BMG-Datenaffäre

Nichts überwunden, nichts gefunden, alles gelöscht Alexander Müller, 05.04.2019 15:13 Uhr

Im Prozess um die Datenaffäre des BMG haben die Verteidiger ihre Plädoyers gehalten. Foto: Andreas Domma
Berlin - 

Vor dem Landgericht Berlin wurden heute die Plädoyers der Verteidigung in der BMG-Datenaffäre abgeschlossen. Die Verteidiger beider Angeklagter forderten Freispruch und gingen mit der Staatsanwaltschaft hart ins Gericht. Denn weder sei der angeklagte Straftatbestand einschlägig, noch habe die Staatsanwaltschaft irgendwelche konkreten Beweise vorgelegt. Das Gericht wird am kommenden Mittwoch, dem 10. April, sein Urteil verkünden.

Bevor es mit den Plädoyers weiterging, wurde die Beweisaufnahme noch einmal aufgenommen. Die Verteidigung des ehemaligen IT-Administrators im BMG; Christoph H., beantragte die Beiziehung eines psychiatrischen Gutachters, um die Glaubwürdigkeit einer Zeugin zu überprüfen. Dabei handelt es sich um H.s Ex-Freundin, die bei ihrer Vernehmung einen etwas verwirrten Eindruck gemacht hatte. Laut Aktenlage war sie zudem bei einem Vorfall selbst gar nicht anwesend, über den sie aber ausgesagt hatte. Das Gutachten werde erweisen, dass die Frau als Zeugin ungeeignet sei, weil sie tatsächlich Erlebtes nicht von Erfundenem unterscheiden könne, sagte Rechtsanwalt Nikolai Venn. Das Gericht lehnte den Antrag ab, da es die Glaubwürdigkeit der Zeugin aufgrund der langjährigen Erfahrung auch ohne Sachverständigen beurteilen könne.

Staatsanwalt Roland Hennicke hatte seinem Plädoyer vom 13. März nichts mehr hinzuzufügen. Venn ergänzte noch, dass die Glaubwürdigkeit von H.s Exfrau einmal mehr erschüttert worden sei. Denn diese habe ausgesagt, dass sich das Paar von dem vermeintlichen Beutegeld aus dem ebenfalls angeklagten Wohnungseinbruch eine Küche gekauft und in bar bezahlt habe. Die Firma bestätigte zwischenzeitlich allerdings, dass H. die 9000 Euro überwiesen hatte – ein Nebenkriegsschauplatz.

Sehr ausführlich erklärte sodann Rechtsanwältin Diana Nadeborn, ebenfalls Verteidigerin von H., die technischen Begebenheiten im BMG. Dies zum Beweis, dass der angeklagte Datendiebstahl gemäß § 202a StGB überhaupt nicht einschlägig ist. Denn der fordert die Überwindung einer Zugangssicherung besonders gesicherter Daten. Mitarbeiter in den Referaten des Ministeriums haben aber laut den Zeugenaussagen der BMG-Mitarbeiter auch ihre persönlichen Mails mangels Speicherplatz regelmäßig auf einem Laufwerk oder dem Server des Referates ab. Diese seien für eine Vielzahl von Personen zugänglich gewesen.

Als Administrator hatte H. Zugriffsrechts auf alle diese Speicherplätze. Im Verfahren sei nicht mehr nachweisbar gewesen, wo die Originale zu den bei H. gefundenen Kopien ursprünglich gespeichert gewesen waren. Bei der Beweiserhebung habe sich sogar ergeben, dass geradezu unendlich viele Möglichkeiten im Ministerium genutzt wurden, um Daten und E-Mails zu speichern, sei es auf Servern, Laufwerken oder CDs. Insofern müsse davon ausgegangen werden, dass H. Zugriffsrechte gehabt hätte.

H. habe also keine Hürde überwinden müssen, um auf die Postfächer zuzugreifen, womit der Haupttatbestandteil des § 202a schon wegfällt. Zudem habe das Aufräumen der Postfächer zu den gängigen Tätigkeiten der Administratoren gehört. Eine systematische Erfassung der Aufträge an die IT habe es im Ministerium ebenso wenig gegeben wie ein Verbot, eigene USB-Sticks für die Arbeit im Haus zu benutzen. An H.s Rechner im Ministerium war bei der Durchsuchung ein Speichermedium mit E-Mail-Dateien sichergestellt worden.

Aber selbst ein – nie bewiesener – Zugriff auf persönliche E-Mail-Postfächer wäre Nadeborn zufolge nicht strafbar nach 202a StGB gewesen. Denn dieser richte sich an einen Angriff von außen, worin sich die gesamte Kommentierung des Strafparagrafen einig sei. „202a sanktioniert Hacking und keine Innenangriffe“, so Nadeborn. Für letztere arbeite der Gesetzgeber derzeit an einem § 202e, den es aber noch nicht gebe. Es gebe keine Notwendigkeit, dass die Kammer hier Neuland betrete, zumal die Beweisaufnahme den Tatvorwurf auch nicht erhärtet habe, sondern das genaue Gegenteil bewirkt habe. Eine Verurteilung nach 202a würde einer revisionsgerichtlichen Überprüfung nicht standhalten, ist Nadeborn überzeugt. Sie forderte wie ihr Kollege Venn den Freispruch ihres Mandanten.

Anschließend plädierte Professor Dr. Carsten Wegner für Thomas Bellartz, dem zur Last gelegt wird, die von H. angeblich gestohlenen Informationen gekauft zu haben. Auch er sieht den Straftatbestand des § 202a als nicht erfüllt an. Das gilt insbesondere für seinen Mandanten, der selbst gemäß den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft allenfalls nach § 202d behelligt werden könne – der Datenhehlerei. Diese Norm sei aber erst Ende 2015 im Zusammenhang mit dem Kauf illegal besorgter Steuer-CDs überhaupt ins StGB aufgenommen worden, also nach Anklageerhebung im hiesigen Fall.

Bellartz sei nachweislich im vermeintlichen Tatzeitraum nie selbst im BMG gewesen, weshalb er auch nicht als Täter infrage komme. Der Hinweis auf die Mittäterschaft (§ 25 Abs. 2 StGB) fehle sowieso schon in der Anklage, weshalb ein Urteil sich auch nicht darauf stützen könne. Der Vorsitzende Richter lobte Wegner zwar für diesen Einwand, findet diesen auch für die Angeklagten offensichtlichen Fehler aber unschädlich, da an anderer Stelle von einem gemeinschaftlichen Handeln die Rede sei.

Wegner widerspricht: Bellartz könne gar keinen eigenen Beitrag zur Tat geleitet haben. Denn bei dem vorgeworfenen Datendiebstahl habe es selbst nach Sicht der Staatsanwaltschaft kein „arbeitsteiliges Zusammenwirken“ gegeben. Demnach käme allenfalls eine Anstiftung infrage, wozu aber nie etwas vorgetragen wurde.

Doch das waren nur die rechtlichen Fragen. Auch aus tatsächlicher Sicht sei Bellartz freizusprechen, wiederholte Wegner. Denn bei ihm sei nie irgendein Dokument gefunden worden, dass er zu diesem Zeitpunkt nicht hätte besitzen dürfen. Als Journalist sei er bei der Entgegennahme von Daten überdies privilegiert.

Aber selbst in ihrem Plädoyer habe die Staatsanwaltschaft nicht konkretisiert, was wann wo und wie entwendet und weitergegeben worden sein soll. „Offenkundig hat die Staatsanwaltschaft auch nach 40 Verhandlungstagen nichts vor Augen, worüber sie mit den Angeklagten streiten will. Dann aber sollte sich doch relativ einfach erschließen, dass auf dieser Grundlage nicht verurteilt werden kann, und zwar niemand“, so Wegner.

In seinem einstündigen Plädoyer wiederholte Wegner zudem seine im Verfahren schon öfter vorgetragen Kritik an den Ermittlungsbehörden: Der Staatsanwalt habe die Anklage erst kurz vor dem ersten Verhandlungstag bekommen, dennoch noch vor Beginn der Hauptverhandlung mit der Presse darüber gesprochen. Ebenfalls schon früher moniert hatte Wegner, dass die verhandelnde Kammer gar nicht zuständig sei und das öffentliche Interesse überhaupt erst durch gezielte Durchstechereien und Dramatisierung der Staatsanwaltschaft angenommen worden sei.

Tatsächlich interessiere sich außerhalb der Fachwelt schon längst niemand mehr für diesen Prozess, der von einer „weitgehend toten Partei“ und ihren Funktionsträgern angezettelt worden sei, um einen unliebsamen Journalisten mundtot zu machen – gemeint war die Spitze im damals FDP-geführten BMG. Die Fachmedien hätten allerdings mehr als 100 Artikel zum Verfahren publiziert, zur Erheiterung des Gerichts las Wegner einige Überschriften vor, die sich teils mit der langen Verfahrensdauer, teil mit den ermittlungsbehördlichen Pannen befassten.

Denn der leitende Kommissar hatte in seiner Rolle als Zeuge vor Gericht keine besonders glückliche Figur abgegeben. Einmal musste er vom Richter sogar für eine halbe Stunde auf den Flur geschickt werden, um sich zu sammeln, wie Wegner erinnerte. Im Verfahren habe er zudem unabgesprochen Daten gelöscht und Informationen bewusst aus der Akte herausgehalten.

Bellartz belastende Daten hätten die Ermittler dagegen nie vorgelegt. Und auch im BMG seien alle Dateien, um die es mutmaßlich hätte gehen können, inzwischen gelöscht worden. Offenbar sei es nicht so brisant gewesen, mutmaßte Wegner. Den Staatsanwalt kritisierte er noch für eine völlig überzogene Strafbeimessung sowie zahlreiche inhaltliche Fehler im Plädoyer. „Es geht in einem Strafverfahren um Fakten, nicht um Glauben. Es geht um Wissen, nicht um Vermuten. Kurzum: Herr Bellartz ist freizusprechen“, schloss Wegner.

Die Angeklagten schlossen sich den Ausführungen ihrer Verteidiger an und verzichteten beide darauf, sich noch einmal persönlich an das Gericht zu wenden. Die Richter werden sich nun beraten und voraussichtlich am 10. April um 12 Uhr ihr Urteil verkünden.