Plattform gegen Re-Regulierung

Bloomwell: Ärzte verstehen Cannabis nicht 06.10.2025 14:50 Uhr

Berlin - 

Nicht nur die Apotheken, sondern auch die Ärzte wären im Falle eines Versandverbots für Medizinalcannabis überfordert. Zu dieser Einschätzung kommt der Plattformbetreiber Bloomwell, der dazu 500 Hausärztinnen und Hausärzte sowie 3879 Patientinnen und Patienten befragt hat.

Medizinisches Cannabis bleibe für viele Hausärztinnen und Hausärzte auch nach der Herausnahme aus dem Betäubungsmittelgesetz (BtMG) vor mehr als einem Jahr ein selten verschriebenes Arzneimittel. Dies zeigt laut Bloomwell eine DocCheck-Umfrage unter 500 Hausärzt:innen. 27 Prozent hätten erklärt, seit Anfang April 2024 noch nie medizinisches Cannabis verordnet zu haben. Weitere 36 Prozent hätten es weniger als sechs Patientinnen und Patienten verordnet.

Nur rund ein Fünftel kann sich demnach vorstellen, im Fall eines chronisch erkrankten Schmerzpatienten die Therapie mit medizinischem Cannabis zu beginnen, ohne vorher andere Medikamente wie Tilidin oder Fentanyl ausprobiert zu haben. Nur wenige der 366 Hausärzt:innen, die seit April bereits einen Therapieversuch gestartet haben, hätten medizinisches Cannabis für typische Volkskrankheiten wie Schlafstörungen (16 Prozent) oder Migräne (10 Prozent) verordnet.

Zugleich klagten Patient:innen in einer parallelen Umfrage über extreme Vorbehalte, sobald sie das Thema medizinisches Cannabis ansprechen. So hätten 55 Prozent der befragten Patientinnen und Patienten bereits bei ihrem Hausarzt oder niedergelassenem Facharzt eine Cannabis-Therapie angesprochen. Fast zwei Drittel von ihnen bewerteten die Expertise des Arztes oder der Ärztin mit mangelhaft oder ungenügend.

Lediglich 13 Prozent hätten ein Rezept erhalten. Typische Ablehnungsgründe seien Sorgen rund um die Kostenerstattung (26,5 Prozent), fehlende Erfahrung der Ärzt:innen (39 Prozent), grundsätzlich keine Behandlung mit Cannabinoiden (41 Prozent) oder grundsätzliche Vorbehalte (55 Prozent). Stattdessen hätten 69 Prozent ein Rezept für ein anderes verschreibungspflichtiges Arzneimittel erhalten, darunter 56 Prozent für ein Betäubungsmittel wie Fentanyl bei chronischen Schmerzen.

Durch medizinisches Cannabis hätten 63 Prozent Patientinnen und Patienten mindestens ein anderes Medikament gänzlich absetzen, weitere 28 Prozent mindestens ein Medikament signifikant reduzieren können.

Aber selbst von den Patientinnen und Patienten, die von ihrem Arzt oder ihrer Ärztin ein Rezept für medizinisches Cannabis erhalten haben, sehen laut Umfrage 30 Prozent diesen seltener als einmal im Quartal.

„Unsere Umfragen widerlegen faktenbasiert den Verdacht des Missbrauchs von medizinischem Cannabis im großen Stil, auf dessen Grundlage das Bundesgesundheitsministerium (BMG) den Zugang zur Cannabis-Therapie verschärfen will“, so Bloomwell-CEO Dr. Julian Wichmann. „Vielmehr sind Patient:innen es Leid, um ihre Cannabis-Therapie betteln zu müssen – und dennoch abgelehnt zu werden. Sie wollen selbst entscheiden, ob sie zumindest einen Therapieversuch mit medizinischem Cannabis starten, bevor sie Medikamenten mit deutlich stärkeren Nebenwirkungen einnehmen. Genau dies sind viele Ärztinnen und Ärzte aber nicht bereit zu akzeptieren, obwohl sie bereits in Ausnahmefällen medizinisches Cannabis verordnen. Die meisten präferieren aber verglichen mit medizinischem Cannabis sogar Betäubungsmittel mit heftigen Nebenwirkungen und hohem Suchtpotenzial. Es verwundert daher nicht, dass Patient:innen die Expertise ihrer Haus- und Fachärzte zum Thema Cannabis mit mangelhaft bewerten. Erfahrungsgemäß verweisen Hausärzt:innen beim Thema Medizinalcannabis zudem an andere Ärzte und Telemedizin-Plattformen, daher tauchen diese Patient:innen nicht in den GKV-Statistiken auf. Ein weiterer Faktor, wieso immer mehr Patient:innen sich für den Zugang als Selbstzahlende entscheiden, ist, dass sie sich eine zeitgemäße digitale Therapie per App wünschen.“

Niklas Kouparanis, ebenfalls CEO von Bloomwell, fordert die Verantwortlichen im BMG nochmal ausdrücklich dazu auf, drastische Änderungen des Medizinalcannabis-Gesetzes nicht rein ideologisch, sondern fakten- und datenbasiert zu treffen. „Unsere Analyse zeigt schließlich, dass der hypothetische Missbrauchs-Verdacht, der den geplanten Gesetzesänderungen zugrunde liegt, völlig haltlos ist. Denn 90 Prozent der Befragten konnten dank medizinischem Cannabis andere Medikamente absetzen oder reduzieren – wer will diesen Menschen ihre Berechtigung auf mehr Lebensqualität absprechen?“

Die hohe Zahl der privat zahlenden Patient:innen auf spezialisierten Plattformen lasse sich anhand der Ergebnisse der beiden Umfragen rational erklären: „Patient:innen erleben tagtäglich anhaltende Stigmatisierungen, zugleich wünschen sie sich eine zeitgemäße Therapie, die effektiv, digital, schnell und günstig abläuft. Zudem sind die Kosten massiv gesunken, eine Cannabis-Therapie ist inklusive Medikamentenkosten ab circa 30 Euro im Monat möglich. Statt sich den echten Problemen des deutschen Gesundheitssystems zu widmen, lassen die Verantwortlichen des BMG im Falle von medizinischem Cannabis eine Doppelmoral walten und warten nicht einmal die Ergebnisse der Evaluation ab. Ich kann mein Angebot nur wiederholen, gemeinsam einen Blick auf unseren in Europa einmaligen Datenpool zu werfen, um endlich Vernunft in diese Debatte einkehren zu lassen.“