Rx-Boni

Richter feiern sich für EuGH-Coup

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Berlin -

Eigentlich musste das Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG) im zwischenzeitlich beigelegten Boni-Streit nur noch über die Verfahrenskosten entscheiden. Das wäre nach dem eindeutigen EuGH-Urteil normalerweise keine große Sache gewesen. Doch nach dem Erfolg seiner Vorlagefragen in Luxemburg legen die Richter ausführlich dar, warum die Preisbindung auch aus ihrer Sicht kein geeignetes Mittel ist, um die flächendeckende Versorgung zu belegen.

Der richtungsweisende Prozess um Rx-Boni war auf recht unspektakuläre Weise zu Ende gegangen. Nachdem der EuGH ausländische Versandapotheken von der Preisbindung freigesprochen hatte, wäre der Fall eigentlich zurück vor das OLG gegangen. Die klagende Wettbewerbszentrale wäre mit der Deutsche Parkinson Vereinigung (DPV) wegen der DocMorris-Boni gerne noch vor den Bundesgerichtshof (BGH) gezogen. Doch die DPV hatte überraschend eine Unterlassungserklärung abgegeben, sodass die Wettbewerbszentrale zähneknirschend einer Einstellung des Verfahrens zustimmen musste.

Weil sich die DPV mit der Unterlassungserklärung „freiwillig in die Rolle des Unterlegenen“ begeben hätte, wollte die Wettbewerbszentrale nicht auch noch die Verfahrenskosten tragen. Doch das Gericht stimmte mit der Gegenseite überein, dass der Ausgang des Verfahrens klar gewesen wäre. Das OLG wäre an den Spruch aus Luxemburg gebunden gewesen: „Die Klage wäre bei Fortführung des Verfahrens abzuweisen gewesen. Sie ist unbegründet“, heißt es im jetzt veröffentlichten Beschluss vom 25. April. Deshalb wurden der Wettbewerbszentrale alle Verfahrenskosten auferlegt. So weit, so einfach.

Doch die Beteiligten hatten noch Klärungsbedarf: So bemerkte die Wettbewerbszentrale, dass dem EuGH-Urteil aufgrund der mangelnden Kompetenz der EU für das Gesundheitswesen keine abschließende Bedeutung für Boni-Streit zukomme. Der EuGH habe zudem nicht entschieden, ob die Preisbindung aus anderen Gründen – etwa dem Schutz der Sozialsysteme – zu rechtfertigen sei. Grund dafür sei die vom OLG beschränkte Vorlagefrage gewesen.

Das wollten die Düsseldorfer Richter nicht auf sich sitzen lassen. Zwar liege die Verantwortung für die Gesundheitspolitik bei den Mitgliedstaaten, die Maßnahmen müssten aber trotzdem mit dem EU-Recht kompatibel sein. Tatsächlich ließen sich mit der Sicherstellung der Arzneimittelversorgung auch Beschränkungen der Warenverkehrsfreiheit rechtfertigen, nur habe der EuGH die Preisbindung nicht als gerechtfertigt angesehen. „Hier ist das Vorbringen der Bundesregierung offensichtlich schon im Rahmen der Schlüssigkeitsprüfung gescheitert“, heißt es im Beschluss.

Erneut vor den EuGH muss die Sache daher aus Sicht des OLG nicht: „Es hätte bei Fortführung des Verfahrens keine Veranlassung gegeben, die vom Kläger als zu eng beanstandeten Vorlagefragen des Senats zu erweitern und ein weiteres Vorabentscheidungsersuchen einzuleiten.“ Die Regierung habe weder in der Gesetzesbegründung noch im zwischenzeitlichen Vertragsverletzungsverfahren gegenüber der EU-Kommission neue Gründe für die Rechtfertigung der Preisbindung ins Feld geführt.

Das OLG zitiert zudem eine frühere EuGH-Entscheidung, wonach nur eine erhebliche Gefährdung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit eine solche Beschränkung rechtfertigen könne. Das liege hier nicht vor. Ganz abgesehen davon könnte es ohne eine Preisbindung zu niedrigeren Preisen kommen, was dem System der sozialen Sicherheit zugutekommen könnte, so das OLG.

Aus Sicht der Wettbewerbszentrale hätte die Gegenseite beweisen müssen, dass die Preisbindung den ihr zugeschriebenen Zweck nicht erfüllt. Das OLG hätte es aber als ungerecht empfunden, wenn eine Partei nicht nur das Vorliegen der Voraussetzungen eines Verstoßes gegen Europarecht beweisen müsste, sondern „auch noch den (Negativ)Beweis für das Nichtvorliegen der Voraussetzungen einer Ausnahme“.

Und dann zieht das OLG das Gutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen „Bedarfsgerechte Versorgung“ aus dem Jahr 2014 aus dem Ärmel, auf das sich auch die EU-Kommission in ihrem Vertragsverletzungsverfahren gestützt hatte. Das Beratergremium habe schon damals wettbewerbshemmende staatliche Regulierungen im Apothekenbereich moniert.

Der Sachverständigenrat habe sodann zwölf Deregulierungsmittel vorgeschlagen, erinnern die OLG-Richter. Dazu zählen die Aufhebung des Fremd- und Mehrbesitzverbots, Selektivverträge zwischen Kassen und Apothekern, Dispensierrecht für Ärzte, Aufhebung des Selbstbedienungsverbots für OTC-Arzneimittel, die räumliche Integration von Apotheken in andere Läden, der Einsatz von Apothekenbussen und eben die Ersetzung der Preisbindung durch eine „Apothekertaxe“ mit Preisobergrenzen.

Die Annahme des EuGH, „mehr Preiswettbewerb unter den Apotheken fördere die gleichmäßige Versorgung mit Arzneimitteln dadurch, dass Anreize zu Niederlassung in Gegenden gesetzt würden, in denen wegen der geringen Zahl von Apotheken höhere Preise verlangt werden könnten“, sei also keineswegs „rein hypothetischer Natur“, so das OLG. „Sie beruht vielmehr auf einer umfassenden Auswertung der Fakten durch Fachleute unter Berücksichtigung der Komplexität der Systeme und ist vom Gesetzgeber ernsthaft zu prüfen.“ Nichts anderes habe der EuGH getan und sie für schlüssig befunden. Die Stellungnahme der Bundesregierung führe zu keiner anderen Beurteilung. Diese habe sich mit dem Gutachten auch nicht auseinandergesetzt.

Die Wettbewerbszentrale hatte noch eine Studie der Unternehmensberatung Sempora vorgelegt. Laut einer Befragung würde demnach ein Rx-Bonus von 2 Euro im Versandhandel sehr wohl gravierende Auswirkungen auf die Apothekendichte haben.

Die Richter fanden die Schlussfolgerungen falsch: Es hätten nämlich nur 21 Prozent der Befragten angegeben, in einem solchen Fall ihr Rezept „immer“ bei einer Versandhandelsapotheke einlösen zu wollen. 30 Prozent hätten angeben, dies „meistens“ tun zu wollen. „Hieraus lassen sich verlässliche Daten zur Berechnung eines den niedergelassenen Apotheken drohenden Umsatzeinbruchs nicht entnehmen“, so das OLG. Der von der Wettbewerbszentrale abgeleitete Rohertragsverlust von 100.000 Euro pro niedergelassener Apotheke sei ebenfalls zu pauschal.

Man müsse zwischen den Standorten differenzieren, so das OLG. Denn selbst ein Patient mit enger Bindung zur „Hausapotheke“ löse sein Rezept des Öfteren in unmittelbarer räumlicher Nähe zu dem Arzt ein, der das Rezept ausgestellt habe. Das wüssten die Richter aus eigener Erfahrung, es werde zudem auch im Gutachten des Sachverständigenrates bestätigt.

Die Wettbewerbszentrale hatte auch moniert, dass der EuGH sich nicht mit den Erwägungen oberster nationaler Gerichte auseinander gesetzt habe. Das stelle wegen des sogenannten Kooperationsverhältnisses die Relevanz des EuGH-Urteils vom 19. Oktober in Frage. Auch das sah das OLG anders, da der gemeinsame Senat der obersten Gerichte des Bundes und der Bundesgerichtshof (BGH) keine EU-rechtliche Relevanz gesehen hätten, der EuGH dagegen schon. Einer schriftlichen Auseinandersetzung mit den Argumenten dieser nationalen Gerichte habe es daher nicht bedurft.

Die Verfahrenskosten seien nicht stets der Partei aufzuerlegen, die sich freiwillig in die Rolle des Unterlegenen begeben habe. DPV/DocMorris habe unzweifelhaft zum Ausdruck gebracht, dass die Unterwerfung nicht auf der Ansicht beruhe, die Klage hätte Erfolg gehabt. Dagegen spricht aus Sicht des OLG schon die 72-seitige Auseinandersetzung zu den Erfolgsaussichten der Klage.

Zum Schluss hält das OLG noch diese Einschätzung bereit: „Dass sich der Beklagte gleichwohl unterworfen hat, überrascht daher außerordentlich.“ Dass die DPV keinen Grund genannt und die Zusammenarbeit mit DocMorris beendet habe, bedeute nicht zwangsläufig, dass dies „freiwillig“ geschehen sei. „Welchen Druck die EuGH-Entscheidung in Apothekerkreisen und Politik aufgebaut hat, konnte die Öffentlichkeit der anschließenden Berichterstattung entnehmen. Dass dieser Druck auch den Beklagten erfasst hat – in welcher Form auch immer –, erscheint vor diesem Hintergrund sehr gut möglich, wenn nicht sogar wahrscheinlich“, so das OLG.

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