„Ärztemangel wird schlimmer“ Carolin Ciulli, 06.03.2022 09:44 Uhr
Trotz zahlreicher Gegenmaßnahmen setzt sich der drohende Mediziner-Mangel vor allem in ländlichen Regionen von Rheinland-Pfalz fort: „Die Landesregierung tut viel, kann aber nicht verhindern, dass der Ärztemangel schlimmer wird“, sagt der Präsident der Kassenärztlichen Vereinigung (KV), Peter Heinz. „Wir brauchen dringend 200 zusätzliche Studienplätze jährlich im Bereich Humanmedizin“, fordert der Gesundheitsfachmann der oppositionellen CDU-Fraktion, Christoph Gensch. Heinz will auch mehr Studienplätze, hält sie aber nicht für den Königsweg. „Es müssen Strukturen geschaffen werden, um mit den Ärzten, die da sind, die Bevölkerung zu versorgen.“
„Unsere alternde Gesellschaft und neue (Teilzeit-)Arbeitsmodelle führen dazu, dass wir noch mehr ausgebildete Mediziner brauchen“, sagt CDU-Politiker und Mediziner Gensch. Der Anteil der Ärzte und Psychotherapeuten in Rheinland-Pfalz, die 60 Jahre und älter sind, beträgt der KV zufolge rund 35 Prozent (Mitte 2021). Bei den Hausärzten sind es sogar 42 Prozent. Die Landesärztekammer begründet den Bedarf an „deutlich mehr Studienplätzen“ auch damit, dass es aufgrund von Teilzeitmodellen 1,8 bis 2 Ärzte brauche, um einen Niedergelassenen zu ersetzen.
Ausländische Ärzte lösen Problem nicht
„Das fortwährende Anwerben von Ärzten aus Nicht-EU-Staaten kann auch nicht die Lösung sein, zumal wir damit die medizinische Versorgung in diesen Ländern dauerhaft schwächen“, sagt der Geschäftsführer der Landesärztekammer, Jürgen Hoffart. Der Mangel an Studienplätzen werde auch „in nicht unerheblichen Maße durch private Initiative ausgeglichen“, denn mehrere Tausend studierten im Ausland auf Kosten ihrer Eltern Medizin.
Die Universitätsmedizin in Mainz sei inzwischen der drittgrößte Ausbildungsstandort für Humanmedizin in Deutschland, sagt der Sprecher des Gesundheitsministeriums, David Freichel. Auch nach Einschätzung der CDU ist das aber immer noch zu wenig: „Sachsen hat beispielsweise ebenfalls vier Millionen Einwohner, sorgt aber für gut 615 Medizinstudienplätze jährlich, Rheinland-Pfalz hat hingegen nur 450 Plätze, und das hat sich seit 30 Jahren nicht wesentlich verändert“, sagt Gensch. Er hoffe, dass die Landesregierung „ihre Blockadehaltung“ aufgebe, „gerade vor dem Hintergrund ihres ausgegebenen Ziels, weltweit führender Biotechnologiestandort zu werden“.
„Wir brauchen zwar neue Studienplätze, aber wenn jetzt die Studienplätze massiv hoch gefahren würden, gäbe es im nächsten Zyklus wieder eine Ärzte-Schwemme“, sagt KV-Chef Heinz. Die Mediziner stünden zudem erst in etwa 15 Jahren zur Verfügung. Auch die eher langfristig wirksame Landarztquote, die Studienplätze für die reserviert, die später auf dem Land arbeiten wollen, ist nach Einschätzung von Heinz nur ein Tropfen auf den heißen Stein, sie „verknechte“ gerade einmal 15 Ärzte. Und: „Das können wir mit Menschen, die 19 Jahre alt sind, nicht machen.“
Die Ampel-Landesregierung arbeitet auch in ihrer zweiten Wahlperiode mit dem neuen Gesundheitsminister Clemens Hoch (SPD) an ihren Masterplan mit der KV, der Landesärztekammer, dem Hausärzteverband, der Unimedizin Mainz und den kommunalen Spitzenverbänden, um die ambulante ärztliche Versorgung zu stärken. Die Förderung von Praxisneugründungen und -übernahmen sowie die Einrichtung von Zweigpraxen gehören dazu, wie Freichel berichtet. Die Anstellung von Ärzten in Medizinischen Versorgungszentren kann auch gefördert werden. Das Land finanziert außerdem Wiedereinstiegskurse für Mediziner, die längere Zeit nicht praktiziert haben. Zudem gibt es Stipendien für Studierende, die sich im Praktischen Jahr für einen Ausbildungsabschnitt im Fach Allgemeinmedizin entscheiden.
Gemeinsam mit der KV habe das Land auch eine Beratungsstelle für Kommunen eingerichtet, die sich für die Sicherstellung der ärztlichen Versorgung einsetzen wollen. Die KV betreibe darüber hinaus selbst Förderprogramme und bezuschusse bis zu zwei ambulante Praxis-Monate (Famulatur) während des Medizinstudiums. Die Landesärztekammer kümmere sich um den Quereinstieg. Inzwischen seien zudem 23 Weiterbildungsverbünde für Allgemeinmedizin in verschiedenen – überwiegend ländlichen – Regionen eingerichtet worden.
Problem Bedarfsplanung
Problematisch sind nach Auffassung von KV-Chef Heinz Regelungen aus den 1990er Jahren, mit denen damals eine Niederlassungswelle ausgelöst wurde. Diese zusätzlich ins System gekommenen Ärztinnen und Ärzten gingen jetzt in Rente. Dazu gehöre die Bedarfsplanung, die damals als „ein Staudamm vor der Ärzteschwemme“ eingerichtet worden sei. „Aber jetzt ist der Stausee völlig leer.“ Die Bedarfsplanung sei für die grundversorgenden Fächer wie die Allgemeinmediziner, Augen-, HNO-Ärzte, Gynäkologen und Urologen inzwischen überflüssig.
Dann müsse aber auch die Budgetierung aufgegeben werden. Haus- und Fachärzte müssten stattdessen wieder eins zu eins ihre Leistungen bezahlt bekommen. „Das würde es wieder attraktiver machen, auch auf dem Land“, ist Heinz überzeugt. „Wir schleppen die Bedarfsplanung und die Budgetierung mit, um Niederlassungen zu verhindern.“
Der Chef der KV sieht aber noch ein anderes Problem: „Es gibt immer noch zu viele Arzt-Kontakte.“ Als Beispiele für ein „Meditainment“ nennt er Massagen, „weil sie gut tun“, oder Kernspin-Untersuchungen vom Knie, „nur um zu schauen, was da los ist“, ohne die therapeutischen Konsequenzen wie eine Operation tragen zu wollen. „Es muss nicht jeder Gesunde beim Arzt aufschlagen, nur um erfahren, dass er gesund ist.“