Medikamentenabhängigkeit

Arzneimittelmissbrauch erkennen – ein Coach gibt Tipps Alexandra Negt, 07.01.2020 10:12 Uhr

Frank Rebmann ist Geschäftsführer des Unternehmens Stärkentrainer. Seit Jahren gibt er verschiedene Seminare für Apothekenmitarbeiter – das Thema Arzneimittelmissbrauch rückt aktuell wieder in den Fokus. Quelle: Stärkentrainer
Berlin - 

Das Erkennen eines Arzneimittelmissbrauchs ist für viele PTA nicht einfach. Wenn man den Verdacht schöpft, dass der Kunde das Präparat nicht fachgerecht einnimmt, kommt die nächste Problematik: Wie spricht man sein Gegenüber richtig auf das Thema an? Kommunikationstrainings können Apothekenteams im Umgang mit dieser Kundengruppe schulen – auch ohne Routine gibt es einige Schlüsselfragen, die die Beratung erleichtern.

„Kommunikationstrainings speziell zum Thema Arzneimittelmissbrauch gewinnen aktuell wieder mehr an Relevanz“, weiß Frank Rebmann, Geschäftsführer der Beratungsfirma Stärkentrainer. Er spricht von der aktuellen Diskussion um Dextromethorphan – das zentral wirksame Antitussivum wird gerade von jungen Männern missbräuchlich verwendet. Aufgrund der aktuellen Warnungen durch die Arzneimittelkomission (AMK) sind die Thematiken Missbrauch und Abhängigkeit wieder ins Bewusstsein gerückt.

Klassische Anhaltspunkte, die auf einen Abusus hinweisen:

  • Beschaffung im Notdienst
  • angebliches Mitbringen für Freunde und Bekannte
  • häufiges Erscheinen in der Apotheke
  • Wunsch nach einem expliziten Produkt
  • die gewünschte Packungsanzahl ist größer 1
  • Ausreden: „verlorene Rezepte“ oder „akute Notlage“
  • Aggressivität bei Abgabeverweigerung
  • Verordnung ist ein Privatrezept
  • Manipulation von Arzneimitteln (Beschwerden wegen Wirkungslosigkeit)

Die allseits bekannten Indikatoren sind laut Rebmann kein Garant mehr für das Erkennen eines Missbrauchs: „Diese allgemeinen Hinweise finden sich überall im Internet. In jedem Forum kann man nachlesen, woran man einen Arzneimittelmissbrauch festmachen kann. Um unauffällig zu bleiben, ändern sich die Methoden.“ Oftmals schickten Jugendliche ihre ahnungslosen Großeltern vor. „Kaufen die einen Hustenstiller, so ist es zurzeit weit weniger auffällig. Menschen, die mehrere Packungen benötigen, gehen einfach in mehrere Apotheken“, berichtet der Kommunikationscoach. Dass Versandapotheken einen Weg darstellten, um große Mengen einzukaufen, sei klar. Für Minderjährige spiele der Onlinehandel wegen der fehlenden Bezahlmöglichkeiten jedoch nur eine untergeordnete Rolle.

Der Kommunikationsexperte appelliert an das pharmazeutische Personal: „Durch die korrekte Art der Beratung kann man nicht nur einen Arzneimittelmissbrauch aufdecken, man kann auch ehrlich dankbare Kunden gewinnen.“ Rebmann bekommt häufig positive Rückmeldung zu seinen Schulungen: „Oftmals erzählen mir PTA, dass die Kunden sich bedankt haben, da sie tatsächlich noch nie auf ein Abhängigkeitsrisiko aufmerksam gemacht wurden.“ Das seien natürlich auch Momente, in denen er stolz auf sich und seinen Lehrauftrag ist. „Der Sinn unserer Trainings ist es auch, dass die stationäre Apotheke sich ihrem Stellenwert bewusst wird. Die wahre Beraterleistung kann zum Alleinstellungsmerkmal werden.“

Offene Fragen

Laut dem Kommunikationsexperten ist es wichtig, das Beratungsgespräch mit offenen Fragen zu führen – hierdurch werde der Kunde aktiv in die Beratung einbezogen: „Geschlossene Fragen führen häufig zu einer lückenhaften Kommunikation, man läuft Gefahr, dass der Kunde in eine ablehnende Haltung verfällt“, gibt Rebmann zu bedenken.

Den „Mutigen“ unter den Apothekenmitarbeitern empfiehlt Rebmann direkte offene Fragen: „Wie wollen Sie das Präparat denn genau anwenden?“, ist hier seine klassische Einsteigerfrage. „Hierdurch fordert man den Kunden direkt zum Dialog auf und kann beispielsweise die ‚netten Großeltern‘ ermitteln. Diese würden zwangsläufig antworten, dass sie das Präparat nur für jemanden mitbringen“, erklärt Rebmann.

Weitere mögliche Fragen sind: „Wer hat Ihnen denn das Präparat empfohlen?“ oder „Warum soll gerade dieses Präparat genau das richtige für Sie sein?“, auch diese Varianten regen den Kunden an zu reagieren. „Durch die jeweiligen Antworten auf diese drei Fragen lässt sich häufig schon ein möglicher Missbrauch feststellen.“

Den eher Zurückhaltenden empfiehlt er den Vorschub eines einfachen Halbsatzes: „Darf ich Sie einmal fragen, wie Sie das Präparat genau anwenden wollen?“ Diese Frage ist zweigeteilt. „Wenn man Menschen zwei Fragen auf einmal stellt, so haben Sie die erste meist direkt vergessen,“ erklärt Rebmann. „Niemand wird mit einem einfachen Nein auf diese Frage antworten. Somit bleibt der Inhalt der gleiche – nur die Art und Weise hat sich geändert.“ Durch diese eher indirekte Frage möchte der Kommunikationstrainer auch eher schüchterne PTA animieren, einen eventuellen Missbrauch aufzudecken. Auch hier gilt für Rebmann: „Nur wer genau nachfragt, kann auch eine vollumfängliche Beratung leisten.“

Kommunikationspuffer

Als dritte Variante bietet Rebmann den Teilnehmern seiner Seminare die begründete Frage an: „Wer hat Ihnen denn das Präparat empfohlen? Ich frage, weil es ein Medikament mit einigen Nebenwirkungen und auch mit einem Abhängigkeitspotential ist.“ Aus Erfahrung weiß der Kommunikationsexperte, dass der Kunde der einen Missbrauch anstrebt, direkt ins Stottern kommt. Gleichzeitig sei dies eine gute Variante, um dem „Frage-Antwort-Spiel“ aus dem Weg zu gehen. Ein tatsächlich überraschter Kunde würde durchaus dankbar sein und Alternativen gerne annehmen.

Rebmann rät bei sehr dominanten Kunden zu sogenannten Kommunikationspuffern: „Sie mildern die Spannung zwischen Meinung und Gegenmeinung ab.“ Durch Sätze wie „Das kann ich gut nachvollziehen“ zeige man Verständnis für den Kunden. „Der darauffolgende Effekt ist, dass auch der Kunde Verständnis für die Beratung hat“, erklärt Rebmann. Im besten Falle habe die PTA einen überraschten Kunden vor sich, der dankbar für eine alternative Empfehlung sei. Am Ende müsse die PTA trotzdem abwägen, ob ein Arzneimittel abgebe oder nicht.

Rebmann berichtet, dass viele PTA mit bestem Fachwissen in die Berufswelt starten – die Kommunikationsfähigkeiten seien jedoch häufig ausbaufähig. „Die jungen Berufseinsteiger müssen sich zum Teil erst einmal herantasten an das Thema Beratung und müssen ausprobieren, mit welchen Arten der Gesprächsführung sie sich wohl fühlen.“ Mittlerweile würden auch immer mehr Schulen das Thema „Praktische Beratung“ ausbauen – zum Teil könnten Schüler in „Spiel-Apotheken“ verschiedene Szenarien immer und immer wieder durchgehen, um selbst den eigenen Beratungsstil zu finden.

„Es gibt unterschiedliche Persönlichkeitsstile, man muss erkennen, zu welchem man gehört, dann kann man die jeweiligen Stärken rausarbeiten und für einen individuellen Kommunikationsleitfaden nutzen“, erklärt Rebmann. So gehe er generell bei jedem seiner Seminare vor: Am Anfang werden die Teilnehmer in zwei Gruppen aufgeteilt, denn Kommunikation sei immer ein Stückweit individuell. „Die Teilnehmer müssen sich wohlfühlen, sonst wird die Beratung nicht authentisch.“

Rebmann möchte in seinen Seminaren individuell auf die Teilnehmer eingehen: Jeder einzelne erfährt im Training, wo natürliche Stärken und Schwächen liegen und wie diese im Berufsalltag eingesetzt werden können. Er coacht nach einer Stärkenanalyse nur die Techniken, die zur jeweiligen Persönlichkeit passen. Die beruflichen Kompetenzen könnten durch diese Vorgehensweise schnell verbessert werden.

Das Unternehmen Stärkentrainer ist auf die Gesundheitsbranche spezialisiert. Es werden zahlreiche Workshops, Seminare, Inhouse-Schulungen und Workshops angeboten. Für Apothekenteams gibt es unterschiedlichste Angebote, die meisten widmen sich der Kommunikation mit dem Kunden. Rebmann arbeitet auch mit der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg sowie dem Wort & Bild Verlag zusammen. Auch mit seinem zweiten Unternehmen Study & Train unterstützt er unterschiedlichste Unternehmen beim Thema Kommunikation. Aktuell sind im Rahmen der „Gehe Akademie“ Webinare für PTA und Apotheker geplant.