Apotheker verurteilt

Luftrezepte vom Fake-Arzt: Hausapotheke für Großbordell

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Berlin -

Das Kölner Landgericht hat einen Arzt und einen Apotheker wegen Betruges in zehn Fällen zu zwei Jahren beziehungsweise einem Jahr auf Bewährung verurteilt, weil sie die Krankenkassen mit Scheinverordnungen und nicht abrechnungsfähigen Rezepten betrogen haben. Hinter dem trockenen Urteil steht eine kuriose Geschichte: Der Arzt hatte ohne Approbation in einer Kölner Praxis gearbeitet – mit Wissen des bereits verstorbenen Inhabers. Dort haben die drei allerlei krumme Dinger gedreht. Unter anderem sorgten sie mit falschen Verordnungen dafür, dass der Praxisinhaber gegenüber der Aufsicht seine Alkoholsucht verschleiern konnte, indem er an sich selbst Blutwäschen durchführte.

Zehn Jahre sind die Taten her, für die Arzt und Apotheker nun zur Rechenschaft gezogen wurden. Auch deshalb fielen die Urteile vergleichsweise milde aus. Strafmindernd war auch die Kooperationsbereitschaft der beiden, sie zeigten sich umfassend geständig. Und sie hatten viel zu erzählen: Schon seit der Schule wollte Charalambos K. Arzt werden, studierte nach dem Abi Medizin, fiel jedoch durch die Prüfung zum Physikum. Wie so oft im Leben brachte ein privater Kontakt die Wende: Auf einer Feier lernte er einen Arzt kennen, der ihm die Möglichkeit gab, ab 2005 in seiner Einzelpraxis für Allgemeinmedizin zu hospitieren. Er durfte bei Behandlungen anwesend sein und nach einiger Zeit sogar im Beisein des Arztes selbst Patienten untersuchen. Dass es sich bei dem Hospitanten nicht um einen Arzt handelt, hatte der Inhaber gegenüber Patienten und Kollegen geflissentlich verschwiegen – er wurde wie der Inhaber auch mit Herr Dr. angesprochen.

Die Idee, ein echter Arzt zu werden, hatte K. auch nicht fallengelassen. „Daneben betrieb er ein intensives Literaturstudium, um sich die für die Behandlung notwendigen Kenntnisse anzueignen“, heißt es im Urteil. Der Inhaber war mit der Arbeit zufrieden und ging irgendwann dazu über, K. selbst Behandlungsentscheidungen treffen und diese umsetzen zu lassen. Auch in seinen Nebenerwerb bezog der Inhaber seinen vermeintlichen Assistenzarzt ein: Anfang 2006 begannen die beiden, Bedienstete des mittlerweile insolventen Kölner Bordells „Pascha“ zu behandeln. Dazu waren sie in der Regel einmal in der Woche in einem eigens eingerichteten Raum im Bordellgebäude anwesend und führten meist allgemeine hausärztliche Untersuchungen und Impfungen durch. Die Tätigkeit wurde pauschal mit 2500 Euro im Monat vergütet, die die beiden sich zu gleichen Teilen zukommen ließen. Abgesehen von der fehlenden Approbation machten sie sich damit auch nicht strafbar – es habe dabei keinen Rechtsverstoß feststellen können, schreibt das Gericht.

Mit Sicherheit strafbar machte K. sich jedoch, als er begann, ab 2007 privat Schönheitsbehandlungen vorzunehmen. Er richtete sich dazu einen Behandlungsplatz in seiner Wohnung ein, hielt dort gewisse Arzneimittel, kosmetische Artikel und Hilfsmittel vorrätig und führte insbesondere Behandlungen mit Botox und Hyaluronsäure durch, die er sich privat bezahlen ließ. Das dritte Standbein warf zusätzlich ab: laut Gericht zunächst etwa 300 Euro monatlich, mit wachsendem Patientenaufkommen im Jahr 2008 bei etwa 1000 Euro und bis Mitte 2010 bis zu 1500 Euro im Monat. Dem Praxisinhaber führte er dabei etwas ab, wenn die verwendeten Arzneimittel über seine Praxis bestellt worden waren.

Doch mit dem Praxisinhaber ging es bergab – er war alkoholabhängig, ging mehrmals auf Entzug, wurde jedoch stets rückfällig. Die Bezirksregierung kriegte das mit und stellte seine gesundheitliche Eignung für den Arztbesuch infrage. Als er sich 2007 und 2008 mehreren Blutwert-Kontrollen unterziehen musste, um zu belegen, dass er trocken ist, wurde es eng für ihn. Er begann deshalb, seine Blutwerte zu manipulieren, indem er systematische Blutwäschen an sich durchführte. Dabei verwendete er die Epoetin-Präparate Aranesp oder Mircera, die zur Behandlung von Blutarmut eingesetzt werden. K. unterstützte ihn bei der Durchführung.

Wie zu erwarten war, half das nicht gegen seine Alkoholsucht. Seine Ausfälle nahmen zu – und in dem Maße wuchs auch die Rolle, die K. in der Praxis spielte. Spätestens ab 2007 seien ihm immer mehr Aufgaben in der Praxis übertragen worden. K. behandelte bei Abwesenheit des Arztes dessen Patienten und baute sich zunehmend einen eigenen Patientenstamm auf. Dabei stellte er sich offenbar auch gar nicht so schlecht an: „Die Patienten waren mit den Leistungen des Angeklagten, den sie für einen Arzt hielten, ganz überwiegend zufrieden“, schreibt das Gericht. „Gleiches gilt für diejenigen Patienten, an denen der Angeklagte Schönheitsbehandlungen vornahm.“ Doch die Betrugsversuche seines Chefs flogen auf, im Juni 2009 wurde seine Approbation ruhend gestellt. Von Juni 2009 bis April 2010 wurde die Praxis deshalb von drei verschiedenen Vertretungsärzten geleitet.

Ein eigenes Netzwerk hatte K. da bereits. 2007 hatte er über eine gemeinsame Bekannte den nun verurteilten Apotheker kennengelernt. „Daraus entwickelte sich rasch eine – als solche nicht unübliche – enge geschäftliche Zusammenarbeit“, wie das Gericht anmerkt. Ab Herbst 2007 bezog die Praxis Sprechstundenbedarf, Impfstoffe und „Arzneimittel, die für bestimmte Patienten vorgesehen waren“ vornehmlich von dessen drei Apotheken, und zwar in erheblichem Umfang. Die Bestellungen wurden per Anruf, Fax oder Kurznachricht durchgegeben, die entsprechenden Rezepte erhielt der Apotheker regelmäßig erst nach Auslieferung – sie waren zum Teil von K. ausgestellt worden. Ob der Apotheker zu diesem Zeitpunkt bereits wusste, dass K. in Wirklichkeit kein Arzt ist, konnte das Gericht nicht feststellen.

Schon ab 2008 erhielt er von der Praxis jedoch zunehmend Luftrezepte und Verordnungen, die zwar an die Praxis geliefert, aber nicht an die Person abgegeben wurden, die auf dem Rezept stand. Ein Teil davon war für die Blutwäschen, die der Arzt bei sich selbst durchführte. Aber auch Schlafmittel, Blutfettsenker und hochpreisige Vitaminpräparate seien so beschafft worden. Zur Beschaffung der Hochpreiser Aranesp und Mircera stellte er Rezepte auf den Namen von Patienten aus, die davon nichts wussten, und ließ sie über die Apotheke des Verurteilten abrechnen. K. habe sich daran schon aus Eigennutz beteiligt – wenn der Arzt seine Alkoholsucht weiter verschleiern kann, behält er seine Approbation und K. damit seinen Arbeitsplatz. Auch anderen Patienten sollen sie so geholfen haben, etwa dann, wenn eine Verordnung nicht abrechenbar gewesen wäre.

Mit den Luftrezepten wiederum finanzierten sie die Abgabe von Arzneimitteln an Patienten, die von deren Kassen nicht erstattet worden wären, darunter Potenzmittel und teure Vitaminpräparate. Mit der Zeit sei so aus der Praxis ein regelrechter „Verschiebebahnhof“ geworden, erklärte K. vor Gericht. Der echte und der vermeintliche Arzt bauten über die Zeit einen „Praxisfundus“ auf, aus dem sie bei Bedarf Arzneimittel kostenlos an die Patienten abgaben. Zu diesem Zweck verordneten sie häufig verwendete Präparate oft in einer Menge, die absichtlich über das hinausging, was tatsächlich an den Patienten abgegeben werden sollte – der Fundus lag jedoch nicht nur in der Praxis, sondern auch im Pascha. Dort verkauften sie noch einmal nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel für 100 bis 200 Euro pro Woche. Auch das Botox und die Hyaluronsäure, die in den privaten Schönheitseingriffen zum Einsatz kamen, besorgte sich K. auf diesem Wege.

Mindestens von Mitte 2008 bis Mitte 2009 habe der Apotheker dem echten und dem falschen Arzt den stetigen Rezeptzufluss auch fürstlich entlohnt, nämlich mit 1700 bis 3000 Euro im Monat. Dass etwas mit den Rezepten nicht stimmt, sei ihm bereits seit Anfang 2008 bewusst gewesen, aber: „Der Umfang der Falschabrechnungen war ihm im Einzelnen nicht bekannt, da er aufgrund der Menge der Bestellungen und Verordnungen, die ihn seitens der Praxis Dr. T erreichten, bereits frühzeitig den Überblick darüber verlor, ob die Verordnungen die Bestellungen abdeckten und umgekehrt.“ Ob er sich am zusätzlichen Umsatz auch persönlich bereicherte, konnte das Gericht nicht feststellen, wohl aber dass er dazu beitrug, dass er seine drei Apotheken kurz nach dem Tatzeitraum für 1,1 Millionen Euro veräußern konnte.

Den Schadensbetrag, der durch die falschen Rezepte zustande kam, beziffert das Gericht auf 130.000 Euro für den falschen Arzt und knapp 84.000 Euro für den Apotheker. Als der Inhaber aufflog und seine Praxis von Vertretungsärzten übernommen wurde, hätte die Geschichte eigentlich enden können. Doch K. und der Praxisinhaber wurden stattdessen noch konspirativer: Noch mindestens bis Mai 2010 trafen sie sich nach Ende der Öffnungszeiten in der Praxis, um „im arbeitsteiligen Zusammenwirken bewusst falsche Verordnungen“ auszustellen, schreibt das Gericht: „Hierbei achteten sie nach Möglichkeit darauf, dass die Verordnungen in Bezug auf die jeweiligen Patienten für den Fall einer möglichen Überprüfung plausibel erschienen, insbesondere hinsichtlich der individuellen Krankheitsgeschichte. So stellten sie beispielsweise falsche Verordnungen über teure Arzneimittel zur Behandlung entzündlicher Darmerkrankungen bevorzugt auf den Namen von Patientinnen und Patienten aus, in deren Krankenakten solche Erkrankungen verzeichnet waren.“ Der Apotheker reichte die Rezepte zur Abrechnung ein, „um die Erstattungsbeträge von den Krankenkassen zu erlangen und den Umsatz und Gewinn seiner Apotheken zu erhöhen“, so das Gericht.

K. wiederum wollte sicherstellen, dass er weiterhin seine Schönheitseingriffe durchführen kann. Dabei war die Kassenärztliche Vereinigung schon 2008 auf seine Tätigkeit in der Praxis aufmerksam geworden – erneut musste also verschleiert werden. Auf den Rat seines Chef besorgte sich K. „gegen Zahlung einer beträchtlichen Geldsumme“ eine russischsprachige Internaturbescheinigung einer staatlichen Medizinuniversität sowie ein russischsprachiges Diplom, welches einen Abschluss im Studienfach „Heilkunde“ an einer Universität auswies. Die Berufsausübungserlaubnis wurde ihm jedoch nicht erteilt – die eingereichten Ausbildungsnachweise wurden als Fälschungen entlarvt. Im Dezember 2010 wurde das Ermittlungsverfahren gegen ihn wegen Verstoßes gegen das Heilpraktikergesetz und Urkundenfälschung gegen Arbeitsauflage eingestellt.

Da war schon klar, dass die gemeinsame Masche aufgeflogen war. Im Juni 2010 hatten die betroffenen Krankenkassen Strafanzeige wegen des Verdachts der betrügerischen Verordnung und Abrechnung von Impfstoffen und Arzneimitteln, insbesondere hochpreisigen Fertigspritzen, Strafanzeige gestellt. Im Februar und März 2011 wurden Arztpraxis, Apotheken, das Behandlungszimmer im Bordell sowie die Wohnung von K. durchsucht. Der Apotheker war gleich zu Beginn geständig, der fasche Arzt nun zu Prozessbeginn. Vor allem dem Apotheker kommt dem Gerichtsurteil zufolge eine große Rolle bei der Aufklärung zu. Im Laufe des Ermittlungsverfahrens habe er mehrfach angeboten, zum Zwecke der Schadensberechnung die Verordnungsinhalte mit den Rechnungsunterlagen der Apotheken abzugleichen, um den Anteil der Luftrezepte zu quantifizieren. Zwischen 2012 und 2017 zahlte er seine Schuld an die Kassen zurück: 300.000 Euro. Die Forderungen der Kassen sind damit abgegolten.

Doch das Gericht kam trotzdem nicht zu Potte. Aufgrund von Personalmangel zog sich die Eröffnung des Verfahrens bis 2020 – zehn Jahre nach den Taten. Das kam beiden bei der Strafbemessung zugute – nicht zuletzt, weil der Apotheker laut Gerichtsurteil seine eigene Familienplanung hintenan stellte, da er sich all die Jahre nicht sicher sein konnte, ob er eventuell ins Gefängnis muss. Das muss er nun nicht und kann sich seinem eigentlichen Beruf widmen: Er arbeitet mittlerweile als angestellter Apotheker. Auch K. hat die Kurve scheinbar gekriegt, litt jedoch unter der langen Verfahrensdauer. Im November 2016 hat er sein echtes Medizinstudium abgeschlossen – seine Approbation aber bis jetzt wegen des laufenden Verfahrens noch nicht erhalten.

 

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