Ausnahmegenehmigungen

Sterbehilfe: BfArM wettert gegen Spahn Tobias Lau, 04.07.2019 15:21 Uhr

Weisung aus dem BMG: Dr. Peter Cremer-Schaeffer, Leiter der Bundesopiumstelle, kritisiert den Prüfaufwand bei Sterbehilfe. Foto: Andreas Domma
Berlin - 

Im Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) herrscht Unmut über die Weisung von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), die Anträge von Todkranken auf Medikamente zur Selbsttötung pauschal abzulehnen. Das geht aus einem internen Schreiben hervor, dass die Behörde dem Tagesspiegel vorlegen musste. Sterbenskranke Patienten müssen dennoch komplizierte Anträge einreichen, die aufwendig geprüft werden – obwohl das Ergebnis bereits im Vornherein feststeht.

„Egal ob das BfArM nun inhaltlich prüft und Versagungsbescheide begründet oder auch nicht: Die Bescheide werden ab nun mit dem Makel behaftet sein, dass sie – anstelle einer ordnungsgemäßen inhaltlichen Prüfung – nach Weisung erfolgten“, hatte Dr. Peter Cremer-Schaeffer, der Leiter der bim BfArM angesiedelten Bundesopiumstelle, in einer internen E-Mail angemerkt. Das Schriftstück hatte die Leitung der Behörde auf Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG) an den Tagesspiegel herausgeben müssen. Die zuständigen Mitarbeiter des BfArM befänden sich demnach in einem „Dilemma bei der Antragsbearbeitung“, denn es erscheine ihnen als „nicht vertretbar“, die Anträge inhaltlich zu prüfen, „wenn das Ergebnis der Entscheidung vor der Antragsbearbeitung bereits feststeht“.

Das Problem hat vor allem eine moralische Dimension: Denn die sterbenskranken Antragssteller werden im Rahmen des Verfahrens regelmäßig aufgefordert, reihenweise Unterlagen und Dokumente einzureichen, darunter medizinische Gutachten und Patientendaten. Diese werden dann vom BfArM in einem aufwendigen Prüfverfahren unter die Lupe genommen, nur um am Ende ohnehin abgelehnt zu werden. Nach außen spricht die Behörde von sorgfältiger Einzelfallprüfung und Berücksichtigung individueller Umstände. Auf Nachfrage will ein Sprecher die interne Mail nicht kommentieren und beruft sich auf den offziellen Standpunkt des BfArM: „Jeder Antrag ist ein individueller Antrag, der sorgfältig geprüft und bearbeitet wird.“

Auch Widersprüche gegen die Bescheide werden kategorisch zurückgewiesen. 18 Mal ist das laut Tagesspiegel bereits geschehen, in acht Fällen sind die Betroffenen gegen den Widerspruch vor Gericht gezogen. Todgeweihte verbringen ihre letzten Lebensmonate somit oft mit bürokratischem Streit und das vollkommen umsonst. Seit das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) 2017 entschieden hat, dass passive Sterbehilfe in Extremfällen zulässig sei, sind beim BfArM laut eigenen Angaben 127 Anträge auf den Erwerb tödlich wirkender Betäubungsmittel eingegangen. 93 wurden endgültig abgelehnt, in 24 Fällen sind die Patienten während der Bearbeitungszeit verstorben.

Dem BVerwG-Urteil vom März 2017 war der Fall einer Frau vorangegangen, die beim BfArM die Erlaubnis beantragt hatte, 15 Gramm Natrium-Pentobarbital zu erwerben. Der Antrag wurde abgelehnt, die Frau nahm sich daraufhin in der Schweiz das Leben. Ihr Mann hatte sich durch die Instanzen geklagt, bis das BVerwG ihm schließlich recht gab und urteilte, dass Ausnahmegenehmigungen möglich sein müssten. Ende Juni 2018 hatte Spahn sich jedoch über das Urteil des Gerichts hinweggesetzt und die Anweisung ausgegeben, dass diese Anträge pauschal abzulehnen seien.

Erst gestern hatte Spahn sein Vorgehen in einem Interview mit der katholischen Wochenzeitung „Die Tagespost“ verteidigt. Er begründete sie mit dem Bundestagsbeschluss, dass Sterbehilfe nicht gewerbsmäßig erfolgen dürfe. „Wenn ich dem Gedanken folge, darf ich keinem Bundesamt erlauben, Arzneimittel zur Selbsttötung abzugeben. Denn das wäre die höchste Form der organisierten Sterbehilfe – über die Staatsorganisation, eine Behörde“, so Spahn. Das hätte ihm zufolge fatale Konsequenzen. „Denn der Beamte im BfArM würde am Ende – und zwar völlig zu Recht – mich fragen: Herr Minister, nach welchen Kriterien soll ich jetzt entscheiden? Um es klar zu sagen: Es widerstrebt allem, woran ich glaube und was ich denke, dass am Ende Beamte und Minister die Kriterien festlegen, nach denen jemand mit Staatsunterstützung sterben darf oder nicht.“ Das könne „ganz schnell auf die ganz schiefe Bahn“ geraten, so Spahn. Als Beispiel nennt er die Niederlande. Dort seien viele von denen, die Mittel zur Sterbehilfe bekommen, demenzkrank. „Und ob das in jedem Fall die eigene Entscheidung der Demenzkranken war, dahinter setze ich zumindest ein Fragezeichen.“

Ebenfalls gestern hatte der Bundesgerichtshof (BGH) ein Urteil gefällt, das von vielen als potentiell wegweisend in der Sterbehilfedebatte gesehen wird. Demnach sind Ärzte nicht verplfichtet, Patienten nach einem Suizidversuch gegen deren Willen das Leben zu retten. Er hatte damit den Freispruch zweier Ärzte bestätigt, die körperlich kranke Patienten nach der Einnahme tödlicher Medikamente bis zum Tod begleitet hatten. Die FDP-Bundestagsabgeordnete Katrin Helling-Plahr, Mitglied im Gesundheits- und im Rechtsausschuss, sieht darin ein Referenzurteil. „Das rechtliche und moralische Dilemma, vor dem Ärzte angesichts des Sterbewunsches eines Patienten standen und stehen, ist untragbar. Jetzt ist klar, dass der individuelle Patientenwunsch Vorrang genießt“, so Helling-Plahr. „Dieses Urteil gibt allen Befürwortern einer Liberalisierung der Sterbehilfe Rückenwind.“