Strafrechtler Dr. Patrick Teubner

FAQ: Gefälschte Impfausweise APOTHEKE ADHOC, 26.11.2021 10:18 Uhr

Rechtsanwalt Dr. Patrick Teubner gibt Tipps, wie Apotheken mit gefälschten Impfpässen umgehen sollten.
Berlin - 

Apothekenteams schätzen, dass mittlerweile rund jeder zehnte Impfausweis, der in der Apotheke vorgelegt wird, gefälscht ist. Was ist dann zu tun? Was ist zulässig? Wo droht rechtlicher Ärger? APOTHEKE ADHOC liefert mit freundlicher Unterstützung des Strafrechtlers Dr. Patrick Teubner von der Kanzlei Kraus & Kollegen Antworten auf die wichtigsten Fragen. Ein ausführliches Gespräch mit Dr. Teubner und einer Apothekerin, die jetzt sogar die Polizei schult, gibt es im Webinar „Gefälschte Impfpässe – Wie schützen sich Apotheken?“.

Können sich Apotheker:innen und PTA selbst strafbar machen?

Bei konkretem Verdacht, dass ein gefälschter Pass vorliegt, darf auf keinen Fall ein Zertifikat ausgestellt werden. Ansonsten können sich Apotheker:innen selbst nach § 75a Infektionsschutzgesetz (IfSG) strafbar machen. Wichtig: Das ist keine Teilnahme an der strafbaren Handlung der fälschenden Person, es handelt sich um eine eigene Straftat.

Dürfen Apotheken die Polizei verständigen?

Heikles Thema, denn Apotheker:innen sind Berufsgeheimnisträger:innen, und Berufsgeheimnisse sind geschützt über § 203 StGB, genau wie bei Ärzt:innen oder Rechtsanwält:innen. Jede anvertraute und bekannt gewordene Information ist ein Berufsgeheimnis, unabhängig von der Qualität der Information. Dass Fälscher:innen keinen Anspruch auf dieses Recht haben sollten, ist strafrechtlich dünnes Eis. Auf der anderen Seite hat die Polizei in der Regel kein Interesse, Apotheker:innen zu verfolgen, die solche Fälle melden.

Aber sind Apotheker:innen beim Ausstellen der Zertifikate Heilberufler:innen oder nicht vielmehr Beauftragte des Staates?

Gegen die Definition „Beauftragter des Staates“ wehren sich die Apotheker:innen ansonsten zu Recht sehr stark und bestehen auf ihrer Freiberuflichkeit. Eine andere Wahrnehmung dürfte auch strafrechtlich nicht relevant sein.

Dürfen Apotheken in der Praxis oder im Impfzentrum nachfragen, wo die Impfung – angeblich – vorgenommen wurde?

Nicht ohne Weiteres. Die berufliche Schweigepflicht gilt auch im Verhältnis von Ärzt:innen und Apotheker:innen untereinander. An der Verletzung der Verschwiegenheitspflicht ändert es daher nichts, weil beide Seiten jeweils einer eigens in ihrem jeweiligen Kontext begründeten Schweigepflicht unterliegen. Es muss eine Entbindungserklärung von der Schweigepflicht vorliegen – mündlich oder schriftlich –, damit das bekannt gewordene Geheimnis einem anderen gegenüber offenbart werden darf. Ohne namentliche Nennung der betroffenen Person kann eine Rücksprache möglich sein. Wenn die betroffene Person mit einer Nachfrage unter Verwendung des Namens nicht einverstanden ist, ist das wiederum ein deutliches Indiz dafür, dass es sich um eine Fälschung handelt.

Darf der Impfpass einbehalten werden?

Eigentlich nicht, denn es handelt sich um fremdes Eigentum. Das Anfertigen einer Kopie ist die bessere Alternative. Was auch geht: Die Bitte, den Impfpass einzubehalten, um zu einem späteren Zeitpunkt die Prüfung des Erstellens einer Impfdokumentation vornehmen zu können.

Rechtsanwalt Teubner: Zwar hat die Generalstaatsanwaltschaft Niedersachsen erklärt, das Fälschen von Impfpässen und dessen Gebrauch zur Erlangung eines Impfzertifikats sei strafbar. Sie stellt sich damit aber bewusst gegen die Entscheidung des LG Osnabrück – und die nahezu einhellige Auffassung in der strafrechtlichen Literatur.

Müssen die Apotheken denn aktiv werden, wenn sie den Verdacht haben, dass jemand einen falschen Impfpass vorlegt?

Nein, dazu besteht eindeutig keine Pflicht. Apotheker:innen sind keine Polizist:innen und es ist nicht ihre Aufgabe, Straftäter:innen zu überführen oder anzuzeigen. Sie dürfen nur nicht wissentlich ein falsches Zertifikat ausstellen, aber den Kunden oder die Kundin einfach wieder wegzuschicken, ist kein Problem.

Können sich Apotheker:innen und PTA strafbar machen, weil sie nicht genau hingesehen haben.

Nein, es gibt in der neuen Strafvorschrift keine Fahrlässigkeit. Alle Delikte in diesem Bereich sind sogenannte Vorsatzdelikte. Im Rahmen der beruflich gebotenen Sorgfaltspflicht sind die Apothekenteams auf jeden Fall auf der sicheren Seite.

Was hat sich mit der aktuellen Strafverschärfung geändert?

Was bislang möglicherweise strafrechtlich noch zweifelhaft war, ist jetzt sicher strafbar: das Fälschen, Verbreiten und Verwenden von gefälschten Impfpässen.

Bislang war es also nicht strafbar, einen Impfpass zu fälschen und sich damit ein Zertifikat zu erschleichen?

Rechtsanwalt Teubner: Genau so ein „klassischer Fall“ wurde vor Gericht verhandelt und entscheiden. Das Landgericht Osnabrück hat im Einklang mit der herrschenden Meinung im Strafrecht und der sonstigen Rechtsprechung festgestellt: Das ist nicht strafbar. Das war nicht strafbar, muss man jetzt sagen. Der Impfpass ist zwar ein Gesundheitszeugnis, aber das Herstellen, Verbreiten und Verwenden war nur dann strafbar, wenn es zur Vorlage einer Behörde oder Versicherung verwendet wurde. Diese Strafvorschrift – geregelt in §§ 277, 278, 279 StGB – stammt aus dem Jahr 1871, wurde einmal novelliert 1975, deckt aber eine vollkommen andere Situation ab.

Eigentlich wollte der Gesetzgeber diese Lücke mit einer neuen Strafvorschrift im Juni 2021 schließen. Die Strafvorschrift wurde aber so gestaltet, dass sie nicht für Jedermann gilt, sondern nur für Ärzte und Apotheker. Jetzt gab es in Rekordzeit eine komplette Novellierung und damit ist das Verwenden gefälschter Ausweise strafbar. Aber diese neue Vorschrift gilt nicht rückwirkend für alte Fälle.

Berufsgeheimnis – ja oder nein?

Rechtsanwalt Dr. Morton Douglas hat in einer rechtlichen Einschätzung für den Bundesverband Deutscher Apothekenkooperationen (BVDAK) die Ansicht vertreten, dass die Polizei verständigt werden darf:

  • Sollte diese Option [das Gegenüber ist einverstanden, die Polizei zu benachrichtigen; Anm. d. Red] nicht bestehen oder abgelehnt werden, ist es aus unserer Sicht gleichwohl kein strafbares Verhalten Ihrerseits, wenn Sie die Polizei um Hilfe rufen. Mithin kann man – ohne dass wir dies an dieser Stelle vertiefen möchten – bereits argumentieren, dass hier schon keine Berufsgeheimnisse vorliegen, die in den Genuss gesetzlichen Schutzes kommen. Jedenfalls liegt jedoch insoweit eine Rechtfertigungssituation vor, da Sie ja – s.o. – lediglich potentiell strafbarem Verhalten begegnen, indem Sie die Polizei hinzuziehen.

Rechtsanwalt Teubner dazu:

Dieser Argumentation begegnet man häufig – sie ist aber kritisch zu betrachten, denn die Lösung über die Rechtfertigungsebene impliziert ein tatbestandliches Begehen und setzt einen Abwägungsvorgang voraus. In der Praxis verhält es sich, was ich deutlich erwähnt hatte, so, dass keiner auf die Idee kommen wird, ein Verfahren wegen § 203 StGB einzuleiten. Nach § 203 StGB macht sich aber nun einmal strafbar, wer unbefugt ein fremdes Geheimnis offenbart, das ihm als Apotheker anvertraut worden oder sonst bekanntgeworden ist. Unerheblich ist dabei, dass ein Apotheker qua eigener Prüfung von dem Umstand der Fälschung erfährt. Der Begriff des „Bekanntwerdens“ ist weit zu verstehen. Man kann die Frage stellen, ob in der gegenständlichen Situation dem Apotheker, das Geheimnis in seiner beruflichen Eigenschaft als Apotheker bekannt wird. Dafür muss die Kenntnisnahme in einem inneren Zusammenhang mit der Zugehörigkeit stehen. Hierüber lässt sich diskutieren. Aber von wesentlicher Bedeutung ist, dass der Geheimnisbegriff – aus sehr guten Gründen – selbst keinen Anhaltspunkt dafür eröffnet, bestimmte Informationen als mehr und andere als weniger schutzwürdig zu qualifizieren. Zum Schutzbereich persönlicher Informationen zählen daher auch illegale Geheimnisse, die z.B. Rechtsanwälten, aber auch Ärzten, regelmäßig bekannt werden, wie etwa eine Straftat oder die Vorbereitung einer solchen. Das ändert aber nichts an der Schutzwürdigkeit des Geheimnisses, da es – kurz gesagt – maßgeblich auf den Kontext ankommt, in dem es begründet wurde und nicht auf dessen Qualität.

Eine Rechtfertigung der Offenbarung, etwa gegenüber der Polizei in Form einer Anzeige, kann in der Abwendung der Gefahr einer unbegründeten strafrechtlichen Verfolgung des Schweigepflichtigen bestehen. Das ist anerkannt. Notstandsfähig sind auch Rechtsgüter der Allgemeinheit, sofern es nicht nur darum geht, Strafansprüchen gegen den Geheimnisbetroffenen zur Durchsetzung zu verhelfen. Der sogenannte rechtfertigende Notstand kann auch eingreifen, sofern vom Geheimnisträger eine konkret prognostizierbare (Dauer-)Gefahr ausgeht. Zum Zwecke der Gefahrenabwehr kann sich dann ausnahmsweise auch eine Privatperson auf den Notstand beruft. Dies setzt eine Abwägungsentscheidung und eine persönliche Entscheidung voraus.