Zuhause bleiben wegen Grunderkrankungen?

Kinderärzte: Corona-Attest nur im Einzelfall

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Berlin -

Derzeit werden die Corona-Beschränkungen sukzessive gelockert. Dies beinhaltet in einigen Städten auch den Wiederbeginn der Schule. Viele Eltern haben jedoch Sorge, vor allem wenn die Kinder unter bestimmten Grunderkrankungen leiden. Trotz vieler Unklarheiten hat sich die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) mit der Problematik befasst und Empfehlungen ausgesprochen – sie warnt jedoch auch vor „allzu großzügig ausgelegter Protektionsabsicht“.

Gemeinsam mit den Konventgesellschaften und mit Unterstützung des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) wurde über die „praktisch überaus relevante Frage“ beratschlagt, ob alle Kinder und Jugendlichen gleichermaßen wieder in Schule oder Kindergärten gehen dürfen beziehungsweise müssen, sobald diese geöffnet werden, oder ob es Ausnahmeregelungen aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen und Risiken geben muss.

Individuelle Entscheidungen notwendig

„Die Fragestellungen dazu sind ebenso vielfältig wie die Grunderkrankungen aus den unterschiedlichen Fachgebieten der Kinder-und Jugendmedizin von Asthma über Diabetes und Rheuma hin zu angeborenen Muskelerkrankungen“, erklärt die DGKJ. Nicht für jeden Einzelfall würden allgemeine Empfehlungen zutreffen und individuelle ärztliche Entscheidungen könnten nicht durch grundsätzliche Erwägungen ersetzt werden. Dennoch hat die Fachgesellschaft einige „Grundgedanken als Prämissen“ formuliert.

Dabei bezieht sich die Fachgesellschaft auch auf den Verlgleich von Sars-CoV-2 zur Influenza: Wer sich in der vergangenen Influenzasaison gegen Influenza impfen ließ aufgrund eines kinderärztlich indizierten erhöhten Risikos, sollte auch jetzt das Risiko einer Sars-CoV-2-Infektion kritisch prüfen, heißt es in der Stellungnahme. „Dies impliziert jedoch nicht automatisch eine Befreiung von der Schulpflicht beziehungsweise die Ausstellung eines entsprechenden ärztlichen Attests.“

 

Einfluss auf Kinder noch immer unklar

Die Bemessung des Risikos sei schwierig, daher müsse die Ausstellung eines solchen Attests individuell vom Kinderarzt entschieden werden. „Bis heute ist nicht klar, ob Kinder mit bestimmten Grunderkrankungen oder medikamentösen Therapien ein höheres Risiko für eine Sars-CoV-2-Infektion oder einen schweren Verlauf der Covid-19-Erkrankunghaben als andere und ob es bestimmte Merkmale gibt, die zur individuellen Risikoerhöhung führen.“

Seit dem 18. März läuft ein Survey der DGPI zu hospitalisierten Kindern mit Covid-19: Etwa 25 Prozent der hospitalisierten sowie 50 Prozent der intensivtherapiepflichtigen Kinder wiesen dabei eine Grunderkrankung auf. Die Zahlen seien allerdings noch zu klein, um Risikoprofile definieren zu können. Auch Studien aus anderen Ländern würden bisher keine eindeutigen Rückschlüsse erlauben.

Kein erhöhtes Risiko bei guter Einstellung

Daher müsse man sich bis auf weiteres auf Annahmen stützen und Plausibilitäten prüfen. „Grundsätzlich wird man davon ausgehen können, dass Kinder und Jugendliche mit chronischen Erkrankungen, die gut kompensiert beziehungsweise gut behandelt und daher in ihrer Lebensqualität wenig oder unbeeinträchtigt sind, auch kein höheres Risiko für eine schwerere Covid-19-Erkrankung zu fürchten haben, als sie dem allgemeinen Lebensrisiko entsprechen.“ Dazu würden beispielsweise Kinder mit Diabetes mellitus Typ 1, Asthma, neurologischen oder endokrinologischen Erkrankungen und auch Kinder mit angeborenen Herzfehlern oder Herz-Kreislauferkrankungen – „die weder die Lunge, das Herz-Kreislaufsystem, die Nierenfunktion noch das Immunsystem in relevantem Ausmaß kompromittieren“ – zählen.

 

Von einer potentiellen Gefährdung bei einer Infektion könne jedoch ausgegangen werden, wenn Erkrankungen vorliegen, die die Lungenfunktion, das kardiovaskuläre System oder die Nierenfunktion in relevantem Maße beeinträchtigen. Dennoch müsse auch dies individuell geprüft werden – eine generelle Freistellung von Kindern mit angeborenem Herzfehler, Herz-Kreislauferkrankungen oder Cystischer Fibrose sei nicht sinnvoll.

Bei immunsuppressiver Therapie individuell entscheiden

Ebenfalls sei vorstellbar, dass einige Kinder mit medikamentöser Therapie, die eine relevante Immunsuppression auslöst – beispielsweise rezente Transplantation, hohe Dosis an Immunsuppression sowie häufige Abstoßung – oder Patienten, die an einem relevanten schwerwiegenden Immundefekt leiden, einen schwereren Verlauf von Covid-19 Infektion erleben könnten. Auch hier müsse im Einzelfall abgewogen werden, ob dies „in relevantem Maße“ die Immunkompetenz beeinträchtigt. Daher sei auch hier eine generelle Freistellung beispielsweise bei Rheuma nicht sinnvoll.

Auf lange Sicht könnten Schutzmaßnahmen schaden

Die Fachgesellschaft gibt außerdem zu bedenken, dass Kinder und Jugendliche – abhängig von ihrem Alter und ihrer Reife – in unterschiedlichem Umfang Maßnahmen zu ihrem Schutz, wie Abstand halten oder eine Schutzmaske tragen, verstehen und umsetzen können. Zudem müsse auch berücksichtigt werden, dass die notwendigen Maßnahmen „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht nur für einige wenige vor uns liegende Wochen gelten, sondern viele Monate bis weit ins Jahr 2021 hinein notwendig werden“. Daher müsse die Frage ganz besonders gestellt und kritisch geprüft werden, ob die ausgesprochenen Empfehlungen den Kindern und Jugendlichen auf mittlere und lange Sicht durch eine möglicherweise allzu großzügig ausgelegte Protektionsabsicht nicht mehr schaden als nütze.

 

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