Keine Verdachtsfälle übermittelt

Corona-Tests: Schwere Vorwürfe gegen KV Patrick Hollstein, 21.06.2022 15:33 Uhr

In Berlin prüfen Ermittler im Zusammenhang mit gefälschten Abrechnungen bei Corona-Tests auch Hinweise gegen den KV-Vorstand. Foto: APOTHEKE ADHOC
Berlin - 

Im Zusammenhang mit gefälschten Abrechnungen in Corona-Testzentren ist der Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Berlin ins Visier der Polizei geraten. Beim Landeskriminalamt (LKA) sei ein Verfahren wegen des Verdachts der Untreue eingeleitet worden, teilte ein Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft am Dienstag mit. Zuvor hatte „Spiegel TV“ darüber berichtet.

Seitens der Staatsanwaltschaft stehe noch eine Prüfung aus, ob tatsächlich ein Anfangsverdacht bestehe und gegen wen sich dieser konkret richte, erklärte Sprecher Sebastian Büchner. Von der KV hieß es: Der Vorstand weise den Vorwurf der Untreue „auf das Schärfste zurück“. Man habe aus Medien von dem Verfahren beim LKA erfahren. „Da uns der aktuelle Sachstand nicht bekannt ist, kann sich die KV Berlin dazu nicht äußern“, teilte Sprecherin Dörthe Arnold mit.

„Die KV Berlin hat seit Beginn der Abrechnung von Teststellen im Frühjahr 2021 eng mit den Berliner Ermittlungsbehörden zusammengearbeitet und alles dafür getan, beim Aufdecken von betrügerischen Teststellenbetreibern zu unterstützen und Schaden abzuwenden“, hieß es weiter. Die Sprecherin kündigte eine weitere Stellungnahme an, sobald weitere Informationen vorlägen.

Die KV ist in der Corona-Pandemie auch für die Abrechnung der Teststellen zuständig. Rund 590 Millionen Euro hat die KV Berlin nach eigenen Angaben bislang (Stand: 21. Juni) an Steuergeld ausgezahlt. In der Prüfung befände sich noch die Auszahlung weiterer 81 Millionen Euro. 3,5 Prozent der ausgezahlten Summe bleiben als Gewinn bei der KV, sagte Bettina Gaber vom Vorstand in dem Beitrag von „Spiegel TV“. „Wir verwalten öffentliche Gelder und da ist unser Druck genauso da, schwarze Schafe zu finden, wie bei anderen Behörden“, erklärte Gaber vor der Kamera. Am Dienstag hieß es von der KV der sogenannte Verwaltungskostensatz liege derzeit bei 2,5 Prozent.

Keinerlei Verdachtsfälle übermittelt

Alleine in Berlin gibt es nach Angaben der Polizei mehr als 380 Ermittlungsverfahren. Die zuständigen Ermittler vom LKA und der Staatsanwaltschaft sagten dem „Spiegel“, die KV habe der Polizei keinerlei Verdachtsfälle übermittelt. Zu Spitzenzeiten gab es rund 1500 Corona-Testzentren in Berlin, die laut Senat nur „sporadisch“ kontrolliert wurden. Polizei und Staatsanwaltschaft äußerten sich in dem Beitrag entsetzt darüber, wie einfach die Behörden den Kriminellen den Betrug gemacht hätten. Sie ermitteln bisher in rund 380 Verdachtsfällen gegen Betreiber wegen Betrugsverdacht. Die angenommene Schadenssumme sollte schon vor Monaten mindestens 24 Millionen Euro betragen, inzwischen dürfte sie weitaus höher liegen.

Die KV teilte hingegen mit, seit Beginn der Abrechnung im Frühjahr 2021 habe man „eng mit den Berliner Ermittlungsbehörden zusammengearbeitet und alles dafür getan, beim Aufdecken von betrügerischen Teststellenbetreibern zu unterstützen und Schaden abzuwenden“.

Millionenbetrug durch Kioske

Auf die Spur kam die Berliner Kripo den Betrügern vor allem über Geldwäsche-Anzeigen von Banken, denen plötzliche Zahlungen über zehntausende oder hunderttausende Euro auf das Konto von Kiosk-Betreibern auffielen. Hauptkommissarin Susann Langner schildert in dem Film den Fall eines polizeibekannten Verdächtigen, der seine kleinen Kioske als Teststellen anmeldete und 800 bis 1000 Tests pro Tag in den winzigen Läden angab. Bis zu 240 000 Euro habe der Mann pro Monat kassiert, manche Monate seien doppelt abgerechnet worden. Die Betrugssumme betrage mutmaßlich mehrere Millionen Euro, hohe Beträge seien oft direkt ins Ausland überwiesen worden.

Ein anderer Betreiber rechnete laut Polizei in einem seiner Zentren 245 Tests an einem Tag ab, in seinem Computer fand die Polizei nur 4 Tests. Bei einem Verdächtigen geht die Polizei von 20.000 bis 30.000 zu viel abgerechneten Tests aus – pro Monat. Die KV zahlte 1,4 Millionen Euro an den Mann aus. Eine kleine Teststelle vergab viele Gruppentermine. 60 Menschen sollen demnach zeitgleich um 9.00 Uhr getestet worden sein, und schon um 9.02 Uhr soll die nächste Gruppe von 60 Menschen gekommen sein. Kassiert wurden mehrere Millionen Euro.

Wie Druckerpresse im Keller

Jörg Engelhard vom Landeskriminalamt (LKA) sagte dem „Spiegel“: „Es ist so ähnlich, als habe man eine Druckerpresse im Keller stehen, mit der man das Geld selbst drucken kann.“ Sein Kollege Jochen Sindberg sagte in die Kamera: „Wir haben schon die Augen aufgerissen und gesagt, wie ist es möglich, dass die Hürden so gering sind, um diese Zahlungen zu erhalten.“ Und Hauptkommissarin Langner meinte: „Wenn ich sehe, wie das Geld rausgeworfen wurde und wie leicht es war zu betrügen, finde ich das schon ziemlich bitter.“

Bundesweit wurde an die kommerziellen Betreiber der Schnelltest-Stationen rund 10,5 Milliarden Euro ausgezahlt. Ermittler gehen von einer Betrugssumme von mindestens einer Milliarde bis hin zu 1,5 Milliarden Euro aus.