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Glaskabinen statt HV-Tisch Torsten Bless, 13.08.2018 09:08 Uhr

Berlin - 

Um ihren Kunden so viel Diskretion wie möglich zu gönnen, entschloss sich Didem Özer-Altuğ zu einem radikalen Schritt. In ihrer Rotterdamer Apotheke hat der klassische HV-Tisch ausgedient. Er wurde durch gläserne Beratungskabinen ersetzt.

Özer-Altuğ kam in Dortmund als Kind türkischer Auswanderer zur Welt. Ihr Vater ist Lehrer. Weil der Bedarf an Pädagogen zu dieser Zeit in den Niederlanden größer war als in Deutschland, zog er mit Frau und Kindern nach Rotterdam. In der weitläufigen Familie wimmelt es nur so von Apothekern. Auch ihr Bruder Ziya Altuğ und ihr Mann Kadir Özer arbeiten als Pharmazeuten. Im Jahr 2013 stieg sie als Miteigentümerin in der Medsen Apotheek Prinsenland und in der Medsen Dante Apotheek ein.

Während die Dante-Apotheke in einer Arbeitergegend mit vielen Migranten zuhause ist, liegt die Prinsenland-Apotheke in einem der reichsten Viertel von Rotterdam. „Unser Patientenstamm ist recht jung, so etwas wie ein Seniorenzentrum haben wir in der Nähe nicht. Die Kundschaft besteht vor allem aus gut ausgebildeten Doppelverdienern im Alter zwischen 30 und 60“, erläutert die selbst 34-Jährige. Auch der eine oder andere Promi finde sich darunter. Sechs Apothekenassistenten (wie PTA und PKA in den Niederlanden heißen) arbeiten hier, Özer-Altuğ teilt sich die Präsenzpflicht mit ihrem 27-jährigen Bruder.

Zu den Beratungskabinen inspiriert wurde Özer-Altuğ von ihrem Vater. „Er sagte mir, es wäre doch merkwürdig, dass er bei seinem Arzt eine vertrauliche Sprechstunde habe, in der Apotheke werde seine Medikation aber schon mal quer durch den Raum gerufen.“ Die Inhaberin entschloss sich zum radikalen Schnitt. Der HV-Tisch sollte durch intime Beratungskabinen ersetzt werden.

Zwischen März und Mai war ohnehin ein aufwändiger Umbau geplant. Das Einrichtungskonzept stand schon längst fest. Zwei Wochen vor Start der Maßnahmen überraschte die Apothekerin den Architekten Rogier Lunstro mit ihrer neuen Idee. „Er schaute mich zunächst entgeistert an, aber dann machten wir uns gemeinsam an die Planungsarbeit.“ Lunstros Firma Interstore Interieur hat lange Jahre Erfahrung in der Ausstattung von Apotheken und Einzelhandelsgeschäften gesammelt. „Hier läuft alles in einer Hand, Beleuchtung, Boden, Möbel, Elektroinstallationen, ich brauchte mich selbst um nichts zu kümmern.“

Der Verkauf ging unterdessen weiter und wanderte in gerade nicht bebaute Ecken der Apotheke. Ende April nahmen die drei Kabinen ihren Betrieb auf. Bei 300 Quadratmetern Apothekengesamtfläche nahmen sie nur wenig zusätzlichen Platz ein. Die Beratungstische wurden mit hellem Holz verkleidet. Einer der kleinen Räume ist völlig von Glas umschlossen, zwei weitere haben eine nach hinten offene Wand. „Die Privatsphäre für den Kunden bleibt so gewährleistet, aber die Mitarbeiter können sich untereinander austauschen“, erläutert die Betreiberin.

Der Effekt sei enorm: „Wir geben den Kunden das Gefühl, nur für sie da zu sein. Sie fühlen sich nicht mehr so von anderen Wartenden hinter ihnen gedrängelt und trauen sich jetzt, Fragen zu stellen, die sie in einer offenen Offizin vermieden hätten.“ Die Wartezeit für alle anderen Patienten verlängere sich dadurch nicht, sagt die Apothekerin.

Schon bei Antritt vor fünf Jahren hatte sie Neuerungen eingeführt, um die Kundenströme besser steuern zu können. Wer sich auf der Apothekenwebsite registriert, kann alle Arzneimittel bestellen und erhält Zugang zu seiner persönlichen Medikationshistorie. Auch Beratungstermine lassen sich hier vereinbaren. Vor der Apotheke stehen zwei Abholschließfächer. „Wer sich für den Service anmeldet, bekommt eine SMS, wenn die auf unserer Website oder telefonisch bestellten Medikamente bereit liegen“, erläutert Özer-Altuğ. „Mit einem in der Nachricht erhaltenen Code können sie dann binnen drei Tagen zu jeder Zeit ihre Arzneimittel abholen.“ Die Schließfächer seien sehr populär: „Etwa 1000 Päckchen per Woche geben wir auf diesem Weg aus. So haben wir mehr Zeit für die Beratung.“

Auch die apothekeneigene App werde sehr gut angenommen. Auch sie funktioniert im Wechselspiel mit der Apothekenwebsite. Nach Anlegen eines persönlichen Kontos lassen sich alle eigenen Medikamente abrufen und Arzneimittel, die regelmäßig in Gebrauch sind, nachbestellen. Aber auch alle andere rezeptfreien Präparate kann man auf diesem Weg ordern. „Viele wissen, was sie wollen und brauchen keine Beratung“, erzählt die Apothekerin. „Die Mittel liegen auf Wunsch dann in den Abholfächern. Da auch für uns der logistische Aufwand und damit die Personalkosten geringer sind, gewähren wir bei Bestellungen über die App grundsätzlich 10 Prozent Rabatt auf alle Selbstmedikationsmittel und Kosmetikprodukte von Vichy.“

Ihre Position als Miteigentümerin lasse ihr viel Raum für Kreativität und Innovation. „Da muss man auch mal das Risiko des Scheiterns in Kauf nehmen“, sagt Özer-Altuğ. „Das eine glückt, das andere nicht.“ Doch wirkliche Flops habe es in all den Jahren nur wenige gegeben: „Wir hatten mal eine kleine Apotheke in einem neuen Gesundheitszentrum eröffnet, die lief nicht gut, darum haben wir sie wieder geschlossen.“ Den Versuch bedauere sie nicht. „Ich bin sehr stolz auf das, was ich bereits erreicht habe, aber ich werde mich darauf nicht ausruhen.“