Exportverbote aufheben statt Patente zu enteignen

Patente und Populismus: Geholfen ist damit niemandem

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Berlin -

Die Logik hinter den Forderungen nach Aufhebung des Patenschutzes von Corona-Impfstoffen ist auf den ersten Blick nachvollziehbar: Reiche westliche Länder fördern die Impfstoffentwicklung und versorgen dann erst sich selbst, bevor sie den Segen der Immunisierung an den ärmeren Teil der Weltbevölkerung durchreichen. Die Konzerne verdienen währenddessen Milliarden am Impfstoff, die ohnehin Benachteiligten werden ein weiteres Mal hinten angestellt. Allerdings: So einfach ist es leider nicht, kommentiert Tobias Lau.

Der schlechte Ruf der globalen Pharmaindustrie tut sein Übriges, die Forderung nach der Enteignung geistigen Eigentums legitim erscheinen zu lassen. Und so viel sei auf jeden Fall gesagt: Vielleicht nicht unbedingt der Pharma-Mittelstand, mit Sicherheit aber die großen Konzerne sind nicht schuldlos zu diesem Ruf gelangt. Von fragwürdigen Geschäftspraktiken bis hin zu haarsträubenden Skandalen haben sie ihn sich oftmals selbst zuzuschreiben. Doch wovor die Befürworter der Patententeignung nicht die Augen verschließen sollten: Wenn die Patente freigegeben werden – wer wird denn dann in den Ländern des globalen Südens die Impfstoffe produzieren? Landwirtschaftliche Kollektive in Subsahara-Afrika?

Wohl kaum. Es werden schlicht andere Pharmakonzerne sein. Und ein Blick in Länder wie China oder Indien zeigt, dass die in puncto Ausbeutung, Umweltverschmutzung und unethische Geschäftspraktiken ihren Konkurrenten in nichts nachstehen – sondern eher noch schlimmer sind. Wer jetzt dem Reflex folgt, die bösen westlichen Pharmakonzerne enteignen zu wollen, um den ärmeren Teil der Weltbevölkerung mit Impfstoffen zu versorgen, darf nicht die Augen davor verschließen, dass der Ball dann im selben Spielfeld bleibt – und sich eher Geschäftsleute und korrupte Staatsmänner die Taschen vollstopfen können, die weit weniger demokratisch-rechtsstaatlicher Kontrolle unterliegen. Die Beispiele dafür sind Legion.

Doch all das sind schon Erwägungen, die am eigentlichen Problem vorbeigehen. Denn worum es gehen muss, ist die Frage, wie denn nun endlich dafür gesorgt werden kann, dass auch wirtschaftlich schwache Regionen der Welt zügig mit Impfstoff versorgt werden. Und da ist stark zu bezweifeln, dass Patentverzicht oder -entzug wirklich etwas am Problem ändern würden.

Denn die Biden-Administration macht sich mit ihrer Initiative der Bigotterie schuldig: Sie schiebt die Schuld an diejenigen Unternehmen und ihre Wissenschaftler weiter, denen die historische Leistung erst zu verdanken ist, nur ein knappes Jahr nach Erstbeschreibung des Virus bereits hochwirksame Impfstoffe zu besitzen. Und das sind eben nicht die großen Pharmakonzerne: 20 Jahre lang haben Experten an der mRNA-Technologie geforscht, nun sollen sie um ihren Erfolg gebracht werden. Um die neuartigen Impfstoffe produzieren zu können, müsste man den Firmen auch ihr Wissen etwa um Lipidtechnologien entreißen – das ja gerade nicht nur für die Corona-Impfstoffe genutzt werden soll. Doch selbst dieser Blick auf die Patente geht an der eigentlichen Frage vorbei.

Denn nicht vergessen werden sollte, warum es auch hierzulande gerade zu Beginn der Impfkampagne so erhebliche Engpässe gab: Es waren die USA (aber auch Großbritannien!), die die Schleusen komplett geschlossen haben, als ihre Impfkampagnen anliefen. Als die Produktion dort in Fahrt kam, hat die US-Regierung per Kriegswirtschaftsdekret de facto Exportverbote beschlossen – die nicht nur die fertigen Impfstoffe, sondern auch für die Herstellung unverzichtbare Vorprodukte wie die Lipide für die mRNA-Impfstoffe betrafen.

Nun also, da die Impfkampagne in den USA kurz vor dem Abschluss steht und es mancherorts eher zum Problem wird, überhaupt noch Impfwillige zu finden, entdeckt die Regierung Biden plötzlich ihr Herz für den globalen Süden. Gleichzeitig hält sie dennoch an Exportverboten fest: Das Tübinger Unternehmen CureVac beispielsweise beklagt, zwar technisch zur Herstellung in der Lage zu sein, aber nicht ausreichend produzieren zu können, weil die notwendigen Vorprodukte nicht ins Land kommen. Die EU wiederum kann da für sich kein moralisches Oberwasser reklamieren: Sie hat auf die Exportbeschränkungen der USA und Großbritanniens damit reagiert, selbst welche einzuführen.

Sollen ärmere Länder schneller und umfangreicher als bisher mit Impfstoffen versorgt werden – und das müssen sie! – sollten sich USA und EU eher Gedanken machen, wie sie die Produktion besser unterstützen können und gewährleisten, dass die Impfstoffpreise für diese Länder gerecht geregelt werden – oder ihnen durch faire Verträge helfen, eigene lizensierte Produktionen aufzubauen. Das braucht aber Zeit. Bis dahin könnten sie Geld in die Hand nehmen und Initiativen aufsetzen, um ihnen Impfstoffkontingente aus hiesiger Produktion unentgeltlich zukommen lassen. Bei anderen Impfstoffen und Arzneimitteln wird das schließlich seit Jahrzehnten so gehandhabt. Vom Entzug von Patenten hingegen entsteht in Zentralafrika oder Südostasien kein einziges Impfstoffwerk, geschweige denn das notwendige hochqualifizierte Personal und die Lieferketten für Hochtechnologieprodukte über Nacht. Die Forderung nach Patentaufhebung ist deshalb vor allem eins: populistisch.

 

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