupt keine Anwendung, sondern nur bei öffentlichen Apotheken, für die der Rahmenvertrag Geltung habe. Die Ärzte wären daher bei der ambulanten Behandlung verpflichtet gewesen, den Bezug des Arzneimittels über die Krankenhausapotheke anzubieten. Zwar sei die Patientin nicht verpflichtet, dieses Angebot auch wahrzunehmen. Ohne den Hinweis handele die Ambulanz aber angesichts des „enormen Einsparpotenzials“ aber unwirtschaftlich.

Verteidigung

Die Ambulanz wies diese Sichtweise zurück: Die betroffenen Patienten seien darauf angewiesen, stets eine ausreichende Nachfüllmenge Remodulin parat zu haben, um das Pumpendepot rechtzeitig vor Erschöpfung nach 20 bis 30 Tagen wieder damit durch den Arzt, den Pflegedienst oder im Krankenhaus auffüllen zu können. Die Versicherte habe deshalb stets ein Rezept erhalten, um sich Remodulin und die Befüllsets in der Apotheke ihrer Wahl beschaffen zu können. Dagegen wäre es medizinisch nicht vertretbar, die Pumpe ausschließlich mit aus der Krankenhausapotheke bezogenem Remodulin zu befüllen – insbesondere wenn der Patientin dadurch ein weiter Anfahrtweg zugemutet werden müsse. Im Übrigen sei es lebensfremd anzunehmen, die Ärzte eines Krankenhauses wüssten, ob der Bezug über eine Krankenhausapotheke kostengünstiger sei.

Entscheidung

Das LSG kassierte die Entscheidung der Vorinstanz: Da Klinikapotheken von der ambulanten Versorgung ausgeschlossen seien, habe gar keine Möglichkeit bestanden, das Präparat „in rechtlich zulässiger Weise“ über die Krankenhausapotheke zu beziehen. „Die Krankenhausapotheke durfte das Arzneimittel weder an die Ambulanz [...] ausgeben noch an die Versicherte abgeben.“

Das Arzneimittel sei verordnet worden, weil „die Versicherte dieses zur Abwendung eines medizinischen Notfalls stets bei sich tragen musste“. Als Notfallreserve komme das Präparat aber nicht „unmittelbar“ im Krankenhaus zur Anwendung – damit liege kein zulässiger Ausnahmefall vor. Im Gegenteil: Die Patientin hätte die Verordnungen für das Notfallpräparat gar nicht in der Krankenhausapotheke einlösen können, da hier die freie Apothekenwahl gerade nicht gelte: „Die Krankenhausapotheke gehört damit nicht zu den Apotheken, unter denen Versicherte frei wählen können.“

Aus dem selben Grund wäre auch eine einmalige Abgabe als Notfallreserve zu Beginn des Behandlungszeitraums ausgeschlossen gewesen – aufgrund der langen Haltbarkeit von drei Jahren wäre rein theoretisch eine solche Bevorratung möglich. Aber: „Der Abgabeanlass ist begrenzt auf die Fälle einer notwendigen umgehenden Versorgung des Patienten mit Arzneimitteln in der Ambulanz. Führt der Versicherte das betreffende Arzneimittel bei sich, liegt keine Versorgungssituation im Sinne von § 14 Abs. 7 ApoG vor. Der Rückgriff auf die Krankenhausapotheke ist in einem solchen Fall apothekenrechtlich nicht zulässig.“