Großbritannien

„Pfizer sollte Apotheken nicht drohen“ Patrick Hollstein, 11.09.2015 11:47 Uhr

Berlin - 

Was nützt ein Patent, wenn es von niemandem beachtet wird? Pfizer wird im Kampf um den Alleinstellungsanspruch für sein Originalpräparat Lyrica (Pregabalin) zerrieben. In Großbritannien tadelte ein Gericht den Konzern jetzt dafür, dass er Ärzten und Apothekern zur Durchsetzung seiner Ansprüche rechtliche Schritte angedroht habe. Gleichzeitig droht Ärger wegen der Ankündigung, den Medizinern den Mehraufwand zu ersetzen.

Pregabalin ist als Zusatztherapie bei partiellen epileptischen Anfällen mit und ohne sekundäre Generalisierung sowie zur Behandlung von generalisierter Angststörung patentfrei. Die Anwendung zur Behandlung neuropathischer Schmerzen hat Pfizer allerdings noch exklusiv – zumindest auf dem Papier. In Arztpraxen und Apotheken spielt der feine Unterschied keine allzu große Rolle.

Pfizer kämpft daher an mehreren Fronten, auch vor Gericht. Streitig ist beispielsweise, ob Kassen Rabattverträge über den Wirkstoff ausschreiben dürfen, ohne auf die Indikation einzugehen. Generikaherstellern will der Konzern untersagen, solchen Vereinbarungen beizutreten. Außerdem sollen Ärzte bei der Verordnung auf die Indikation achten und Apotheken beim Austausch auf den Unterschied hingewiesen werden.

In Großbritannien hat der Konzern in dieser Woche eine Schlappe hinnehmen müssen. Der High Court in London hat entschieden, dass Actavis mit seinem Generikum Lecaent die Rechte des Originalanbieters nicht verletzt. Zwar wird auf der Packung darauf hingewiesen, dass das Präparat nur in zwei Indikationen zugelassen ist („Skinny Label“). Pfizer hatte aber argumentiert, dass der Konkurrent wissentlich in Kauf nehme, dass sein Präparat auch in der nicht zugelassenen Indikation abgegeben werde.

Der Vorsitzende Richter erlaubte sich einem Bericht der Nachrichtenagentur Bloomberg zufolge auch, Pfizer für sein Vorgehen gegenüber Ärzten und Apothekern zu tadeln. Der Konzern hatte in Briefen auf die Gültigkeit des Zusatzpatents in der Indikation bis 2017 hingewiesen und angekündigt, seine Interessen auch gerichtlich durchzusetzen.

Die Androhung rechtlicher Schritte sei unberechtigt und ohne Grundlage, heißt es im Urteil. Pfizer habe mit seinen Schreiben den Zweck verfolgt, das Bestell- und Abgabeverhalten der Apotheken zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Pfizer dementierte, Heilberufler eingeschüchtert zu haben. Man habe vielmehr in dieser komplexen und herausfordernden Situation versucht, seinen Standpunkt zu kommunizieren. Pfizer räumte laut Bericht aber ein, dass der Zeitpunkt ungünstig gewesen sei.

Der Konzern will gegen das Urteil in Berufung gehen. Immerhin entfallen laut Bloomberg vier von fünf Verordnungen auf die geschützte Indikation. In einem anderen Verfahren hatte der Hersteller zuvor noch Recht bekommen: Der staatliche Gesundheitsdienst NHS war per Gerichtsbeschluss verpflichtet worden, Ärzte und Apotheker auf die Patentsituation hinzuweisen.

Als der Widerstand der Mediziner zu groß wurde, hatte Pfizer sich öffentlich entschuldigt und erklärt, den eventuellen Mehraufwand zu vergüten. Dafür gab es jetzt Kritik aus den eigenen Reihen: Die Kontrollgremien des Pharmaverbands ABPI wollen laut Pharmaceutical Journal diese Offerte prüfen, da die Bezahlung von Ärzten nicht den eigenen Richtlinien entspreche.

Auch hierzulande wird derzeit darüber gestritten, wie Konkurrenten, Kassen und Heilberufler mit dem feinen Unterschied umzugehen haben. Als erster Software-Anbieter hatte Lauer-Fischer zum 1. August einen Warnhinweis zur beschränkten Austauschbarkeit in der Apotheken-EDV implementiert. Bei der CGM-Tochter geht man jedoch davon aus, dass das Problem zentral gelöst wird.

Das Nachsehen haben bis dahin im Zweifelsfall die Apotheker. In dieser Woche wurde bereits ein Fall bekannt, in dem ein Apotheker zwischen die Fronten geraten ist und wegen der Abgabe des Originals retaxiert wurde. Der Patent- und Arzneimittelmittelrechtsexperte Peter von Czettritz von der Münchener Kanzlei Preu Bohlig & Partner riet Apothekern, zuvorderst darauf zu achten, nicht gegen die sie direkt betreffenden Verpflichtungen zu verstoßen.

Pfizer hatte Lyrica 2004 in Deutschland auf den Markt gebracht, das zusätzliche Patent war zwei Jahre nach dem ursprünglichen erteilt worden und gilt damit bis Juli 2017. Laut Arzneiverordnungsreport stand das Antiepileptikum 2013 mit 2,4 Millionen Verordnungen im Wert von 281 Millionen Euro zu Apothekenverkaufspreisen auf Platz 26 der am häufigsten verordneten Medikamente. Die Autoren sehen bei dem Medikament auch das größte Einsparpotenzial: Konsequent ausgetauscht gegen das bereits generische Lamotrigin, könnten die Kosten um 83 Prozent gesenkt werden.

Weltweit macht Pfizer 4,6 Milliarden US-Dollar mit dem Medikament; nach dem Patentablauf von Sortis/Lipitor ist es das meistverkaufte Präparat des Konzerns. In den USA streitet der Hersteller seit 2009 mit Generikaanbietern über die Patentrechte.