Milliarden-Entlastung für Kassenmitglieder dpa, 06.06.2018 08:57 Uhr
Die mehr als 56 Millionen Mitglieder der gesetzlichen Krankenkassen können sich auf eine Milliarden-Entlastung zum kommenden Jahr einstellen. Das Kabinett brachte am Mittwoch einen Entwurf von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) auf den Weg, der ein zentrales Vorhaben der großen Koalition umsetzt. Damit sollen ab 1. Januar 2019 auch die jetzt von den Mitgliedern allein zu zahlenden Zusatzbeiträge zur Hälfte von den Arbeitgebern getragen werden. Arbeitnehmer und Rentner werden dadurch um 6,9 Milliarden Euro jährlich entlastet. Die Arbeitgeber protestierten scharf gegen zusätzliche Belastungen.
Spahn sprach von einem „guten Tag für die gesetzlich Krankenversicherten in Deutschland“. Die paritätische Finanzierung des Zusatzbeitrags bedeutet laut Ministerium, dass Arbeitnehmer und Rentner monatlich bis zu 38 Euro weniger Beiträge zahlen müssen. Bei einem Einkommen von 3000 Euro brutto sind es 15 Euro. Profitieren sollen auch Selbstständige mit geringen Einnahmen. Für sie soll der monatliche Mindestbeitrag auf 171 Euro halbiert werden. Dies ermögliche, bis zu 180 Euro weniger Beitrag zu zahlen. Insgesamt sollen die Beitragszahler durch das Paket mit einigen weiteren Maßnahmen um acht Milliarden Euro entlastet werden.
Das besonders eilbedürftige Gesetz kommt jetzt in den Bundestag. Zustimmungspflichtig im Bundesrat ist es nicht. Seit 2015 setzt sich der Krankenkassenbeitrag aus einem einheitlichen allgemeinen Satz und einem flexiblen Zusatzbeitrag zusammen. Der feste Satz liegt bei 14,6 Prozent und wird jeweils zur Hälfte von Arbeitgebern und Arbeitnehmern finanziert. Zusatzbeiträge, die Kassen für sich festlegen können, schultern die Mitglieder bisher allein. Sie liegen aktuell bei durchschnittlich 1,0 Prozent.
In den Koalitionsverhandlungen hatte die SPD darauf gedrungen, dass Arbeitgeber und -nehmer insgesamt wieder gleich herangezogen werden. Parteichefin Andrea Nahles sprach von einem Riesen-Entlastungspaket: „Halbe-halbe ist gerecht.“
Zulasten der Arbeitnehmer aufgeweicht worden war die traditionelle Parität schon vor 13 Jahren. Von 2005 bis 2014 mussten sie einen Sonderbeitrag von 0,9 Prozent zahlen – das sollte damals die Arbeitgeber entlasten. Angesichts der guten Finanzlage der Kassen gebe es nun Spielraum für Entlastungen der Beitragszahler, argumentiert die Regierung. Im Gesetz soll es daher künftig heißen: „Beschäftigte (...) und ihre Arbeitgeber tragen die nach dem Arbeitsentgelt zu bemessenden Beiträge jeweils zur Hälfte.“
Die Wirtschaft schlägt Alarm. Die Arbeitgeberverbände (BDA) sprachen von einem „Tiefschlag für Wettbewerb, Wachstum und Beschäftigung“. Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter kritisierte, es passe nicht zusammen, dass die Koalition über Vollbeschäftigung rede, nun aber „die größte Zusatzbelastung durch Lohnzusatzkosten in der deutschen Sozialgeschichte durchwinken will“. Das Handwerk betonte, die Arbeitgeber finanzierten mit der Lohnfortzahlung bei Krankheit schon jetzt einen höheren Anteil der Krankheitskosten von Arbeitnehmern.
Spahn nannte den mit der SPD gefundenen Kompromiss „vertretbar“. Wichtig sei eine Gesamtschau der Koalitionspläne, zu denen etwa auch eine Senkung des Arbeitslosenbeitrags gehöre. Die Linke im Bundestag sprach von „Stückwerk“, da Versicherte weiterhin etwa vier Milliarden Euro im Jahr an Zuzahlungen für Zahnersatz, Brillen und anderes aus eigener Tasche zahlen müssten.
Spahns Entwurf sieht außerdem vor, dass gesetzliche Kassen mit besonders großem Finanzpolster Reserven abbauen müssen. Er hat diese Pläne wegen Widerständen in SPD und Union aber abgeschwächt. So soll diese Verpflichtung erst ab dem 1. Januar 2020 greifen. Bedingung ist außerdem, dass bis dahin eine Reform des komplizierten Finanzausgleichs unter den Kassen geschafft ist. Dann wären ab 2020 Beitragssenkungen von bis zu 1,5 Milliarden Euro jährlich möglich. Spahn betonte, der Wettbewerb solle nicht mehr verzerrt werden, weil einige Kassen zu viele Reserven anhäufen.
Das Gesetz sieht unter anderem auch vor, dass frühere Zeitsoldaten leichter in die gesetzliche Krankenversicherung kommen können.