Telemedizin

Start für Online-Sprechstunden Julia Pradel, 01.09.2015 10:37 Uhr

Berlin - 

Online-Sprechstunden bei Ärzten sind in Deutschland auf dem Vormarsch: Die Techniker Krankenkasse (TK) startet im September ein Pilotprojekt mit Hautärzten und dem Lübecker Unternehmen Patientus. An dem Schweriner Start-up arztkonsultation.de hat sich im Juni das Land Mecklenburg-Vorpommern mit 150.000 Euro beteiligt.

Die TK arbeitet mit Patientus und dem Bundesverband Deutscher Dermatologen (BVDD) zusammen. Im Rahmen des Pilotprojekts sollen Patienten, die bereits beim Arzt waren, die Möglichkeit erhalten, statt weiterer Termine in der Praxis die Online-Sprechstunde nutzen zu können. Ob sich eine Nachuntersuchung dafür eignet, entscheidet der Arzt.

Er gibt den Patienten gegebenenfalls einen Code für einen Termin in der Online-Sprechstunde mit. Diese läuft über Patientus. Das Unternehmen bietet eine Webseite, die auf verschiedenen Browsern aufgerufen und verwendet werden kann. Über Videotelefonie kann der Arzt dann etwa kontrollieren, ob eine Salbe wirkt und die Hautschwellung zurückgegangen ist oder ob eine OP-Wunde richtig heilt.

Aus Sicht der TK ist die Dermatologie ein Bereich, der sich besonders für die Online-Sprechstunde eignet. Im Rahmen des Pilotprojekts erproben zunächst fünf Hautärzte in Bayern, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz die Technik. Nach drei Monaten sollen sich rund 100 Dermatologen beteiligen. „Das neue Angebot bietet für Wiederholungstermine eine Alternative zur normalen Sprechstunde“, sagt Klaus Rupp, Leiter des TK-Versorgungsmanagements.

Ärzte, die Patientus nutzen wollen, zahlen im Monat entweder 29 Euro – und verpflichten sich für ein Jahr – oder 59 Euro im monatlich kündbaren Premiumtarif, mit dem sie auch Vor-Ort-Termine planen können. Die Gesprächsgebühren für die Patienten können sie selbstständig festlegen.

Für Ärzte, die sich am TK-Pilotprojekt beteiligen, übernimmt die Krankenkasse diese Kosten. Den Ärzten zahlt die Kasse einen Festbetrag pro Patient – über die Höhe schweigt man sich aus. Aber der besondere Aufwand der Ärzte werde berücksichtigt, so ein Sprecher. Die telemedizinische Beratung würden die Ärzte direkt mit der TK abrechnen, die Versicherten müssten nicht in Vorleistung gehen.

Aus Sicht der TK hat die Online-Sprechstunde nur Vorteile: „Patienten ersparen sich Wege und Wartezeiten, Ärzte volle Wartezimmer.“ Für Ärzte bedeute das Pilotprojekt den Einstieg in eine neue Form vergüteter Arbeit. Und Patienten biete die Video-Sprechstunde „perspektivisch ein medizinisches Angebot auch dort, wo keine Strukturen vorhanden sind – zum Beispiel in ländlichen Gebieten“.

BVDD-Präsident Dr. Klaus Strömer setzt in seiner Praxis in Mönchengladbach als einer der ersten Ärzte die Patientus-Software ein. „Wenn der Patient einmal in meiner Praxis war, reichen zur Nachkontrolle oft ein kurzer Blick und ein kurzes Gespräch – dafür muss sich künftig kein Patient mehr auf den Weg in meine Praxis machen“, erklärt er. Besonders Änderungen der Medikation, die Abklärung des Krankheitsverlaufs und Patientenschulungen hält der Dermatologe für geeignete Themen für die Online-Sprechstunde.

Patientus startete seine Testphase im Juli 2014 und ist seit August für alle Ärzte geöffnet. Inzwischen nutzen laut Patientus-Gründer Nicolas Schulwitz rund 150 Ärzte das Portal. Schulwitz kam die Idee, als er 2009 an der Mayo Clinic im US-Bundesstaat Minnesota hospitierte. „Damals haben die dort mit der Telemedizin begonnen“, erzählt er. Patientus bietet Verbrauchern neben den Sprechstunden für Bestandspatienten auch die Möglichkeit, sich einen Arzt für die Online-Konsultation auszusuchen. Dabei vermittelt das Portal den Kontakt.

Das geht Dr. Ole Roßbach, Geschäftsführer bei arztkonsultation.de, zu weit. Er hat seinem Angebot daher enge Grenzen gesetzt: Erstgespräche und Zweitmeinungs-Anfragen werde es nicht geben, auch auf das Hochladen von Bildern oder Dokumenten sei bewusst verzichtet worden. „Sonst ist es zu nah an einer digitalen Krankenakte“, erklärt Roßbach.

Roßbach sieht arztkonsultation.de nicht als Marketinginstrument für das Gewinnen neuer Patienten, sondern ausschließlich als Angebot für bestehende Patienten. Das Angebot von arztkonsultation.de nutzen laut Roßbach rund 40 Ärzte, insbesondere Psychiater, aber auch Hausärzte, Dermatologen und Augenärzte.

Ein regionaler Trend lasse sich nicht erkennen, so Roßbach: Auf dem Land werde das Angebot vor allem wegen der langen Anfahrtswege genutzt, in Städten eher als Service für Berufstätige. Roßbach setzt ebenfalls auf Kooperationen mit Krankenkassen; die Verhandlungen mit verschiedenen Kassen laufen aber noch. Das Portal kostet die Ärzte 59 Euro im Monat und ist monatlich kündbar. Das Start-up war nach eigenen Angaben im Mai 2014 das erste Portal für Online-Sprechstunden auf dem deutschen Markt.

Für das Geschäftsmodell gibt es enge Grenzen. Diagnose und Therapie müssen immer im persönlichen Kontakt zwischen Arzt und Patient besprochen werden. In der Berufsordnung der Ärzte ist geregelt, dass Ärzte eine „individuelle ärztliche Behandlung, insbesondere auch Beratung, nicht ausschließlich über Print- und Kommunikationsmedien durchführen“ dürfen. Auch bei telemedizinischen Verfahren ist zu gewährleisten, dass ein Arzt den Patienten unmittelbar behandelt.

Die Bundesregierung wirbt schon länger für den Ausbau der Telemedizin. Allerdings streiten die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und der GKV-Spitzenverband noch über die Vergütung telemedizinischer Leistungen. Im Rahmen des GKV-Versorgungsstrukturgesetzes (GKV-VStG), das 2012 in Kraft getreten war, hatte der Gesetzgeber Ärzte und Kassen damit beauftragt, den Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) darauf zu überprüfen, welche vertragsärztlichen Leistungen auch telemedizinisch erbracht werden könnten.

KBV und GKV-Spitzenverband haben sich 2013 auf eine Rahmenvereinbarung zur Überprüfung des EBM verständigt. Dort wurden die Grenzen für die Telemedizin festgelegt: „Eine telemedizinische Behandlung kann nur umgesetzt werden, wenn sichergestellt ist, dass für diese Patienten regelmäßig und in angemessener Weise persönliche Arzt-Patienten-Kontakte stattfinden.“

Als erste telemedizinische Leistung sollte die Funktionsanalyse eines implantierten Kardioverters beziehungsweise Defibrillators in den Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) aufgenommen werden. Bislang konnten sich KBV und GKV-Spitzenverband allerdings nicht einigen. Die Kassen sehen keinen Zusatznutzen, die Ärzte werfen ihnen eine „Blockadehaltung“ vor.

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