Warnung vor Chaos in Praxen und Apotheken

Cannabis-Reregulierung: Plattformen laufen Sturm 16.07.2025 09:44 Uhr aktualisiert am 16.07.2025 11:23 Uhr

Berlin - 

Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) will den Wildwuchs bei Cannabis-Plattformen beenden: Rezepte, die ohne persönlichen Kontakt ausgestellt werden, sollen genauso verboten werden wie der Versandhandel von Blüten insgesamt. Die Betreiber fürchten um ihr Geschäftsmodell – und warnen vor Chaos in Arztpraxen und Apotheken.

Insbesondere in der Union hatte man die Cannabis-Legalisierung von Anfang an kritisch gesehen und durchblicken lassen, dass man hier noch einmal gegensteuern werde. Die Gesundheitsministerinnen und -minister der Länder hatten sich für ein Verbot von Plattformen ausgesprochen, über die Rezepte ausgestellt und Zubereitungen verschickt werden. Denn nicht nur, dass hier der übliche Weg im direkten Kontakt mit Arzt und Apotheker umgangen wird. Vielmehr sei von einem Einsatz zu Genusszwecken auszugehen, so der Tenor.

Jetzt soll diese Idee tatsächlich umgesetzt werden. Der Entwurf zur Änderung des Medizinalcannabisgesetzes (MedCanG) schließt eine ausschließliche Behandlung im Rahmen der Videosprechstunde aus; auch für Folgerezepte muss innerhalb der letzten vier Quartale ein persönlicher Kontakt in der Praxis oder bei einem Hausbesuch stattgefunden haben. Außerdem ist ein Versandhandelsverbot vorgesehen.

Die Branche läuft Sturm gegen den Entwurf von Gesundheitsministerin Warken, der angeblich noch nicht einmal mit der SPD abgestimmt ist. Denn die Plattformen, die sich in dem Bereich etabliert haben – darunter Grünhorn, Hø Herbery (Demecan), Bloomwell oder Telecan (Cantourage) – fürchten um ihr Geschäftsmodell und warnen vor Chaos. Aus ihrer Sicht können Arztpraxen und Apotheken gar nicht die Lücke füllen, die sie hinterlassen würden – weder was die Kapazitäten angeht, noch das Spezialwissen.

Abda: Richtiger Schritt gegen Plattformen

Die Abda sieht das anders: Man begrüße das Anliegen von Warken, die Cannabisverordnung durch Ärztinnen und Ärzte und die anschließende Abgabe durch Apothekerinnen und Apotheker sicherer zu machen. „Arzneimittel sind keine handelsüblichen Konsumgüter und gehören nicht auf rein kommerziell ausgerichtete Handelsplattformen“, so Abda-Präsident Thomas Preis.

„Wie im BMG-Entwurf richtig dargestellt ist, gibt es immer mehr Internet-Plattformen, auf denen Cannabis-Verordnungen nur nach dem Ausfüllen eines Fragebogens ausgestellt werden. Wir halten es für extrem bedenklich, dass solche Plattformen lediglich der ‚Beschaffung‘ von Verschreibungen dienen“, so Preis. „Die ärztliche Entscheidung einer Arzneimitteltherapie mutiert so zu einem reinen Bestellvorgang. Eine persönliche, pharmazeutisch fundierte Beratung zu Cannabisblüten sollte mit Blick auf das hohe Suchtrisiko und Auswirkungen auf die Gehirnentwicklung bei jungen Menschen durch die Apotheke vor Ort stattfinden.“

Beim Branchenprimus Grünhorn wendet man sich entschieden gegen die Pläne. Die telemedizinische Verordnung von Cannabis habe seit der Gesetzesänderung im April 2024 Hunderttausenden Menschen geholfen, die vorher ohne wirksame Therapie gewesen seien, so Geschäftsführer Stefan Fritsch. Viele Patienten seien auf diese digitalen Versorgungswege angewiesen, sei es aufgrund eingeschränkter Mobilität, dem Ärztemangel in ländlichen Gebieten oder der Komplexität ihrer Erkrankungen.

Fritsch zufolge sind die gestiegenen Patient:innenzahlen allein kein Hinweis auf Missbrauch und dürfen von Kritikern nicht pauschalisiert werden. Die steigende Nachfrage spiegele keinen problematischen Konsum wider, sondern den wachsenden Zugang zu einer wirksamen Therapieoption. „Unsere Patienten leiden häufig unter schweren Erkrankungen wie chronischen Schmerzen und Spastiken, setzen medizinisches Cannabis aber auch gegen leichtere Beschwerden wie etwas Schlafstörungen ein. Für sie ist Cannabis oft eine Alternative zu stark nebenwirkungsreichen Medikamenten wie Opiaten oder Schlafmitteln“, erklärt Fritsch.

„Wir versuchen die Sorgen der Politik nachzuvollziehen und teilen das Ziel, medizinisches Cannabis verantwortungsvoll einzusetzen“, erklärt Geschäftsführer Stefan Fritsch. „Dennoch plädieren wir für Lösungen, die Patienten schützen und ihre Versorgung sicherstellen, statt wichtige Zugangswege zu verschließen.“

Kein komplettes Verbot

Dass der aktuelle Gesetzesentwurf den Versand von Cannabis komplett verbieten wolle, stelle eine drastische Verschärfung dar, da selbst zu Zeiten des Betäubungsmittelgesetzes vor April 2024 der Versand von Medizinalcannabis grundsätzlich erlaubt gewesen sei. „Telemedizinische Verordnungen und der anschließende Versand sind nicht das Problem, sondern ein wichtiger Baustein moderner Patientenversorgung”, argumentiert Fritsch. „Statt diese Entwicklung zu stoppen, sollten wir sie gemeinsam verantwortungsvoll gestalten.”

In Ländern wie Kanada, Israel oder den Niederlanden ist die telemedizinische Verschreibung von Cannabis etablierter Versorgungsstandard. „Deutschland sollte von diesen Erfahrungen lernen, statt bewährte Versorgungswege zu blockieren“, so Fritsch. „Eine sachliche Debatte über medizinisches Cannabis erfordert faktenbasierte Argumente, nicht pauschale Verbote. Wir laden die Bundesgesundheitsministerin herzlich ein, sich vor Ort ein Bild von der regulatorisch einwandfreien Arbeitsweise einer etablierten Kooperationsapotheke zu machen und mit Patienten ins Gespräch zu kommen.“

Auch der Lieferant Sanity (Vayamed, Avaay) argumentiert, dass sich Telemedizin als sinnvolle und notwendige Ergänzung zur Patientenversorgung durch niedergelassene Ärzt:innen sowie durch Apotheken vor Ort erwiesen habe, vor allem in ländlichen Regionen und für mobilitätseingeschränkte Patientinnen und Patienten. „Sie ermöglicht eine flächendeckende, niedrigschwellige und dennoch verantwortungsvolle Versorgung mit medizinischem Cannabis“, so Geschäftsführer Finn Hänsel.

Rückkehr des Schwarzmarktes

Das gelte auch ebenfalls für den Versand von ärztlich verordneten Cannabisarzneimitteln. „Eine vollständige Einschränkung dieser Versorgungswege wäre nicht nur ein gesundheitspolitischer Rückschritt, sondern würde viele Patient:innen in eine unkontrollierte ‚Selbsttherapie‘ über den illegalen Markt zurückdrängen, ohne ärztliche Begleitung, ohne jegliche Qualitätskontrollen und verbunden mit enormen gesundheitlichen Risiken. Das darf so nicht passieren.“

Gleichzeitig müsse man realistisch bleiben, so Hänsel: „Es hat sich gezeigt, dass einige Telemedizinanbieter das System ausnutzen, indem sie ohne ausreichende ärztliche Prüfung Cannabisrezepte ausstellen. Diese Entwicklung gefährdet nicht nur die Glaubwürdigkeit der medizinischen Cannabistherapie, sondern untergräbt auch den ursprünglichen Zweck des Medizinalcannabisgesetzes. Dem muss mit klaren Regularien entgegengetreten werden, ohne jedoch seriöse telemedizinische Angebote grundsätzlich in Frage zu stellen – und damit die Patientenversorgung zu gefährden. Statt die Versorgung pauschal zu beschneiden, braucht es also gezielte Lösungen, die Missbrauch bekämpfen, ohne das Versorgungssystem insgesamt zu schwächen.“

Auch bei Bloomwell spricht man sich deutlich gegen die Pläne aus dem BMG aus. So meint CEO Dr. Julian Wichmann: „Aus ärztlicher Sicht gibt es angesichts der leichten oder ausbleibenden Nebenwirkungen von medizinischem Cannabis keinen Grund, dieses restriktiver Hand zu haben als andere verschreibungspflichtige Medikamente.“ Studien zum Abhängigkeitspotenzial von medizinischem Cannabis aus der Apotheke gebe es nicht. Andere verschreibungspflichtige Substanzen würden viel häufiger missbräuchlich eingenommen. „Die Politik misst augenscheinlich bei medizinischem Cannabis mit zweierlei Maß, ohne dafür eine logische Erklärung zu liefern.“

Eine Beschränkung der Telemedizin in diesem Bereich würde viele Patient:innen in den illegalen Markt zurückdrängen. „Aus ärztlicher Sicht gilt es vor diesem Hintergrund, eine verantwortungslose Re-Kriminalisierung von hunderttausenden Cannabis-Patient:innen – verbunden mit den bekannten gesundheitlichen Risiken – unter allen Umständen zu vermeiden”, so Wichmann.

„Das deutsche Gesundheitssystem ist überlastet, die Wartezimmer voll und Termine häufig erst in einigen Wochen verfügbar. Die niedrigschwellige digitale Cannabis-Therapie ist eine der wenigen Erfolgsgeschichten der letzten Jahre”, spricht sich auch Co-CEO Niklas Kouparanis gegen die Pläne aus. „Als besonders kritisch erachte ich, dass der Gesetzgeber auf ein persönliches Gespräch beim Arzt pochen möchte. Für die meisten Indikationen lässt sich dieses Gespräch, falls überhaupt erforderlich, ebenso gut online abbilden.”

Auch den Versand über Apotheken einzuschränken, erschließe sich ebenfalls nicht für Kouparanis. „Dies würde bedeuten, Patient:innen einer Odyssee von einer Apotheke zur nächsten auszusetzen, bis sie eine Apotheke gefunden haben, die ihre ärztlich verordnete Sorte Cannabis verfügbar hat – zu einem für Selbstzahler wahrscheinlich dann auch noch kaum zu finanzierenden Preis.” Sogar das Apothekensterben werde durch das geplante Verbot vorangetrieben. Gewinner wären hingegen Cannabis-Dealer.

„Ich fordere die Politik auf, ihr Versprechen zu halten und die Ergebnisse der Evaluation abzuwarten, bevor solche Anpassungen in die Wege geleitet werden, die die Gesundheit von hunderttausenden Patient:innen gefährden und den illegalen Markt stärken.” Man behalte sich rechtliche Schritte vor.