Wien

Designer-Apotheke: Abfall an der Decke Eugenie Ankowitsch, 19.02.2017 09:42 Uhr

Berlin - 

Die Marien-Apotheke in Wien hat sich bereits vor Jahrzehnten auf die Versorgung von HIV-Positiven spezialisiert. Seit einigen Jahren ist die traditionsreiche Offizin außerdem ein fester Anlaufpunkt für Gehörlose der Österreichischen Hauptstadt. Sie ist aber auch optisch ein Hingucker. Apothekerin Karin Simonitsch arbeitet bei der Gestaltung seit Jahren mit dem österreichischen Designerduo von Walking Chairs zusammen. Die sogenannten Sister-Blister-Leuchten sind inzwischen zum Markenzeichen der Apotheke geworden.

Die Marien-Apotheke in der Schmalzhofgasse in Wien Mariahilf ist seit rund 80 Jahren in Besitz der Familie Simonitsch. Gegründet wurde sie im Oktober 1909. Das Alter sieht man dem „Mariechen“ allerdings gar nicht an. Im Herbst 2014, pünktlich zum 105-jährigen Jubiliäum, wurde die Offizin rundum erneuert und vom Designer-Duo von Walking Chair gestaltet.

„Ist das Murano-Glas?“ Solche Fragen kommen immer wieder von Kunden, die die bunte Deckenbeleuchtung der Apotheke zum ersten Mal sehen. Dabei besteht die kunstvolle Lichtinstallation über ihren Köpfen aus Abfall, genauer aus leeren Medikamentenblistern. Seit 2005 bietet Simonitsch Verblisterungsservice für Krankenhäuser, Alters- und Pflegeheime sowie Privatkunden an.

Die Medikamente werden manuell von den Angestellten der Apotheke aus den Verpackungen gedrückt. Aus den leeren Pillen-Blistern, die aus einer transparent-farbigen Kunststoff-Aluminium-Verbindung bestehen, stellen die Designer Emilio Pircher und Fidel Peugeot bereits seit 2007 neuartige Lampenschirme oder ganze Lichtobjekte her.

„Sister Blister“ heißen die kunstvollen Lampen. Jede ist ein Unikat und wird in liebevoller Handarbeit hergestellt. Die Serie umfasst mittlerweile Standleuchten, Hängeleuchten, Deckenleuchten, Wandleuchten und ganze Lichtinstallationen, wie die in der Marien-Apotheke. Der transparente Kunststoff und das reflektierende Aluminium sind optisch extrem reizvoll, erst recht, wenn man die mit LED-Leuchten kombiniert. Da LED so gut wie keine Wärme abgeben, sei eine Brandgefahr so gut wie ausgeschlossen, sagt Simonitsch. Die Verarbeitung sei ebenfalls ganz einfach: Bei kleineren Objekten genüge ein Tacker, die größeren seien mit Draht verstärkt.

In der Designszene verbindet man mit den Namen Pircher und Peugeot meist zwei Produktdesigns: Zum einen mit einem gehenden Stuhl – Namensgeber des Studios und Teil der Dauerausstellung des Wiener Hofmobiliendepots. Zum anderen mit einem runden Tisch, der sich zum Ping-Pong-Feld umfunktionieren lässt. Die drehbare Konstruktion „Ping meets Pong“ eignet sich als Ess- oder Konferenztisch.

Seit etwa zehn Jahren arbeitet die Marien-Apotheke eng mit den Designern zusammen. Bereits im Jahr 2006 entstand die „Aspirin“, die Hausschrift der Marien-Apotheke. Sie sei von Peugeot aus einer Textura des 16. Jahrhunderts, dem „Confect Büchlin vnd Hauß Apoteck“ von Walter Ryff aus dem Jahr 1544, entwickelt worden. Dieses Kompendium sei noch nicht gesetzt, sondern noch Seite für Seite mit Holzschnitten gedruckt worden.

Bei der Erweiterung der Offizin im Jahre 2008 entwickelte Walking Chair außerdem ein neues Verkaufsregal-System und die „Intimzone“, eine Art Zelt, in dem gesundheitliche Probleme besprochen werden können. Außerdem wurde das Nachtdienstzimmer funktional und platzsparend umgebaut: Sowohl das Bett als auch der Spiegel und ein Fernsehgerät sind nun einklappbar. Eine Reihe von Hausprodukten der Marien-Apotheke bekam das Verpackungsdesign von Walking Chair. Dazu gehören das Parfum der Marien-Apotheke, das 7-Karat-Pflaster oder die Lutschbonbons: Marie Citron, Marie Menthe und Marie Coeur.

Derzeit wird das Gebäude, in dem sich die Marien-Apotheke befindet, saniert. Für die Renovierungsarbeiten an dem Haus, dessen Eigentümerin sie ist, ließ Simonitsch das Baustellennetz von den Grafikdesignern gestalten. Später soll es von Migrantinnen des Wiener Integrationsprojekts „Nachbarinnen“ zu Einkaufstaschen verarbeitet werden.

In dem Projekt sollen Migrantinnen und Flüchtlinge mithilfe von Frauen, die dieselbe Sprache sprechen, aus der Isolation geholt werden. Sie agieren als Begleiterinnen, bieten Unterstützung und schaffen Verbindungen zu integrationsfördernden Maßnahmen. Einige Frauen wurden im Rahmen des Projektes in einer Nähwerkstatt angestellt, wo sie zu Näherinnen ausgebildet werden. Die Nähwerkstatt soll in Österreich eines der wenigen Arbeitsprojekte für Migrantinnen sein.