Versandapotheken

Sterben auf Rezept Patrick Hollstein, 27.10.2012 11:27 Uhr

Die großen Versandapotheken haben den Markt weitgehend unter sich aufgeteilt. Grafik: APOTHEKE ADHOC
Berlin - 

Ernüchterung ist eingekehrt. Acht Jahre nach der Zulassung des Versandhandels sind die Marktführer angeschlagen und standen oder stehen zum Verkauf. Insbesondere das Geschäftsmodell der Holland-Versender wackelt erheblich: Denn nach dem Verbot von Rx-Boni gibt es derzeit kaum noch Wege, an Rezepte zu kommen. Auch die Ertragslage ist angespannt. Alle geografischen und logistischen Umwege haben die Konzerne im Hintergrund nicht ans Ziel gebracht.

Zuletzt ging es Schlag auf Schlag: DocMorris wird an „Zur Rose“ verkauft, Medco zieht sich aus Europa zurück, Schlecker wird zerschlagen, Sanicare ist pleite. So unterschiedlich die Ursachen im Einzelfall sind – der gleichzeitige Fall der Marktführer hat auch mit dem System zu tun.

Zusammen vereinen die vier großen Versender zwei Drittel des Branchenumsatzes auf sich. Der machte laut Branchenverband BVDVA 2011 mit 1,3 Milliarden Euro einen Anteil von 3,2 Prozent am gesamten Pharmamarkt aus. Zahlen in diesem Marktsegment sind allerdings mit Vorsicht zugenießen, da Insidern zufolge ein nicht unbeträchtlicher Teil der Umsätze durch Ringgeschäfte und Weiterverkäufe generiert wird. So soll etwa die mittlerweile insolvente Versandapotheke Sanicare im großen Stil Ware zwischen Großhändlern bewegt haben.

Während der Marktanteil im OTC-Bereich bei 11 Prozent liegt und wächst, stagniert der Anteil im Rx-Bereich bei 1 Prozent. Die Hälfte entfällt dabei alleine auf die Europa Apotheek Venlo (EAV) und DocMorris, deren Rx-Quoten nach eigenen Angaben bei 85 beziehungsweise 70 bis 80 Prozent des Umsatzes liegen.

Doch egal ob OTC oder Rx: Ein einträgliches Geschäft ließ sich bislang kaum machen. Denn was im Versandhandel vor allem zählt, ist der Preis. So lagen die Rohertragsmargen 2010 je nach Preisaktivität und Bonusmodell zwischen 14 Prozent bei der EAV und 22 Prozent bei DocMorris und Vitalsana. Zum Vergleich: Die typische Apotheke kommt laut Treuhand Hannover auf 25 Prozent. Den Versendern gelingt es also nur zum Teil, ihre Rabatte durch günstigere Einkaufskonditionen zu refinanzieren.

Auf der Kostenseite ist nur wenig Musik drin: Bei den Personalaufwendungen liegt etwa die EAV mit 12 Prozent sogar noch über der typischen Apotheke. Dass DocMorris auf 7 und Vitalsana auf 3 Prozent kommen, dürfte mit der Auslagerung von Geschäftstätigkeiten in die Mutterkonzerne oder an Dienstleister wie Arvato zusammenhängen. Dazu kommen Ausgaben für Marketing und Versand, die andere Kostenvorteile aufzehren.

Und so können die Versender froh sein, wenn sie bei einer schwarzen oder roten Null landen wie die EAV oder Vitalsana. Erstmals überhaupt lag DocMorris 2010 im Plus – sogar mit einem Betriebsergebnis in Höhe von knapp 6 Prozent des Umsatzes, was dem Niveau der typischen Vor-Ort-Apotheke entspricht. Allerdings standen hinter dem Erfolg vermutlich Einmaleffekte: 2011 stand einem Umsatz von knapp 330 Millionen Euro nur noch ein einstelliger Millionengewinn gegenüber. Im ersten Halbjahr 2012 rutschte die Celesio-Tochter wegen IT-Investitionen wieder in die roten Zahlen.

Auch wenn Versandapotheken als Vertriebskanal etabliert sind – das Geschäftsmodell ist es offenbar bislang nicht. Zwar wurde Vitalsana vom Management gerettet und auch für DocMorris hat sich ein Käufer gefunden. Dennoch steht in den Sternen, wie gut die beiden Versandapotheken ohne die Unterstützung mächtiger Konzerne etwa beim Einkauf alleine zurecht kommen.

Auch bei der EAV ist die Situation alles andere als rosig. Verschiedene Versuche, über Kooperationen mit Krankenkassen oder mit Pharmaherstellern an die lohnenswerten Rezepte von Chronikern zu kommen, sind gescheitert. Das Joint Venture mit Celesio wurde bereits vor einem Jahr beerdigt; gemeinsam hatten die beiden Konzerne sich als Vertragsdienstleister für die Kassen (PBM) und damit auch ihre Versandapotheken ins Spiel bringen wollen. In Gesprächen mit den Kassen sollen die Medco-Leute allerdings zuletzt den „falschen Ton“ angeschlagen haben. Der neue Eigentümer des US-Konzerns, Express Scripts, soll angeblich auch keine große Lust mehr verspüren, Geld in Europa zu verbrennen.

Und so könnten sich in Zukunft nur noch vereinzelt deutsche Rezepte nach Holland verirren. Denn dass Boni von 1 Euro nicht ziehen, hat Vitalsana bereits erfahren müssen: Die Versandapotheke hatte nach einem Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart ihr Rabattmodell umgestellt und hat seitdem nur noch einen marginalen Rx-Anteil. DocMorris versucht es jetzt mit Prämien für die Teilnahme an Arzneimittelchecks.

Wer sich also nicht bei bestimmten Indikationen oder Zielgruppen profiliert hat, kann kaum punkten. Entsprechend gering sind die Resonanz oder Ergebnisse in den Verkaufsprozessen: Wer am Markt ist, will sich nicht verbrennen. Finanzinvestoren werden zudem warten, bis überhaupt wieder ein Geschäft zu machen ist. Erst wenn sich die politische Wetterlage drehen und Höchstpreise, Selektivverträge oder e-Rezepte zugelassen werden sollten, könnte der Markt wieder interessant werden. Derzeit haben die Versandapotheken aber keine gute Lobby dafür – denn die meisten deutschen Versandapotheker sind immer noch in erster Linie Vor-Ort-Apotheker.