Anekdoten, Polemik und Aufklärung

#DerApotheker: Das anonyme Twitter-Phänomen aus der Offizin

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Berlin -

#DerApotheker ist ein Social-Media-Phänomen: Innerhalb von zwei Jahren hat er auf Twitter eine Gemeinde von fast 40.000 Followern aufgebaut – zum Vergleich: Die Abda liegt bei 3500. Es folgten Präsenzen bei Instagram, Facebook, ein eigener Blog und jüngst gar ein eigenes Buch. Wer mehr als seinen Avatar und sein Werk in Erfahrung bringen will, hat es aber nicht leicht: #DerApotheker legt großen Wert darauf, anonym zu bleiben. Was treibt ihn an?

Generischer könnte sein Pseudonym nicht sein: Unter dem Account #DerApotheker gibt ein Pharmazeut in den sozialen Medien Einblick in den Arbeitsalltag, ist dabei nicht selten sarkastisch bis polemisch, nimmt unbedarfte Kunden auf die Schippe und kritisiert das Verhalten von Kollegen, Ärzten und Krankenkassen gleichermaßen. Wer aber herausfinden will, um wen es sich handelt, muss erst einmal unter fast konspirativen Umständen versuchen, an ihn heranzukommen: Im Impressum seines Blogs ist nur eine Hamburger Rechtsanwältin genannt, die den Kontakt nach vorheriger Anfrage bei ihm herstellt. Bis man ihn persönlich spricht, läuft alles beinahe verschwörerisch. Erst am Telefon verrät er – ausnahmsweise, wie er betont – wer er ist, will das aber unter keinen Umständen in der Presse lesen.

„Ich möchte nicht, dass mein Arbeitgeber das weiß, vor allem, weil ich über Kunden schreibe und teilweise auch über Kollegen und Ärzte. Außer ein paar Freunden und Kollegen, denen ich mich anvertraut habe, weiß das niemand“, sagt er. Verdacht habe in seinem Umfeld bisher noch niemand geschöpft, „auch weil ich größtenteils mit älteren Kollegen zusammenarbeite, die nicht so viel im Internet rumhängen“. Doch nicht nur des Friedens am Arbeitsplatz wegen hält er seine Identität geheim, sondern auch wegen des Kernthemas seiner Kritik: Homöopathie und alle, die an sie glauben. „Ich habe einfach keine Lust, dass irgendwelche Leute zu mir in die Apotheke kommen und über das Thema diskutieren wollen. Außerdem habe ich in der Vergangenheit oft gesehen, dass Kritiker in der Debatte sehr schnell persönlich, teilweise sogar handgreiflich, angegriffen werden. Das will ich mir ersparen und deshalb nicht mit Namen und Gesicht da auftreten.“

Seine Haltung zur Homöopathie ist nicht nur eine Randnotiz, sondern war die Initialzündung für seine klandestine Social-Media-Arbeit: „Ursprünglich wollte ich mit meinem Account nur über Homöopathie aufklären“, sagt er. „Denn ich finde, die hat in einer Apotheke nichts zu suchen. Wenn man sich mit den naturwissenschaftlichen Fakten beschäftigt, kann ich nicht nachvollziehen, wie man das als Fachmann verteidigen kann.“ Seine Botschaft vermittelt er dabei nicht nur mit pointierten Aphorismen wie: „Homöopathie ist, einen ‚Wirkstoff‘ immer weiter zu verdünnen und zu denken, dass er am stärksten sei, wenn er nicht mehr da ist, um eine Krankheit zu heilen, gegen die er keine Wirkung besitzt.“ Oder: „Es gibt zwei Arten von Menschen, die Homöopathie anwenden: Die, die es nicht besser wissen, und die, die alles besser wissen. Für Erstere besteht Hoffnung.“ Vielmehr setzt er neben Aufklärung auch auf Unterhaltung: „Ich erzähle im Grunde nur, was im Apothekenalltag passiert“, sagt er.

Dabei kommen dann auf Twitter kurze Dialoge wie der folgende heraus:

KUNDE: Herr Apotheker, was ist der Unterschied zwischen D6 und D12?
APOTHEKER: Bei einer D12-Potenz ist noch viel weniger „Wirkstoff“ drin, deshalb wirkt das viel stärker!
KUNDE: Das verstehe ich nicht, das macht doch gar keinen Sinn!
APOTHEKER: Ganz Genau!

Dass er mit solchen Sprüchen und kurzen Alltagsepisoden einer der reichweitenstärksten Accounts in der Apothekenbranche werden würde, hat er selbst nicht erwartet: „Das war so nicht geplant, ich bin selbst überrascht, wie sich das entwickelt hat.“ Dem Twitter-Account folgten mittlerweile einer bei Instagram, einer bei Facebook sowie ein eigener Blog. Seine Reichweite auf allen Kanälen nutzt er dabei aber nicht nur für Spitzen gegen die Homöopathie, sondern auch für die Aufklärung zu anderen Arzneimittelthemen und häufigen Einnahmefehlern, bei denen er verwundert sei, dass Patienten noch nicht allesamt über sie informiert sind. Einer seiner bisher größten Erfolge war die Reihe „Das hat mir noch nie jemand gesagt“: Darin stellt er auf Twitter kurze Fakten vor, die den meisten Patienten unbekannt sind, und vertieft dann auf seinem Blog für Laien verständlich die pharmazeutischen Hintergründe.

„L-Thyroxin mindestens eine halbe Stunde vor dem Frühstück einnehmen. Bis dahin auf keinen Fall Kaffee mit Milch! Und weil so wenig Wirkstoff drin ist, immer denselben Hersteller verwenden und am besten nicht halbieren, es sei denn, es geht nicht anders“, heißt es da beispielsweise in einem Tweet, ergänzt um den Hinweis: „Falls L-Thyroxin immer falsch eingenommen wurde, zusammen mit Kaffee und Milch zum Beispiel, dann falsch weitermachen, sich neu einstellen lassen und es dann richtig einnehmen.“ Auf seinem Blog erläutert er dann den Grund: „Die Menge an L-Thyroxin, die eingenommen wird, ist sehr gering. Die geringste Dosis beträgt gerade mal 25 µg, das sind 0,025 mg. Die Aufnahme des L-Thyroxins wird durch verschiedene Kationen gehemmt, wie zum Beispiel Calcium, Eisen und Aluminium. In der Milch ist Calcium enthalten. Wird kurz nach der Einnahme von L-Thyroxin ein Kaffee mit Milch getrunken, verhindert das Calcium der Milch die vollständige Aufnahme des Medikaments.“ Allein sein Eintrag über die gängigen Missverständnisse bei Ibuprofen wurde mittlerweile fast eine halbe Million Mal gelesen.

Der Erfolg war so groß, dass ihn sogar eine Literaturagentin kontaktierte und ihm das Angebot unterbreitete, seine Arbeit als Buch herauszubringen. „Ich dachte mir erst: ‚Ich und ein Buch… ich bin froh, dass ich einen Blog schreiben kann‘.“ Doch die Agentin konnte ihn überzeugen, ein Exposé zu verfassen und er leckte Blut: Das Ergebnis erscheint im Frühjahr unter dem Titel „Die Wahrheit über unsere Medikamente“ im renommierten Lübbe-Verlag und basiert lose auf der Reihe „Das hat mir noch nie jemand gesagt“. In 43 Dialogen nähert er sich verschiedenen Arzneimittelthemen und ergänzt dabei Alltagssituationen um kurze Einschübe, in denen er die wissenschaftlichen Grundlagen seiner Aussagen erklärt. Dabei widmet er sich nicht nur weit verbreiteten Fehleinschätzungen zu gängigen Medikamenten, sondern arbeitet sich auch an alternativmedizinischen Arzneimitteln ab. Je ein Kapitel befasst sich mit Schüßler-Salzen, anthroposophischer Medizin und Bach-Blüten – und die Homöopathie erhält als einziges Thema gleich zwei Kapitel.

Seit einem guten halben Jahr hat #DerApotheker darüber hinaus ein neues Betätigungsfeld für sich entdeckt: Maskenverweigerer und Corona-Leugner. Mit denen habe er in seiner Apotheke, die – so viel sei verraten – in einer wirtschaftlich etwas schwächeren Umgebung liegt, überdurchschnittlich viel zu tun. „Ich habe schon in vielen Apotheken gearbeitet, aber was hier passiert, habe ich noch nicht erlebt“, sagt er. Regelmäßig berichtet er in den vergangenen Monaten vor allem über Kunden, die entweder aus Unbedarftheit, Nachlässigkeit oder aber aus abwegigen Überzeugungen heraus ohne Maske in die Apotheke kommen und dann nicht selten mit ihm diskutieren, wenn er sie auffordert, ihre Maske richtig – oder überhaupt – zu tragen. Angesichts des gesellschaftlichen Klimas hat sich hier bewährt, auf Anonymität zu setzen.

„Ich habe teilweise gar keine Lust mehr, mit denen zu diskutieren, weil es mich so ärgert, wenn Leute das immer noch nicht kapiert haben. Außerdem werden manche Leute schon sehr aggressiv in der Apotheke. Ich würde es nicht für unwahrscheinlich halten, dass mir irgendwann jemand auflauert.“ Erschreckender als bei Kunden sei es für ihn, dass er selbst schon Ärzte erlebt habe, die das Thema kleinreden. Dass er für seine Beiträge und vor allem sein anonymes Auftreten auch selbst Kritik einstecken muss, könne er gut nachvollziehen. „Ich lese ständig, ich würde mich hinter meinem Pseudonym verstecken, aber das ist mir komplett egal. Gleichzeitig wird mir vorgeworfen, ich wäre ein Selbstdarsteller. Wenn das so wäre, wäre ich doch nicht anonym.“

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