Sachsen-Anhalt

Apotheke in der Sowjet-Kommandantur Eugenie Ankowitsch, 18.02.2017 09:58 Uhr

Berlin - 

Erst zwei Jahre arbeitete Katrin Ille in der DDR in einer Poliklinik-Apotheke. Dann kam die Wende und die Welt stand Kopf. Gemeinsam mit ihrem Vater gründete die Pharmazeutin eine Apotheke, und zwar in einem Haus mit einer bewegten Geschichte.

Seit 26 Jahren betreibt Katrin Ille die Neue Apotheke in Zerbst. Das Haus aus der Gründerzeit, in dem sich die Apotheke befindet, gehörten zu den schönsten Gebäuden in der Kleinstadt in Sachsen-Anhalt. Das war nicht immer so. Ende der 80er-Jahre befand sich das Gebäude in einem katastrophalen Zustand.

Das Dach des 1904 erbauten Hauses sei über Jahre offen gewesen, die Decken bis in den Keller durchgebrochen. „Das Haus war in einem ruinösen Zustand.“ Mit Schaudern erinnert sich die Apothekerin an die erste Begehung des Gebäudes kurz vor der Wende.

Ille arbeitete als frisch gebackene Pharmazeutin gemeinsam mit ihrem Vater in der Zerbster Poliklinik-Apotheke, als die Mauer fiel. Noch nichts ahnend von den umwälzenden Ereignissen des Herbstes 1989 sei es beschlossene Sache gewesen, dass die Poliklinik-Apotheke in das Haus an der Dessauer Straße ziehe, erinnert sie sich. Bevor das stark heruntergekommene Gebäude fertiggestellt werden konnte, kam allerdings die Wende.

„Es war eine spannende Zeit“, erinnert sich Ille. An Geld habe es direkt nach der Wende nicht gemangelt. „Die Banken sind uns förmlich hinterher gelaufen. Da wurden Summen angeboten, von denen ich nicht mal wusste, dass es sie tatsächlich gibt“, schmunzelt die Apothekerin. „Die Ereignisse haben uns alle vollkommen überrollt. Wir wussten nicht, wie uns geschieht.“

Gemeinsam mit ihrem Vater beschloss die Pharmazeutin aber sofort, die Apotheke zu übernehmen, auch wenn sie nicht wirklich wussten, worauf genau sie sich damit einlassen. „Mein Vater sagte damals: Entweder man springt rechtzeitig auf den Zug auf oder er ist abgefahren“, erzählt sie. Nur wenige Monate später zogen sie unter dem Namen Neue Apotheke in die grundsanierten Räumlichkeiten ein. „Wir haben uns erst mit der Zeit mit allen Vorschriften vertraut gemacht“, sagt die Apothekerin. „Zum Glück waren es damals noch nicht so viele wie heute“.

Damit wird die Neue Apotheke ein Teil der bewegten Geschichte des Hauses in der Dessauer Straße. In der Zeitung Volksstimme erzählten vor Kurzem viele Zerbster von ihren Erinnerungen, die mit diesem Gebäude verbunden sind. Bis Mai 1945 befand sich dort der Reichsnährstand, eine Abteilung des Landkreises Zerbst. Er war für die Ausgabe der Lebensmittelkarten und Bezugscheine zuständig.

Ein Zerbster berichtet, dass seine Mutter nach seiner Geburt am 31. Juli 1941 dort die Lebensmittelkarte abholen wollte. Da bereits Lebensmittel knapp waren, sollen die dortigen Mitarbeiter versucht haben, das Geburtsdatum auf 1. August 1941 zu verschieben, um die Lebensmittelkarte für Monat Juli einzusparen. Erst nach Vorlage eines Schreibens einer Hebamme habe sie die Lebensmittelkarte bekommen.

Nach 1945 war das Gebäude eine sowjetische Kommandantur. Bis Mitte der fünfziger Jahre soll das Gebäude durch einen hohen Bretterzaun abgeschottet gewesen sein. Mehrere Zeitzeugen berichten in der Lokalzeitung davon, dass Erwachsene die Dessauer Straße damals aus Angst vor Kontrollen durch die russischen Patrouillen eher gemieden haben.

Am Gebäude fanden – aus heutiger Sicht – skurrile Ereignisse statt: Als der sowjetische Kosmonaut Juri Gagarin am 12. April 1961 mit der Trägerrakete „Wostok 1“ zum ersten bemannten Weltraumflug aufbrach, marschierte in Zerbst eine Schülerdelegation zu der Kommandantur. Gemeinsam hätten sie dem Kommandeur nebst Gattin zu dem erfolgreichen Flug Gagarins gratuliert, erinnert sich ein Zeitzeuge. Worin der Verdienst des Kommandeurs am ersten Weltraumflug lag, ist allerdings nicht überliefert.

In den 60er-Jahren wurde die Kommandantur dann in die von der Roten Armee genutzten Wilhelminische Kaserne verlegt. Sowjetische Familien hätten aber noch lange in dem Gebäude gewohnt. Zuletzt stand das Haus leer und wurde nicht gepflegt. Erst nach einer aufwendigen Grundsanierung wird es seit der Wende von der Neuen Apotheke und mehreren Arztpraxen genutzt.

Schon lange haben die Zerbster keine Scheu mehr, in die Dessauer Straße zu kommen. Die Neue Apotheke ist längst ein fester Bestandteil der Infrastruktur geworden. Das liege auch daran, dass sie größten Wert auf eine ausführlich Beratung ihrer Kunden lege, sagt Ille. Die Apothekerin versucht sich von anderen Apotheken abzuheben, indem sie nicht nur Eigenmarken, sondern etliche Beratungsangebote, darunter eine Darmsprechstunde und eine Hautberatung, anbietet.

Aber auch die Neue Apotheke muss mit Problemen kämpfen, die viele Apotheken in ländlichen Gebieten haben, allem voran mit Personalnöten. Während die Apothekerin über eine ausreichende Anzahl von PTA verfügt, hat sie lange nach einem Approbierten gesucht, der sie entlastet. Etwa ein Jahr lang war Ille die einzige Apothekerin im Team der Neuen Apotheke. Umso mehr freut sie sich, dass ihre Suche am Ende doch noch erfolgreich war. Bereits nächste Woche fängt die neue Kollegin an.