Critical Medicines Act

Produktion in der EU stärken – Polen nicht vergessen 08.07.2025 13:55 Uhr

Berlin - 

Experten der Warschauer Wirtschaftsschule und des polnischen Verteidigungsministeriums analysierten die Auswirkungen des Krieges auf die Arzneimittelversorgung in der Ukraine und legten Empfehlungen vor. Eine zentrale Forderung: Ein EU-Fonds soll die Rückverlagerung der Produktion kritischer Arzneimittel nach Europa fördern – mit Fokus auf Mittel- und Osteuropa als industriell starke Region.

Der Bericht zeigt, dass der Pharmamarkt in der Ukraine zwischen 2015 und 2022 zwar rasch gewachsen ist und die inländische Produktion rund 70 Prozent der in Apotheken verkauften Arzneimittel ausmachte, die Vorräte an wichtigen Medikamenten in der ersten Phase des Krieges jedoch vielerorts so stark zurückgingen, dass sie den Bedarf nur noch für weniger als zehn Tage decken konnten.

Obwohl im Jahr 2020 in der Ukraine 115 Arzneimittelhersteller und 400 Vertriebsunternehmen registriert gewesen seien, sei es dennoch zu Engpässen gekommen, insbesondere bei Herz-Kreislauf-Medikamenten und Chemotherapeutika. In Mariupol in der Region Donezk seien beispielsweise Patienten mit Krebs, Diabetes, Tuberkulose und Schilddrüsenerkrankungen von Medikamentenengpässen betroffen gewesen. Andere Regionen hätten Engpässe bei Antibiotika sowie bei Medikamenten zur Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Schlaganfällen gemeldet. Nur externe Lieferungen von Medikamenten und medizinischer Ausrüstung hätten lebenswichtige Unterstützung leisten können.

Der Bericht „Sicherheit der Arzneimittelversorgung für die militärische Sicherheit Polens und Europas“ wurde am 23. Juni im Ausschuss für öffentliche Gesundheit im Rahmen der Beratungen zum Gesetzentwurf über kritische Arzneimittel vorgestellt.

EU-Fonds für Hersteller

Die Mitautorin des Berichts, Professorin Monika Raulinajtys-Grzybek von der Warschauer Wirtschaftsuniversität, fordert daher die Erstellung einer Karte, die die Ressourcen der chemischen und pharmazeutischen Industrie in der EU abbildet, sowie die Einbeziehung des Themas Arzneimittelversorgung in Zivilschutzübungen.

Darüber hinaus sollte die EU im Rahmen des neuen mehrjährigen Finanzrahmens einen speziellen Fonds zur Unterstützung der Herstellung kritischer Arzneimittel einrichten sowie die Finanzierung der Herstellung solcher Arzneimittel aus nationalen Listen im Rahmen des Strategic Technologies for Europe Platform (STEP)-Programms sicherstellen und die pharmazeutische Industrie vor Energieversorgungsunterbrechungen in Krisenzeiten schützen.

Die Mitautorin des Berichts, Professorin Joanna Żukowska von der Warschauer Wirtschaftsuniversität, wies zudem darauf hin, dass die Liste der gemeldeten Bedarfe im Rahmen des von Unternehmen umgesetzten Plans zur Versorgungssicherheit der Streitkräfte um die Herstellung von Arzneimitteln und medizinischen Hilfsgütern sowie um die Sicherstellung von Produktionskapazitäten auch in Friedenszeiten erweitert werden müsse. Zudem sollten zentrale pharmazeutische Fachkräfte im Falle einer Mobilmachung oder in Kriegszeiten vom aktiven Militärdienst ausgenommen werden.

80 Millionen Euro nicht ausreichend

Das im März dieses Jahres vorgelegte Gesetz über kritische Arzneimittel (Critical Medicines Act, CMA) ziele darauf ab, das Risiko von Arzneimittelengpässen in Europa zu verringern – insbesondere bei Präparaten, die für die öffentliche Gesundheit von entscheidender Bedeutung seien. Dies solle erreicht werden, indem die Abhängigkeit der EU von Lieferanten aus Drittländern reduziert werde. Im Jahr 2024 habe die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) zudem eine aktualisierte Fassung der EU-Liste kritischer Arzneimittel verabschiedet, die 270 Wirkstoffe umfasse.

„Ich wünsche mir, dass unsere Maßnahmen realistisch und wirksam sind und nicht nur auf Diskussionen über die Notwendigkeit einer verstärkten Sicherheit beruhen. Die von der Europäischen Kommission für den Zeitraum 2026 bis 2027 bereitgestellten 80 Millionen Euro zur Umsetzung des CMA für 27 Länder sind bei weitem nicht ausreichend“, erklärte der polnische EU-Abgeordnete Bartosz Arłukowicz.

„Wir müssen die Arzneimittelversorgung in der EU sicherstellen und das Gesetz über kritische Arzneimittel ist ein guter Anfang. Allerdings sind einige wesentliche Änderungen erforderlich“, räumte der polnische Abgeordnete Adam Jarubas, Vorsitzender des Ausschusses für öffentliche Gesundheit des Europäischen Parlaments, ein. Raulinajtys-Grzybek fügte hinzu, dass es sinnvoll sei, Synergien zwischen Ausgaben für militärische Zwecke und für kritische Medikamente zu prüfen.

Arzneimittel als strategische Infrastruktur

„Medikamente, insbesondere lebenswichtige, müssen vor Ort verfügbar sein, unabhängig von globalen Turbulenzen, Lieferkettenstörungen oder bewaffneten Konflikten. Heute ist dies nicht mehr nur ein Postulat, sondern eine strategische Notwendigkeit. Instrumente wie STEP müssen ausgebaut werden. Die Mitgliedstaaten sollten auch das Recht haben, Finanzmittel für Arzneimittel zu beantragen, die aus ihrer Sicht von strategischer Bedeutung sind, aber nicht unbedingt auf der gemeinsamen Liste der EU stehen. Die Sicherheit der Arzneimittelversorgung ist keine Frage des Marktes, sondern eine Frage der Widerstandsfähigkeit der gesamten Europäischen Union und der NATO als Ganzes“, betonte die polnische EU-Abgeordnete Elżbieta Łukacijewska.

Der Präsident von Medicines for Poland, Krzysztof Kopeć, erklärte, die Hersteller seien verlässliche Partner für die Versorgungssicherheit und bereit, kritische Arzneimittel zu produzieren. „Das Gesetz über kritische Arzneimittel muss jedoch an die sich rasch verändernde geopolitische Lage angepasst werden und gleiche Wettbewerbsbedingungen für europäische Hersteller schaffen, die auf dem EU-Markt mit asiatischen Produzenten konkurrieren“, erklärte er.

Jarubas betonte, dass Polen ein bedeutender Produktionsstandort für essenzielle Medikamente in kleineren osteuropäischen Ländern sein könne. Auch Grzegorz Rychwalski, Berater des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses (EWSA) und Vizepräsident von Medicines for Poland, sprach sich dafür aus, dass die Europäische Kommission gezielte Maßnahmen ergreifen solle, um die bestehende Pharmaindustrie in Europa zu stärken und die Produktion kritischer Arzneimittel sowie deren Wirkstoffe in die EU zurückzuholen – mit besonderem Augenmerk auf Mittel- und Osteuropa als industriell vielversprechende Region.