Berufsethos

Ehrensache: Midazolam am Weihnachtstag

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Berlin -

Freitag um eins macht jeder seins, vermittelt der Volksmund die deutsche Arbeitsmoral. Dass das für Heilberufler nur sehr eingeschränkt gilt, ist Teil des Berufsethos. Auch wenn am ersten Weihnachtsfeiertag schon fast der Braten auf dem Tisch steht, muss man dann manchmal ran, wenn man seine Arbeit ernst nimmt. Apotheker Jens Wiemann ging es so. Er macht das gern, klagt aber auch die Politik an: Ein Versender wäre am Feiertag nicht extra in die Apotheke gefahren!

Im Kalender steht am 25. Dezember eigentlich dick angestrichen „Besinnlichkeit!“ So war es auch bei Wiemann, seit 20 Jahren Inhaber der Ordens-Apotheke im niedersächsischen Bad Harzburg. „Ich saß gerade gemütlich mit meiner Familie zusammen, als mich ein guter Freund anrief“, erinnert er sich. „Er ist auch Apotheker, seine Mutter ist im Hospiz. Dort war eine Ärztin an ihn herangetreten, weil es einen Notfall gab: Sie brauchte für einen Palliativpatienten dringend Midazolam-Ampullen, hatte aber keine dabei.“ Für den 51-Jährigen stellte sich die Frage gar nicht, was nun zu tun sei. Er setzte sich ins Auto, fuhr in die Apotheke und holte das Hypnotikum. „Die Ärztin kam dann bei mir zuhause vorbei, um das Midazolam abzuholen.“

Für Wiemann ist das eine Selbstverständlichkeit. „Für mich ist das völlig klar, dass ich nicht aus Bequemlichkeit abwiegele, wenn es da jemandem schlecht geht. Kein echter Heilberufler will doch, dass da jemand leidet“, sagt Weimann. Doch damit ist für ihn noch nicht Schluss. Denn den Akt der Nächstenliebe zum Weihnachtsfest sieht Wiemann nicht nur nur als individuelle Handlung, sondern in einem größeren Kontext – und da liegt einiges im Argen.

„Bestimmt wäre auch jeder Versandhändler am Feiertag losgefahren, denen geht es ja schließlich nur um das Wohl der Patienten“, schreibt er sarkastisch in einem Facebook-Post gerichtet an den Gesundheitsminister. „Falls Sie also mal in einer Notlage sind, Herr Spahn, Ihre DocMorris-Freunde sind dann bestimmt sofort für Sie da.“ Auf den Post angesprochen, steigt bei Wiemann hörbar der Unmut: „Ich habe für die Abgabe an Weihnachten nicht einen einzigen Euro zusätzlich zum Vertragspreis abgerechnet – das hätte ich auch gar nicht gekonnt“, betont er, „diese Arbeiten für das Gemeinwohl sieht Herr Spahn nicht!“

Statt sich dafür einzusetzen, die flächendeckende, wohnortnahe Arzneimittelversorgung zu sichern, arbeite der CDU-Minister nur seinen eigenen Seilschaften in die Hände, ist Wiemann überzeugt. „Das Problem ist, dass der Mann keine Ahnung von Versorgung hat“, erregt er sich. „Stattdessen ist er best friend mit Personen, die dem Versand nahe stehen.“ Wie so viele Apotheker ist er vor allem frustriert, dass die CDU beim Thema Rx-Versandverbot wortbrüchig geworden ist. Und Spahns umstrittener Plan B werde der Branche auch nicht weiterhelfen. „Das ist Augenwischerei. Der sagt ‚Ich gebe euch ein paar Euro, dafür seid Ihr dann ruhig.‘ Reines Schweigegeld, mehr nicht.“

Wiemann hingegen sieht einen klaren Fahrplan, der die Apotheker wieder auf die Erfolgsspur bringen würde: Rx-Versandverbot plus striktere Qualitätskontrollen für die Versender. „Damit wäre ein Großteil erledigt, dann müsste man nur noch beim Fixzuschlag nachbessern“, sagt er. Der Fixzuschlag müsste an die Lohnentwicklung gekoppelt werden, „denn meine Kosten steigen ja auch kontinuierlich“.

Und eine weitere Idee hat er, wie man die Augenhöhe von Versendern und Präsenzapotheken herstellen kann: Er fordert eine gesetzliche Pflicht zu Beratung und telefonischem Rückruf für jedes bediente Rezept. „Ich will nur gleiche Waffen für alle, dann scheue ich keinen Wettbewerb mit den Versendern. Aber ich Moment haben wir einen Holzknüppel und die eine Pistole. Den Kampf kann man so nicht gewinnen.“ Auch von den Verbraucherzentralen fühle er sich im Stich gelassen. „Die sollten einfach mal klagen, dass die Temperaturführung eingehalten wird. Bei Feinstaub können die das doch auch! Das sind doch keine Legosteine, die man im Sommer auch mal bei 70 Grad im Laderaum transportieren kann.“

Enttäuscht ist Wiemann aber nicht nur von Politik und Zivilgesellschaft, sondern auch von der Standesvertretung. „Von der ABDA hören wir seit 20 Jahren nur, ‚Wenn wir jetzt nicht mitmachen, wird es nur noch schlimmer.‘ Aber es wird seit 20 Jahren immer schlimmer!“, sagt er hörbar erregt. „Wir haben doch eine Macht, wir müssen sie nur mal ausspielen. Statt nur Millionen in Werbeplakate und Imagekampagnen zu stecken, sollte die ABDA sich für das Geld mal jemanden holen, der richtig mit der Politik verhandeln kann.“

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