Ausschreibungen

Hilfsmittel: Beraten, statt „vor die Tür stellen“

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Berlin -

Die Hilfsmittelversorgung muss besser werden. Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) hat bereits im Dezember ein Eckpunktepapier für eine Hilfsmittelreform erarbeitet. Das parlamentarische Verfahren solle noch vor der Sommerpause auf den Weg gebracht werden, sagte Hilde Mattheis, gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, bei einer Podiumsdiskussion des GKV-Spitzenverbands.

Mattheis erklärte, dass derzeit darüber nachgedacht werde, das Thema Hilfsmittelversorgung vom Pharmadialog abzukoppeln. „Das ist so ein wichtiges Thema, dass es nicht untergehen darf“, sagte sie. Darüber, welchen Einfluss das auf die Zeitplanung haben könne, wollte sie nicht mutmaßen. Die Eckpunkte der Hilfsmittelreform würden inzwischen stehen, nun gehe es an die Nachschärfungen. Ein besonderes Anliegen ist es Mattheis, dass die Beratungssituation verbessert werde – statt den Patienten die Hilfsmittel „einfach vor die Tür zu stellen“.

Mattheis findet, dass die Lebensqualität im Mittelpunkt stehen muss. „Dass man unter mehreren aufzahlungsfreien Produkten wählen können soll, ist schon ein großer Fortschritt“, sagte sie mit Blick auf die geplanten Änderungen. „Es geht um Beratung, Dienstleistung, verbesserte Versorgung und erst am Schluss um die Produkte – diesen Perspektivwechsel müssen wir hinkriegen. Und dann müssen wir es aushalten, dass es eine Kostensteigerung gibt und wieder über die Finanzierung der Krankenkassen diskutiert wird.“

Dr. Roy Kühne, Berichterstatter für Heil- und Hilfsmittel der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, kritisierte, dass das Thema über Jahre nicht richtig bewertet worden sei. Indem man die Hilfsmittel nun in den Fokus rücke, leiste man einen großen Beitrag, um die Versorgung der Menschen in der Fläche zu verbessern. Kühne fordert Qualitätskriterien für Ausschreibungen: „Wir sind uns einig, dass Qualität das ausschlaggebende Kriterium sein muss und nicht der Preis“, sagte er. Man nehme schließlich auch nicht das günstigste Haus, wenn es keine Fenster habe.

Allerdings sieht Kühne bereits Bewegung im Markt: Immerhin gebe es inzwischen Krankenkassen, die Ausschreibungen abgelehnt hätten, weil die Angebote zu niedrig gewesen seien, sagte er. „Das ist ein lernender Prozess und die Politik sollte so wenig wie möglich eingreifen.“ Er findet, dass die Versicherten Anspruch auf ein Produkt haben sollten, mit dem der Großteil der Betroffenen leben könne. „Wer den Mercedes will, muss den extra bezahlen, aber nicht das Mittel, um von A nach B zu kommen.“

Die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Maria Klein-Schmeink, sieht kritisch, dass es eine Win-Win-Situation für Kassen und Anbieter zulasten der Patienten geben kann. „Ich möchte nicht, dass ein gesetzlich Versicherter das Gefühl hat, er kriegt die letzten Klamotten – und da geht es nicht um den Mercedes, sonder darum, ob das Auto überhaupt noch fährt“, sagte sie. Dass das Hilfsmittelverzeichnis lange nicht aktualisiert hat, hält sie für inakzeptabel. „Das muss uns alle beschämen.“

Ihr fehlt es derzeit noch an der Patientenbeteiligung. Besonders bei Menschen mit Behinderungen gebe es „ganz massive Abhängigkeiten von Hilfsmitteln“, sagte Klein-Schmeink. Da die Produkte massiv in die Lebensqualität der Betroffenen eingriffen, müsse auch deren persönliches Empfinden eine Rolle spielen. Deshalb sollten Patientenverbände bei der Fortschreibung des Hilfsmittelverzeichnisses eingebunden und Patientenbefragungen als Instrument der Qualitätssicherung etabliert werden. Klein-Schmeink forderte ein Umdenken bei den Ausschreibungen und eine Kopplung an die Dienstleistung. Ihr schwebt eine passgenaue Versorgung im Zusammenspiel mit den Leistungserbringern vor.

Kathrin Vogler, gesundheitspolitische Sprecherin der Linken und Berichterstatterin für Heil- und Hilfsmittel, betonte, dass Wettbewerb nicht dafür sorge, dass Versicherte die bestmögliche Leistung bekämen. Sie hält Qualitätskriterien in Ausschreibungen für sinnvoll. Sie fordert für Ausschreibungen eine Art „Reißleine“, etwa Preisuntergrenzen. „Für 12,95 Euro kann man keinen Inkontinenzpatienten hochwertig versorgen“, betonte sie. Das führe nur dazu, dass große Unternehmen Dumpingpreise anböten und den Versicherten teurere Produkte gegen Aufzahlung unterjubelten.

Gernot Kiefer, Vorstand des GKV-Spitzenverbands, betonte, es müsse sichergestellt werden, dass die Hilfsmittelversorgung den qualitativen Ansprüchen der Versicherten entspreche und gleichzeitig für die Solidargemeinschaft finanzierbar bleibe. In verschiedenen Versorgungsbereichen, etwa mit Inkontinenzmitteln oder Hörgeräten, sei die Kritik durchaus berechtigt, räumte er ein. „Die Versorgung genügt nicht an Maßstäben, die wir stellen sollten.“

Kiefer betonte, dass die Mindeststandards über das Hilfsmittelverzeichnis definiert seien. Auch bei einer Ausschreibung dürfe niemand unter diese Anforderungen gehen. Der GKV-Spitzenverband sei deshalb tätig geworden und habe die Aktualisierung des Verzeichnisses angestoßen. Diese solle bis 2018 abgeschlossen werden. Aus Sicht von Kiefer muss das Verzeichnis die zunehmende Dynamik und Komplexität des Marktes abbilden. Er kann sich vorstellen, dass Hilfsmittel nur noch befristet aufgenommen und Hersteller durch den Gesetzgeber zur Zuarbeit verpflichtet werden.

Handlungsbedarf sieht Kiefer auch bei der Präqualifizierung. Den zuständigen Stellen warf er „unzureichende Neutralität und Überwachung“ vor. Dies führe zu Verwerfungen im Wettbewerb. Kiefer hält stichprobenartige Kontrollen durch die Krankenkassen für sinnvoll. Ausschreibungen hält Kiefer nach wie vor für sinnvoll. Er räumt aber ein: „Da ist in den vergangenen Jahren einiges schief gegangen – das muss man korrigieren.“ Einen Wettbewerb, der nur auf den günstigsten Preis zielt, sieht auch er kritisch.

Schließlich forderte Kiefer mehr Transparenz bei der Versorgung. Die bestehende Intransparenz führe dazu, dass viele Versicherte zu Zahlungen aufgefordert würden und diese auch leisteten. „Es kann nicht sein, dass in manchen Versorgungsbereichen in jedem zweiten Fall Aufzahlungen zur Normalität gehören“, so Kiefer. Damit laufe der Anspruch der Kassen, Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen, ins Leere. Er forderte gesetzlich verankerte Informationspflichten, um die Versicherten in ihrer Autonomität zu stärken. Krankenkassen sollten zudem mehr als heute ihrer Verpflichtung nachkommen und prüfen, ob die Lieferanten die Verträge einhalten.

Christiane Döring, stellvertretende Vorsitzende des Bundesverbands Medizintechnologie (BVMed), betonte, dass Produkt und Dienstleistung zusammengehören. Demzufolge müsse der Versicherungsanspruch Produkt und Leistung umfassen. „Vor 20 Jahren konnte man sich noch nicht vorstellen, dass manche Therapien heute im ambulanten Bereich stattfinden – darum wird das im Hilfsmittelverzeichnis auch nicht berücksichtigt und nicht vergütet“, sagte sie.

Die Aktualisierung des Hilfsmittelverzeichnisses muss aus ihrer Sicht kontinuierlich, strukturiert und in festen Zeiträumen erfolgen. Vor einer Gebühr für Hersteller warnte Döring: Auf dem Markt gebe es Nischenprodukte von kleinen Anbietern, denen das vielleicht zu teuer sei. Daher bestehe die Gefahr, dass einige Produkte gar nicht auf den Markt kommen.

Im Sinne von mehr Transparenz will Döring die Krankenkassen verpflichten, die Versicherten über die Inhalte der Verträge aufzuklären. Kritisch sieht sie den Vorschlag stichprobenartiger Qualitätskontrollen: Diese sollte aus ihrer Sicht nicht jede Kasse „nach Gutdünken“ durchführen. Stattdessen sollte es ein Verfahren geben. Die Ergebnisse sollten in einer Art Qualitätsbericht veröffentlicht werden.

Bei den Ausschreibungen kann sich Dörung vorstellen, dass der Preis künftig nur 30 Prozent des Zuschlags ausmacht. Wichtiger sollten etwa die Qualität der Dienstleistung, die Qualifikation der Mitarbeiter oder der technische Wert der Produkte sein. Dass sich der niedrigste Preis als Zuschlagskriterium nicht bewähre, habe man bereits in der Baubranche gesehen.

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