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Endlich fairer Wettbewerb Alexander Müller, 22.10.2016 08:00 Uhr

Berlin - 

Gleiches Recht für alle bedingt nicht zwangsläufig Gerechtigkeit. Deshalb gibt es Seniorenkarten, Steuersätze und Behindertenparkplätze. Von diesem Gedanken hat sich auch der EuGH leiten lassen, als er ausländischen Versandapotheken einen Vorsprung beim Wettlauf zugebilligt hat. In dieser Woche reicht ein einfacher Rückblick aus – die Satire steht schon in der Urteilsbegründung.

Spätestens seit der Generalanwalt die Weichen auf Sieg DocMorris gestellt hatte, hatten die Apotheker ein mulmiges Gefühl im EuGH-Verfahren. Prophylaktisch wurde eine Woche vorher beim Apothekertag eine Resolution verabschiedet, während DocMorris im Hintergrund schon an seiner neuen Boni-Website bastelte.

Insofern war die Überraschung am Ende nicht mehr so groß, dass der EuGH in der Preisbindung eine Hürde für den Binnenmarkt sieht und diese aus dem Weg räumt. Seitdem ist die Branche in Aufruhr. Die Hollandversender überbieten sich von Tag 1 an mit Rx-Rabatten. Sie freuen sich: Endlich dürfen sie einen Teil ihrer Marge verschenken, um Kunden von ihrem Geschäftsmodell zu überzeugen.

Die Apotheker waren kurz in Schockstarre. Denn bis zu 30 Euro Rabatt auf ein Rezept könnten die allermeisten von ihnen den Patienten gar nicht gewähren, selbst wenn sie es dürften. Dass sie aber nicht dürfen, haben sich Apothekerkammern -verbände schnell beeilt klarzustellen. Mahnend warnte die Standesvertretung vor einer Boni-Selbstzerfleischung. Ob das helfen wird, werden die nächsten Wochen zeigen.

Parallel nimmt die ABDA die Politik in die Pflicht und fordert nun offiziell ein Verbot des Rx-Versandhandels als Generalschlag gegen DocMorris. Dass Äußerungen der rheinland-pfälzischen Gesundheitsministerin Bätzing-Lichtenthäler (SPD) als Silberstreif durchgehen, zeigt, wie aussichtsreich dieses Unterfangen sein dürfte. Nur weil der EuGH Deutschland 2003 erlaubt hätte, den Rx-Versand nicht zu erlauben, heißt das im Umkehrschluss nicht, dass er ein Verbot jetzt erlauben würde. Wer daran glaubt, sollte die aktuellen Urteilsgründe noch einmal lesen.

DocMorris, die EAV und die anderen Grenzgänger werden die Schreibtischschubladen mit Sicherheit voll von Gutachten der renommiertesten Professoren haben, warum ein Rx-Versandverbot verfassungs-, europa und überhaupt rechtswidrig ist. Denn auf diesen Vorstoß haben sie sich mit Sicherheit vorbereitet.

Das unterscheidet die Profis aus Holland leider offenbar von der ABDA. Die trägt – man muss es leider sagen – eine Mitschuld an dem Ausgang des Verfahrens. Der Vertreter der Bundesregierung war von den ABDA-Juristen so schlecht vorbereitet in die mündliche Verhandlung geschickt worden, dass er einem fast leid tun konnte, als er von den Richtern gegrillt wurde. Dass der Vertreter der neoliberalen EU-Kommission kaum besser abschnitt, rettete die Sache der Apotheker leider nicht.

Jetzt will die ABDA „aus allen Rohren“ feuern, um den öffentlichen Druck auf die Politik zu erhöhen. Die Kampagne kam allerdings wieder mindestens einen Tag zu spät und macht nicht den Eindruck, in perfektionistischer Kleinarbeit über Wochen vorbereitet zu sein: Ein auf den zweiten Blick gut zu erkennender Karabiner mit der Botschaft „Sichern“. Dazu ein langer, umständlicher Text.

So wird es schwer werden, den Patienten zu erklären, warum sie auf die Rabatte wieder verzichten sollen. Denn diese Lesart hat sich in weiten Teilen der Medien durchgesetzt: Dass die Verbraucher profitieren werden von dem Urteil aus Luxemburg. Und diese apothekenkritische Öffentlichkeit wird immer eher geneigt sein, hinter der Kletterhaken-Bildwelt der ABDA die „Seilschaft“ zu sehen und nicht den Zusammenhalt.

Dabei ist es egal, ob die Kampagnenabteilung der ABDA das Bergtour-Motiv aus der Rede von Friedemann Schmidt aufgegriffen hat oder ob der Präsident – wiederum prophylaktisch in der Woche vor dem Urteil – den Teppich hierzu gelegt hat. Vielleicht sollten die Apotheker doch lieber wieder ihren Wahlkreisabgeordneten direkt erklären, wie vielen Apotheken das Aus droht, wenn der Wettbewerb gemäß den EuGH-Vorgaben „ausgeglichen“ wird. Immerhin macht Vitalsana schon gegenüber von Apotheken Werbung.

„Wenn sie kein Brot haben, sollen sie doch Kuchen essen“, soll Marie Antoinette über das französische Volk gesagt haben, bevor sich die Revolution ihrer entledigte. Das Zitat stammt eigentlich von Rousseau, weshalb das Ganze gemein ist. Aber es hätte so gut gepasst. Und als Formel und Synonym für eine abgehobene und gleichsam naive Herrscherklasse hat der Satz bis heute Bestand. ABDA-Präsident Friedemann Schmidt hätte also gewarnt sein können. Er ist zweifellos ein guter Redner und medienaffin. Aber vor laufender ARD-Kamera gingen wieder einmal seine Metapherpferdchen mit ihm durch, wenn diese Metapher erlaubt ist.

In der Tagesschau prognostizierte Schmidt, die EU-Versandapotheken würden sich nach dem EuGH-Urteil besondere Leistungen, Produkte und Patienten aussuchen und sich „sozusagen die Rosinen aus dem Kuchen“ picken. „Der bleibt dann für die Apotheken in Deutschland übrig, und daran werden viele sich verschlucken.“ Es ist müßig, immer wieder über Bilder oder Klempnervergleiche zu streiten. Aber man darf schon die Frage stellen, ob die zu befürchtenden Folgen für den deutschen Apothekenmarkt in diesem Kuchenbeispiel gut zusammengefasst sind. Sollen die Apotheker doch Brot essen, wenn sie sich am Kuchen verschlucken.

Das hat der EuGH übrigens wirklich so vorgeschlagen: Die Apotheker könnten doch mit besserer Beratung punkten oder aufs Land ziehen, wo es keinen Preiswettbewerb gibt. Internet offenbar auch nicht. Es macht wirklich kaum noch Spaß, solche Argumente mit Logik zu bekämpfen.

Doch an ihrem ganz persönlichen 10/16 erhielten die Apotheker Hilfe von völlig unerwarteter Seite angeboten. Professor Dr. Karl Lauterbach – der Gerd Glaeske der SPD – würde das Honorar zu umstricken, dass die eigentliche Leistung der Apotheker besser honoriert wird und die Packungsschubser aus den Niederlanden sich nicht länger mit Nichtstun die Taschen vollmachen.

Es wird eine politische Lösung geben müssen, denn juristisch gibt es nur noch wenige Karten zu spielen – und es sind keine besonders hohen Trümpfe mehr dabei. Ein verwegener Gedanke kommt vom Rechtsanwalt Dr. Morton Douglas: Er fordert die Krankenkassen auf, sich endlich einmal auf die Seite der Apotheker zu stellen und den Kollektivvertrag zu verteidigen – und sei es nur aus Eigeninteresse. Im Moment sieht es jedoch eher danach aus, als würden die Kassen nur darauf warten, zuzuschlagen und Selektivverträge zu schließen.

Es war nicht alles Luxemburg in dieser Woche. Im TV wurden Apotheken auf Erkältungsmittel getestet, natürlich mit Unterstützung von Professor Glaeske – dem Karl Lauterbach des NDR. Apothekenkooperationen wurden von N24 unter die Lupe genommen, allerdings ohne Glaeske.

Eine Einigung gab es zum Entlassmanagement: Klinikärzte dürfen jetzt bis zu sieben Tage Arzneimittel verordnen. Die Apotheker hoffen auf ordentlich ausgestellte Verordnungen, da die Rücksprache im Krankenhaus meist etwas schwerfälliger ist und die Nullretax droht. Auch das soll nicht verschwiegen werden: Die Rezeptprüffirma Syntela hat aus Kulanz auf einen von drei Defektbelegen verzichtet. Also, nicht den Mut verlieren und schönes Wochenende!