Baden-Württemberg

Kassenärzte wollen E-Rezepte testen

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Berlin -

Im Frühjahr wollen die Kassenärzte in Baden-Württemberg mit dem Modellprojekt „DocDirekt“ in die Telemedezin einsteigen. Patienten in Stuttgart und Tuttlingen können sich dann bei akuter Erkrankung oder bei dringender Behandlungsbedürftigkeit per Telefon, Video oder im Chat von einem Arzt beraten und behandeln lassen, wenn sie ihren Haus- oder Facharzt nicht erreichen. Auch E-Rezepte ausstellen wollen die Tele-Ärzte. Den Weg dazu frei machen soll Landessozialminister Manfred Lucha (Grüne). Die Landesapothekerkammer will dem nicht im Wege stehen.

Kurz vor Weihnachten gab die Landesärztekammer für das DocDirekt-Modellprojekt der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) grünes Licht: „Wir niedergelassenen Ärzte zeigen einmal mehr, dass wir innovativ sind und sinnvolle, von den Menschen im Land gewünschte neue Versorgungskonzepte in Baden-Württemberg auf den Weg bringen”, freute sich KV-Chef Dr. Norbert Metke. Mit DocDirekt etabliere man als erste KV ein telemedizinisches Verfahren zur Fernbehandlung von Notfällen, soweit das medizinisch möglich sei.

Aus Sicht der Kassenärzte besitzt die Telemedizin viele Vorteile: Patienten sparen sich Fahrtwege, Arztpraxen und Notfallambulanzen werden entlastet und es werde eine Infrastruktur geschaffen, die eine effiziente Patientenversorgung ermögliche. Nach einen Pilot mit Privatversicherten sollen ab März gesetzlich Versicherte in Stuttgart und Tuttlingen mit der Telemedizin Erfahrungen sammeln.

Bei DocDirekt können sich Kassenpatienten melden, die akut erkrankt sind und ihren behandelnden Arzt nicht erreichen oder keinen Hausarzt haben. Der Service steht in der Startphase Patienten von Montag bis Freitag zwischen 9 und 19 Uhr zur Verfügung. Die Kontaktaufnahme ist via Telefon, Videotelefonie oder Chat möglich. Eine geschulte medizinische Fachangestellte nimmt die Anfrage entgegen und erstellt ein „Ticket”, das ein Tele-Arzt online über eine webbasierte Plattform aufrufen kann. Innerhalb von 30 Minuten soll der Patient dann erfahren, wann der Arzt sich bei ihm meldet.

Ein Tele-Arzt ruft den Patienten zurück, erhebt die Anamnese und klärt das Beschwerdebild. Im Idealfall kann er laut KV den Patienten abschließend telemedizinisch beraten. Falls ein persönlicher Arztbesuch erforderlich ist, wird der Patient an eine dienstbereite PEPP weitergeleitet – das Kürzel steht für patientennah erreichbare Portalpraxis. Noch am selben Tag ermöglichen Haus- und Fachärzte Akut­behandlungen der DocDirekt-Patienten in ihren Praxen. Dafür erhält die teilnehmende Vertragsarztpraxis ein extra Honorar von 25 Euro je Anruf, der in der Praxis behandelnde Arzt 20 Euro. Das Projekt startet mit Allgemein- und Kinderärzten.

Die Sache hat nur einen Haken: Apotheker dürfen per Telemedizin ausgestellte Rezepte nicht bedienen. Mit der 4. AMG-Novelle verbot Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) mit Blick auf die Online-Praxis DrEd Apothekern die Abgabe von Arzneimitteln, wenn vor der Ausstellung der Rezepte kein persönlicher Patientenkontakt stattgefunden hat: „Diese Frage beschäftigt uns schon, seit die Idee zu DocDirekt geboren wurde“, räumt ein KV-Sprecher hier Probleme ein.

Allerdings stehe man mit dem Sozialministerium des Landes in Kontakt, um für das Modellvorhaben DocDirekt eine Ausnahmegenehmigung zu erhalten: „Vielleicht ist das möglich.“ Der Minister stehe dem Telemedizin-Projekt positiv gegenüber. „Ich glaube aber nicht, dass wir das bis zum Start von DocDirekt im Frühjahr erreichen werden“, so der KV-Sprecher.

Lucha hat sich noch nicht entschieden: „Das Ministerium für Soziales und Integration prüft derzeit im Dialog mit allen Beteiligten, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Verordnung von Arzneimitteln im Rahmen von Modellprojekten zur telemedizinischen Behandlung möglich ist. Die Prüfung setzt sich insbesondere mit der Öffnungsklausel des § 48 Absatz 1 Satz 3 des Arzneimittelgesetzes in Bezug auf die Durchführung von Modellprojekten auseinander.“

Die Landesapothekerkammer steht dem Modellprojekt durchaus offen gegenüber: „Es kommt natürlich darauf an, wie die Rezeptausstellung konkret geplant ist. Derzeit gelten in diesem Bereich sehr strikte Regeln, die niemand so einfach außer Kraft setzen kann. Wenn es hier vernünftige Lösungen gibt und auch unsere Aufsichtsbehörde grünes Licht gibt, werden wir uns konstruktiv an diesem Projekt beteiligen“, so Geschäftsführer Dr. Karsten Diers. Es gebe auf Landesebene diverse Gremien, die sich mit dem Thema Digitalisierung im Gesundheitswesen beschäftigten. In diesen Gremien arbeite die Kammer aktiv mit.

Diers: „Wenn bei telemedizinischen Projekten Rezepte ausgestellt werden sollen, betrifft das die Apotheken direkt. Deshalb müssen wir bei Überlegungen, die in diese Richtung gehen, selbstverständlich eingebunden werden. Da wir mit dem Sozialministerium regelmäßig im Austausch sind, bin ich mir sicher, dass es rechtzeitig zu Gesprächen auch in dieser Frage kommen wird. Mit einzelnen Teilnehmern an diesem Projekt fanden bereits Gespräche statt. Dass es ohne die Einbindung der Apotheken vor Ort nicht funktioniert, ist den Akteuren bewusst.“

Vom Grundsatz des persönlichen Arzt-Patienten-Kontakts vor einer Verordnung darf laut Gesetz nur „in begründeten Ausnahmefällen abgewichen werden“. Dies gilt insbesondere, wenn die Person dem Arzt aus einem vorangegangenen direkten Kontakt „hinreichend bekannt ist und es sich lediglich um die Wiederholung oder die Fortsetzung der Behandlung handelt.“ Dies ist beim DocDirekt-Konzept aber nicht der Fall.

Trotzdem hat sich die KV schon Gedanken gemacht, wie das mit dem E-Rezept aus der Telemedizin-Praxis ablaufen könnte. Per SMS könnte an einen Apotheker ein Autentifizierungscode für das E-Rezept gesendet werden. Damit könnte der Apotheker das Rezept abrufen. Solange das Zukunftsmusik bleibt, muss aber auch der Telemedizin-Patient weiterhin persönlich in der Praxis erscheinen und das Rezept abholen, so der KV-Sprecher.

50 Tele-Ärzte will die KV zum Start von DocDirket aufbieten. Derzeit werden mit den Ärzten die Verträge geschlossen. Die Kassenärzte werden speziell dafür geschult. Die KV versteht die Online-Sprechstunde als Ergänzung zum bisherigen Versorgungsangebot. Der Service ist für GKV-Versicherte kostenlos. Nach erfolgreicher Testphase ist vorgesehen, das Angebot sukzessive auch auf andere Regionen in Baden-Württemberg auszuweiten. Zur Realisierung des Modellprojekts hatte die Landesärztekammer bereits letztes Jahr die Berufsordnung geändert. Im Frühjahr will der Deutsche Ärztetag bundesweit den Weg für telemedizinische Behandlungen frei machen.

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