Zi-Trendreport

Corona-Bilanz: Boom und Einbruch in Arztpraxen APOTHEKE ADHOC, 28.07.2020 14:30 Uhr

Corona-Bilanz: „Sechs Monate ist es her, dass die Corona-Pandemie Deutschland erreicht hat. Und als erste Bilanz nach dieser Zeit ist klar: Die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte haben in der COVID-Krise ihre Leistungsbereitschaft und ihre Leistungsfähigkeit unter Beweis gestellt”, erklärte Dr. Andreas Gassen. Foto: Elke Hinkelbein
Berlin - 

Die Corona-Krise hat die Arztpraxen ähnlich durchgeschüttelt wie die Apotheken. Nach dem den Boom Mitte März blieben im weiteren Verlauf die Patienten weg. Die Fallzahlen gingen um bis zu 64 Prozent zurück. Dafür gab es deutlich mehr Telefon- und Videoberatungen. Jetzt appelliert die Kassenärztliche Bundesvereinigung an die Patienten, versäumte Vorsorgeuntersuchungen nachzuholen.

„Sechs Monate ist es her, dass die Corona-Pandemie Deutschland erreicht hat. Und als erste Bilanz nach dieser Zeit ist klar: Die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte haben in der COVID-Krise ihre Leistungsbereitschaft und ihre Leistungsfähigkeit unter Beweis gestellt. Insgesamt kamen im März 2020 rund 350.000 Tests auf eine COVID-19-Infektion sowie rund 850.000 Behandlungsanlässe zur Versorgung einer Infektion oder eines Infektionsverdachts zusammen“, erklärte Dr. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), anlässlich der Veröffentlichung eines ersten Trendreports des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi) zur Entwicklung der ärztlichen Leistungen im ersten Quartal 2020. Der Report basiert auf den ärztlichen Abrechnungsdaten aus 14 der 17 Kassenärztlichen Vereinigungen und nimmt die ärztliche Versorgung in der Expansionsphase der COVID-Krise im März 2020 unter die Lupe.

„Die niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten waren in der Phase maximaler Ausbreitung der SARS-CoV-2-Infektionen für die Versicherten zur Stelle. Die Auswertung der Abrechnungsdaten zeigt einen großen Ansturm der Versicherten auf alle Vertragsarztpraxen in der ersten Märzhälfte 2020. Wir sehen in dieser Zeit durchweg zweistellige Fallzahlzuwächse gegenüber dem Vorjahreszeitraum“, sagt Dr. Dominik von Stillfried, Vorstandsvorsitzender des Zi. „Diese gehen auch mit Vorzieheffekten bei den Arzneiverordnungen für die von COVID-19 besonders gefährdeten Patientengruppen einher, über die wir bereits an anderer Stelle berichteten. Ab dem Zeitpunkt der Schulschließung Mitte März blieben die Menschen dann zunehmend konsequent zuhause und in den Praxen brachen die Fallzahlen ein. Je nach Fachrichtung lag der Fallzahlrückgang mit persönlichem Arzt-Patienten-Kontakt in der letzten Märzwoche zwischen 37 und 64 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.“

Dabei könne der beobachtete Rückgang in der Leistungsinanspruchnahme nicht darauf zurückgeführt werden, dass die niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten ab diesem Zeitpunkt nicht mehr in ausreichendem Maße für ihre Patienten zur Verfügung gestanden hätten. Aus den Abrechnungsdaten sei zu erkennen, dass die Anzahl abrechnender Ärzte nur geringe Unterschiede zum Vorjahreszeitraum aufweist. So rechneten etwa Hausärzte zwar in der dritten Märzwoche 12 Prozent und in der vierten Märzwoche 39 Prozent weniger Fälle als im Vorjahreszeitraum ab. Die Anzahl abrechnender Hausärzte lag in der dritten Woche aber um 2 Prozent über dem Vorjahreszeitraum und hat sich in der letzten Märzwoche nur um 0,2 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum verringert.

Konkret bedeutet das, dass in den 14 KV-Regionen in der dritten Märzwoche rund 37.900 Hausärzte tätig waren; rund 760 Hausärzte mehr als im Vorjahreszeitraum rechneten dabei einen Fall mit Patientenkontakt ab. Vergleichbare Effekte zeigten sich in der fachärztlichen und psychotherapeutischen Versorgung. Obwohl die Augenärzte beispielsweise einen Fallzahlrückgang von 64 Prozent in der letzten Märzwoche hinnehmen mussten, hat sich die Anzahl abrechnender Augenärzte um nur etwa 6 Prozent reduziert. „Kurz: Die Ärzte waren präsent“, erläuterte von Stillfried.

„Der Bericht zeigt eindrucksvoll, dass die Sicherstellung der haus- und fachärztlichen Versorgung während der kritischen Pandemiephase trotz zunächst mangelnder Schutzausrüstung gewährleistet wurde. Er belegt auch die Flexibilität der ärztlichen Versorgung“, kommentierte Dr. Stephan Hofmeister, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der KBV, und verwies auf einen Anstieg der Hausbesuche im organisierten Notdienst in der zweiten Märzhälfte sowie die erhebliche Zunahme der Fälle mit Videosprechstunde und solche mit ausschließlich telefonischer Beratung, die einen beträchtlichen Teil des beobachteten Fallzahlrückgangs insbesondere in der hausärztlichen Versorgung ausgleichen konnte.

Hofmeister zeigte sich aber auch besorgt über massive Leistungseinbrüche bei Früherkennungsmaßnahmen und Versorgungsleistungen für chronisch Kranke. „Der aktuelle Pandemieverlauf erlaubt es, versäumte Kontrollen jetzt nachzuholen. Sollte dies ausbleiben, wäre das durchaus mit erheblichen gesundheitlichen Risiken für die Versicherten verbunden“, betonte Hofmeister.

Auf Grundlage der Abrechnungsdaten aus 14 KVen ist zu erkennen, dass die Inanspruchnahme vertragsärztlicher und vertragspsychotherapeutischer Leitungen im Januar und Februar 2020 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum zunächst durchweg leicht zunimmt. Dieses Bild ändert sich mit Beginn der COVID-19-Krise Anfang März 2020. Im Zeitraum vom 4. bis 31. März 2020 gab es insgesamt rund 850.000 Behandlungsanlässe aufgrund des Verdachts oder des Nachweises einer SARS-CoV-2-Infektion, wobei mehr als 355.000 Tests auf SARS-CoV-2 in dieser Zeit von Vertragsärzten durchgeführt wurden.

Entsprechend der Vorgaben der Kontaktbeschränkungen sanken die persönlichen Arzt-Patientenkontakte und damit die Anzahl an Behandlungsfällen im Verlauf des März deutlich. So sank die Anzahl an Behandlungsfällen beim Mammographie-Screening in der letzten Märzwoche 2020 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 82 Prozent, beim Hautkrebsscreening um 71 Prozent, bei der Kindervorsorgeuntersuchung J1 um 55 Prozent und bei DMP-Schulungen um 52 Prozent.

Bezogen auf erforderliche und somit nicht verschiebbare Leistungen zeigt sich laut ZI-Trendreport demgegenüber ein heterogenes Bild. Während bei Dialyseleistungen in der letzten Märzwoche sogar ein geringfügiger Anstieg der Fallzahlen im Vergleich zu 2019 erkennbar ist und die Fallzahlen bei der Schwangerenbetreuung und bei der Substitutionsbehandlung bei Drogenabhängigkeit nur geringfügig abnehmen, sinkt die Fallzahl bei der qualifizierten onkologischen Betreuung krebskranker Patienten in der letzten Märzwoche 2020 mit -39 Prozent deutlich gegenüber dem Vorjahr.

Darüber hinaus ist zu erkennen, dass zwar die Anzahl an Behandlungsfällen mit persönlichem ArztPatienten-Kontakt sinkt, dass demgegenüber aber die Fälle mit telefonischer Beratung und Kontakte per Videosprechstunde im Verlauf des März 2020 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum deutlich gestiegen sind und die Ärzte und Psychotherapeuten somit die Versorgung der Patienten offenbar adäquat angepasst haben. So wurden in den letzten beiden Märzwochen 2020 über 330.000 Behandlungsfälle mit telefonischer Beratung mehr abgerechnet als im Vorjahr. Bei den Videosprechstunden waren es entsprechend rund 127.000 mehr als im Vorjahreszeitraum.

Auch der im März 2020 zu beobachtende deutliche Anstieg an Behandlungsfällen mit Impfungen gegen Influenza und Pneumokokken zeige, dass die Vertragsärzteschaft schnell auf die Situation regiert habe. So wurden im Laufe des März circa 400.000 Pneumokokken-Impfungen mehr durchgeführt als im Vorjahreszeitraum. Bezogen auf die Influenza waren es im selben Zeitraum rund 87.000 Impfungen mehr als im Vorjahr.