„Eklatantes Wissensdefizit“

Cannabis-Apotheker rechnen mit AMK ab APOTHEKE ADHOC, 24.01.2020 10:03 Uhr

Besonders gefährlich oder normales Arzneimittel? Mehrere Verbände kritisieren eine Stellungnahme der AMK zu potentiellem Missbrauch von medizischem Cannabis in scharfen Worten. Foto: Cansativa
Berlin - 

Mit drastischen Worten haben mehrere Medizinalcannabisverbände die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) kritisiert. Die hatte in einer Stellungnahme Apotheken in die Pflicht genommen, bei der Abgabe von Cannabis besonders auf Anzeichen von Missbrauch zu achten. Der Verband der Cannabis versorgenden Apotheken (VCA), die Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin (ACM) und das Selbsthilfenetzwerks Cannabis Medizin (SCM) kritisieren jene Stellungnahme nun scharf: Die AMK stigmatisiere Patienten, offenbare „ein eklatantes Wissensdefizit“ und „schürt alte Vorbehalte“, so die Verbände.

Die AMK wollte nach eigenen Angaben Apotheker dafür sensibilisieren, wie sie bei Patienten einen Abusus erkennen und wie sie mit mutmaßlich Suchtkranken Cannabis-Patienten umgehen sollen. Aus Sicht der Cannabis-Verbände hat sie sich dabei nicht nur im Ton vergriffen, sondern offenbart ein grundlegend falsches Verständnis der Arzneimitteltherapie mit Cannabis. „Statt allerdings sachlich zum Thema zu informieren, diffamiert die AMK nicht nur Cannabis verschreibende Ärzt*innen, sondern auch Patient*innen, die mit Cannabis behandelt werden“, so die Verbände in einer gemeinsamen Mitteilung. „Mehr noch: die AMK offenbart mit der Stellungnahme darüber hinaus ein eklatantes Wissensdefizit und schürt alte Vorbehalte gegenüber der noch jungen Therapieoption.“

Die Cannabisapotheker, -ärzte und -patienten zerpflücken die AMK-Meldung Punkt für Punkt und fangen dabei schon bei der ganz grundsätzlichen Problematik des angeblichen Cannabis-Missbrauchs durch Patienten an: „Unseres Wissens nach gibt es keine Erkenntnisse darüber, dass die ‚missbräuchliche Anwendung‘ von Cannabis als Medizin überhaupt ein relevantes Problem darstellt – ganz im Gegensatz zu anderen Arzneimitteln wie Benzodiazepinen und Opioiden“, heißt es da. Allein bei Benzodiazepinen gingen demnach alle Schätzungen von einer Zahl von mehr als einer Million Betroffenen nur in Deutschland aus.

Gleich in doppelter Hinsicht unzutreffend sei der zweite Punkt, wonach es einen Hinweis auf eine missbräuchliche Anwendung darstelle, wenn Patienten versuchen, die Rezepturzubereitung zu beeinflussen, um beispielsweise eine unverarbeitete Abgabe von Cannabis zu erwirken. Denn erstens dürften Apotheker Cannabis überhaupt nur dann unverarbeitet abgegeben, wenn der Arzt das ausdrücklich auf dem Rezept vermerkt, und zweitens sei die unverarbeitete Gabe empfehlenswert, um beispielsweise einer vorzeitigen Oxidation vorzubeugen. „Auch in puncto Dosierungsgenauigkeit beraten Cannabis-versorgende Apotheken ihre Patienten sehr genau und leisten pharmazeutische Hilfestellung zum Beispiel im Umgang mit Vaporisatoren und ähnlichem“, so die Verbände.

Besonderes Missfallen hat sich die AMK auch mit der Formulierung „zweifelhafte Gebrauchsanweisung“, die „nicht den pharmazeutischen Regeln“ entspreche eingehandelt. Gemeint ist demnach die Verordnung von unzerkleinerten Cannabisblüten. Die sei nicht nur nach NRF zulässig, sondern werde von der Mehrzahl der Experten sowohl aus pharmakologischen als auch praktischen Gründen empfohlen, kritisieren die drei Verbände: „Dieser Tipp ist auch deshalb von erheblicher Tragweite, da nach Zahlen der gesetzlichen Krankenkassen im Jahr 2019 die Anzahl der Verschreibungen unverarbeiteter Cannabisblüten die Anzahl von Verschreibungen verarbeiteter Cannabisblüten deutlich überstiegen hat.“

Dass sich Patienten über eine Minderbefüllung oder Wirkungslosigkeit, inklusive mangelnder Qualität beklagen, sieht die AMK ebenfalls als Anzeichen für einen möglichen Missbrauch. Wieso eigentlich, wollen die Verbände wissen, solche Vorkommnisse seien schließlich durchaus bekannt geworden. Schließlich wenden sie sich noch gegen das aus Sicht der AMK erkennbare Anzeichen für einen Missbrauch, wenn Pateinten strikt auf einer THC-reichen oder einer bestimmten Cannabis-Sorte verharren.

Die Kommission tue das, „obwohl es gut begründete Hinweise gibt, dass bei bestimmten Erkrankungen gerade THC-reiche Cannabis-basierte Medikamente besonders gut wirksam sind“. Außerdem sei der Wunsch nach einer „bestimmten Cannabis-Sorte“ aufgrund der patienten-individuellen Wirksamkeit und Verträglichkeit legitim.

VCA, ACM und SCM wehren sich dagegen, dass die AMK bei Cannabis ein höheres Missbrauchspotential suggerieren als bei anderen Arzneimitteln. „Unstrittig kommt Ärzt*innen und Apotheker*innen bei der Verschreibung und Abgabe von Betäubungsmitteln eine besondere Sorgfaltspflicht zu“, räumen sie ein. „Dies betrifft allerdings nicht nur Cannabis-basierte Medikamente, sondern – und in viel stärkerem Maße – auch zahlreiche andere Arzneimittel.“

Deshalb nähmen die drei Verbände „die Stellungnahme der AMK nicht nur mit großem Unverständnis zur Kenntnis, sondern auch mit großer Sorge“. Denn die AMK erwecke damit den Anschein, dass Patienten, die mit Cannabis behandelt werden, per se eine Problemgruppe darstellen, und Ärzte, die Cannabis verordnen, eine „zweifelhafte“ und an Sorgfalt mangelnde Behandlung durchführen würden, die seitens der Apotheker*innen keinerlei Kontrolle erfahre.

VCA, ACM und SCM fordern die AKM deshalb auf, ihre Hausaufgaben zu machen. Die Kommission solle „sich beim Bundesgesundheitsministerium oder der Bundesopiumstelle über die Inhalte und Ziele des „Cannabis als Medizin Gesetzes“ informieren“. Dabei strecken sie der Körperschaft die Hand aus: Gerne stünden sie für einen Austausch zur Verfügung, „nicht zuletzt da sich der Eindruck aufdrängt, dass die AMK zu einem Thema Stellung bezogen hat, ohne zuvor bei den Ärzt*innen und Apotheker*innen Auskünfte einzuholen, die täglich mit dem Thema ‚Cannabis als Medizin‘ praktisch und patientennah befasst sind“.