Kommentar: Maskenchaos, Impfdebakel und Kanzlerperspektive

Stimmen statt Spritzen: Spahn und die Coronakrise

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Berlin -

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat eigentlich gerade mehr als genug um die Ohren: Denkt man nicht in Wirtschaftszahlen, sondern in Menschenleben, führt er momentan das wichtigste Ressort am Kabinettstisch. Und es gibt viel zu stemmen: Die Impfungen sollen die Pandemie beenden, kostenlose Masken bis dahin Risikogruppen schützen und die Menschen müssen sich darauf verlassen können, dass nicht Triage-Entscheidungen ihr Lebensende besiegeln, weil die Klinikkapazitäten ausgeschöpft sind. Vor allem in den letzten Wochen zeigt sich aber, wie sehr Spahn die Krise auch als Chance für seine eigene Karriere begreift, kommentiert Tobias Lau.

Es ist schon ein bemerkenswerter Aufstieg: Spahn hatte schon seit Jahren kräftig an seinem Macher-Image gearbeitet, die Rolle als Sympathieträger blieb ihm dennoch stets verwehrt. Dann kam die Covid-19-Pandemie und Spahn zieht sogar knapp an der Kanzlerin vorbei. Nach außen dürfte dieses Macher-Image dabei eine entscheidende Rolle gespielt haben. Doch der Aufstieg erfolgt auf dem Rücken derer, denen er seinen Aktionismus zumutet: Im Gesundheitswesen wächst der Frust angesichts des Spahn’schen Herrschaftsgebarens. Jeder Apotheker, der im Dezember innerhalb von Tagen – ach was: Stunden – die kostenlose Abgabe zehntausender Masken organisieren musste, kann davon ein Lied singen. Und das hat auch eine Strophe über den Vertrauensvorschuss, den Spahn von ihnen verlangt: Als die Aktion anlief, war die dazugehörige Verordnung samt finaler Vergütung noch nicht mal veröffentlicht. Auch das ist ein bemerkenswerter Vorgang.

Das Ministerium trifft eine Entscheidung, reicht sie nach unten durch und die Untertanen müssen auf eigenes Risiko ihr Bestes geben, sie umzusetzen. Vorherige Konsultation? Fehlanzeige! Spahn hat die Krise auch genutzt, sich neue Macht zu verschaffen, und verordnet nun noch mehr von oben herab als zuvor schon. Von einer umfassenden Strategie gegen das Virus ist aber nach wie vor nicht viel zu erkennen, der besondere Schutz von Risikogruppen beschränkt sich auf die Abgabe kostenloser Masken. Und auch die chaotische Realität passt nicht zum Macher-Image: Vom Hin und Her bei Coronatests in Apotheken bis zur Verteilung schwerkranker Covid-Patienten unter den Kliniken. Im November forderten Ärzteverbände die Politik auf, diese Verteillogistik endlich zu verbessern. Dass die zweite Welle höchstwahrscheinlich kommt, war schon im Sommer kein Geheimnis. Geschehen ist trotzdem nichts.

Wie viel blindes Vertrauen man sich da erlauben dürfte, zeigt auch das Debakel beim Impfstart. Auch hier hat sich Spahn nicht mit Ruhm bekleckert, sondern beschwichtigt und geschwiegen, als die Engpässe schon abzusehen waren. Von anderen Aktionen wie der Bestellung hunderter Millionen Ramsch-Masken durch sein Haus und fragwürdigen Logistik-Deals mit Unternehmen aus seiner regionalen und politischen Heimat ganz abgesehen.

Doch Spahn lernt offensichtlich von seiner Chefin, auch an ihm bleibt nichts haften. Allerdings: Anders als sie arbeitet er auch selbst eifrig daran, dass das so bleibt. Nicht nur sichert er sich durch seinen Google-Deal die Meinungshoheit seines Ministeriums gegenüber freien Medienanbietern im Gesundheitsmarkt und damit auch perspektivisch bei konfliktreichen Themen wie der Digitalisierung des Gesundheitswesens – ein für eine offene Demokratie unerhörter Vorgang.

Spahn geht noch viel weiter, nämlich wenn er Medien abmahnen lässt, die über den Kauf seiner Millionenvilla berichten. Dabei besitzt er noch weitere Wohnungen in Berlin und wer den dortigen Wohnungsmarkt genauso kennt wie Spahns persönlichen Hintergrund, kann sich schon denken, welche Fragen als nächstes aufkommen: Woher hat der Mann die Millionen? Doch solche Fragen, öffentlich gestellt, sind natürlich Gift für ambitionierte Spitzenpolitiker, die über sich selbst nur noch den blauen Himmel sehen wollen. Der Gesundheitsminister kauft sich inmitten der größten Gesundheits- und Wirtschaftskrise dieser Generation eine Millionenvilla und es ist fragwürdig, woher er das viele Geld dafür hat. Doch er selbst verwehrt sich der Berichterstattung darüber, weil er das vorgeblich als Privatangelegenheit betrachtet. Dazu braucht es schon eine Menge Chuzpe – oder aber Angst vor den richtigen Fragen.

Da passt nur ins Bild, dass er die letzten Wochen offensichtlich auch dazu genutzt hat, auszuloten, wie seine Chancen in der Partei stehen, sich noch in diesem Jahr als Kanzlerkandidat in Stellung zu bringen – und dabei auf seine jüngst gestiegenen Beliebtheitswerte verweist. Selbstverständlich: Jeder Spitzenpolitiker denkt auch an seinen eigenes Fortkommen und braucht dazu Mehrheiten. Die innerparteiliche Demokratie ist ein hohes Gut, das es zu schützen gilt. Dass er von der Spitze bis zur Basis auslotet, mit wie viel Unterstützung er rechnen kann, wäre deshalb zwar mit Blick auf Armin Laschet nicht gerade ein Zeichen der Loyalität, aber unter normalen Umständen ein unverfänglicher Vorgang.

Die Umstände sind aber nicht normal. Bei einem Apotheker, der in einer wirtschaftlich unberechenbaren Zeit auf eigenes Risiko umsetzen muss, was ihm das BMG ohne Vorwarnung aufträgt, oder aber bei einem Arzt oder Pfleger, dem immer mehr Covid-Patienten unter den Händen wegsterben, dürfte nur wenig Verständnis dafür zu erwarten sein, dass Spahn nur über sie, aber nicht mit ihnen spricht. Dass er sich nur mit der Basis abspricht, wenn es um seinen eigenen Aufstieg geht. Und dass er sich die Zeit dafür auch noch nimmt, während so viele buchstäblich lebenswichtige Fragen weiterhin offen sind.

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