KV Berlin gegen Reformpläne

„Setzen Sie auf Praxen, nicht auf Apotheken!“ 19.09.2025 09:23 Uhr

Berlin - 

„Patientensicherheit gehört in die Arztpraxis, nicht in die Apotheke!“ Mit diesen Worten kommentiert die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Berlin die aktuellen Vorschläge zur Ausweitung der medizinischen Tätigkeiten auf Apotheken. Die geplanten Maßnahmen tragen demnach weder zu einer langfristigen Verbesserung der Patientenversorgung noch zu einer spürbaren Entlastung der Arztpraxen bei – im Gegenteil.

Die geplante Vermischung von medizinischen und pharmazeutischen Aufgaben birgt nach Ansicht der KV Berlin erhebliche Risiken. „Kompetenz gehört in die Hände derjenigen, die dafür ausgebildet sind“, warnt der Vorstandsvorsitzende Dr. Burkhard Ruppert. „Setzen Sie auf sichere medizinische Versorgung – in einer ambulanten Arztpraxis, nicht in der Apotheke“, so seine Forderung an die Politik.

Patientensicherheit beginne dort, wo Menschen medizinisch qualifiziert behandelt und begleitet würden – in der ärztlichen Praxis. Ärztinnen und Ärzte sowie ihr medizinisch geschultes Personal tragen laut Ruppert die Verantwortung für Diagnose, Therapie und den zielgerichteten Einsatz von Medikamenten. „Die jetzt bekannt gewordenen Pläne des Bundesgesundheitsministeriums, verschreibungspflichtige Medikamente künftig direkt von Apotheken ohne ärztliche Verordnung abgeben zu lassen, sind ein Irrweg. Patientinnen und Patienten brauchen Sicherheit: dass ihre Beschwerden ärztlich untersucht, Ursachen erkannt und im Sinne einer verantwortungsvollen Behandlung therapiert werden.“

Medikamente sind kein Verkaufsprodukt

Und weiter: „Medikamente sind kein Verkaufsprodukt, sondern Teil einer medizinischen Behandlung. Diese Verantwortung darf nicht verwischt werden. Gerade am Welttag der Patientensicherheit erinnern wir: Setzen Sie auf sichere medizinische Versorgung – in einer ambulanten Arztpraxis, nicht in der Apotheke.“

Eine Ausweitung diagnostischer Tätigkeiten in Apotheken werde nicht zur Entlastung der Berliner Arztpraxen führen, sondern zusätzlichen ärztlichen Behandlungsbedarf erzeugen. Patientinnen und Patienten würden dadurch verunsichert und verstärkt ärztliche Hilfe suchen.

„Die Übertragung diagnostischer Aufgaben an die Apotheken verschieben die Probleme nur und führen letztendlich in den Praxen zu erheblichem Mehraufwand“, macht Vorstandsmitglied Günter Scherer deutlich. Außerdem, betont die stellvertretende Vorstandsvorsitzende Dr. Christiane Wessel: „Die Apothekendichte in Berlin ist schon heute deutlich geringer als die Dichte der ambulanten Arztpraxen. Wenn Regionen ärztlich unterversorgt sind, dann fehlt dort genauso die Apotheke. Eine bessere Flächenversorgung durch die Verlagerung medizinischer Leistungen in Apotheken ist deshalb eine absolute Illusion!“

Wandel trifft beide Berufsgruppen

Aktuelle Zahlen belegen: Bundesweit stehen 98.500 Arztpraxen nur rund 17.000 Apotheken gegenüber. Gleichzeitig ist das Apothekenwesen wie die Ärzteschaft vom Fachkräftemangel betroffen. Über 16 Prozent der Apothekerinnen und Apotheker sind heute bereits über 60 Jahre alt, weitere 13 Prozent zwischen 56 und 60 Jahre. In den nächsten Jahren wird es dadurch zu einer spürbaren Verknappung kommen.

„Politische Reformen, die ein Mehr an Leistungen verlangen, ohne den Fachkräftebedarf zu sichern, schaffen nur neue Probleme. Auch in den Apotheken fehlt der Nachwuchs. Leistungsausweitungen werden daran nichts ändern“, so Wessel.

Patientensicherheit muss Vorrang haben

Besonders kritisch sieht die KV Berlin die geplante Verschreibungskompetenz für Apotheken. Die Abgabe von Antibiotika beispielsweise ohne ärztliche Untersuchung erhöhe das Risiko von Resistenzen. Zudem drohe ein signifikanter Mehraufwand für die Praxen, wenn Patientinnen und Patienten mit unerkannten Vorerkrankungen oder Nebenwirkungen später doch mit Folgeuntersuchungen ärztlich behandelt werden müssten.

„Wenn Apothekerinnen und Apotheker über Erstverschreibungen oder Impfungen entscheiden sollen, geht das an einer guten sinnvollen medizinischen Versorgung vorbei. Dafür braucht es das medizinische Fachwissen eines Studiums der Humanmedizin. Unser System darf nicht mit patientengefährdenden Parallelstrukturen überfrachtet werden“, so Ruppert.

Unübersichtlichkeit statt Effizienz

Nach Ansicht der KV Berlin gehen die Vorschläge an der eigentlichen Herausforderung vorbei: Das deutsche Gesundheitswesen brauche weniger Komplexität, nicht mehr. Studien der vergangenen Jahre zeigten, dass vor allem Impfquoten nicht durch neue Impfstellen, sondern durch gezielte Koordination in den Arztpraxen verbessert würden. „Unsere Aufgabe als Gesellschaft besteht darin, das System so zu stärken, dass jeder Beruf seine Stärken entfalten kann. Apotheken können wertvolle präventive Aufgaben und Beratungen übernehmen. Die Ausweitung ärztlicher Tätigkeiten auf fremde Berufsgruppen hingegen schwächt beide Seiten und schadet am Ende den Patienten und Patientinnen“, so Wessel.

Patienten besser steuern

Die KV Berlin fordert eine bessere Steuerung der Patientenversorgung, damit Ärztinnen und Ärzte sich auf diejenigen konzentrieren können, die wirklich ärztliche Behandlung benötigen. Zudem müssen die im Gesundheitsetat vorhandenen Mittel sinnvoller verteilt werden. Während Milliarden in dysfunktionale Krankenhausstrukturen flössen, werde die ambulante Versorgung durch Kürzungen geschwächt. Das geplante Apothekenreformgesetz stellt dabei vor allem die finanzielle Unterstützung der Apotheken in den Vordergrund – nicht jedoch die bessere Versorgung der Berliner Patientinnen und Patienten oder eine spürbare Entlastung der ambulanten Arztpraxen.

Aus Sicht der KV Berlin zeigt sich in den aktuellen politischen Entscheidungen der Versuch, das eigentliche Problem nicht ehrlich anzugehen: die fehlende Patientensteuerung. Ohne eine wirksame Steuerung bleibe jede Maßnahme zur Entlastung der ambulanten Versorgung wirkungslos. Sogenannte Entlastungen, wie durch das Apothekenreformgesetz, führten allenfalls zu einer kurzen Verschnaufpause für die politischen Entscheidungsträger, schafften aber keine nachhaltige Verbesserung. Solange die notwendigen Schritte gescheut würden, den Bürgerinnen und Bürgern offen zu vermitteln, dass es ohne ein gezieltes Umlenken der Patientenströme nicht mehr weitergeht, bleibe jede Reform Stückwerk – und das Grundproblem ungelöst.

„Die Politik muss endlich begreifen: Die Zukunft liegt in der ambulanten Versorgung. Wer sie schwächt, schafft zeitaufwendige Patientenumwege, statt sie zu verkürzen“, so Ruppert.