Securpharm

Hersteller: BMG gefährdet Arzneimittelsicherheit Lothar Klein, 29.06.2018 12:19 Uhr

Berlin - 

Bei der Umsetzung der Fälschungsrichtlinie in Krankenhäusern gibt es schwere Vorwürfe an die Adresse des Bundesgesundheitsministeriums (BMG): Die Herstellerverbände BAH, BPI, ProGenerika und vfa sehen in der BMG-Zustimmung zur Massenverifizierung von Arzneimittel ein Einfallstor für Arzneimittelfälschungen: „Das ist ein Skandal“, so BAH-Hauptgeschäftsführer Dr. Hermann Kortland. Zudem führe die Massenverifizierung zu erheblichen Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Herstellern und erhöhe deren Securpharm-Kosten.

In einem Schreiben hat das Bundesgesundheitsministerium jetzt der Forderung von Krankenhäusern und Krankenhausapothekern zugestimmt, in Kliniken keine Einzelpackungsprüfung vornehmen zu müssen, sondern die angelieferten Arzneimittel als Palettenware zu scannen und im Securpharmsystem zu verifizieren. Das soll mithilfe eines mitgelieferten USB-Sticks erfolgen.

Die Herstellerverbände und Securpharm sehen darin ein Einfallstor für Fälschungen. „Securpharm und die Herstellerverbände BAH, BPI, Pro Generika und vfa haben mündlich und schriftlich an das Bundesministerium für Gesundheit gegen dieses Vorgehen schwere Bedenken geltend gemacht“, so die gemeinsame Erklärung. Mit diesem Ansatz werde die Verifikation von der physischen Packung getrennt und damit das Risiko eröffnet, dass die auf dem Datensatz gespeicherten Daten von den gelieferten – aber im Einzelfall nicht mehr geprüften – Packungen abweichen. Fälschungen könnten so den Patienten erreichen, wenn nur die mitgelieferten mit den vom Hersteller hochgeladenen Daten übereinstimmen. Die geplanten Stichprobenprüfungen sind aus Sicht der Herstellerverbände nicht ausreichend.

Wenn zu keinem Zeitpunkt im Krankenhaus eine einzelne Packung verifiziert werde, sei auch nicht bekannt, welche Seriennummern der im Bulk gelieferten Datensätze tatsächlich bereits verbraucht seien und welche nicht. „Aus Sicht der Herstellerverbände wird die Systemsicherheit mit diesem Vorgehen insgesamt kompromittiert“, so die Erklärung. Ein mitgelieferter USB-Stick mit den Verifizierungsdaten könne nur allzu leicht in falsche Hände geraten und der Inhalt manipuliert werden.

Außerdem führt die Massenverifizierung aus Sicht des BAH zu erheblichen Wettbewerbsverzerrungen: „Nur wenige, vor allem große Hersteller sind aktuelle in der Lage die Packungsdaten automatisiert zu aggregieren“, so Kortland. Die Hersteller erhielten so einen erheblichen Wettbewerbsvorteil. Die Umrüstung der Produktionslinien für alle Hersteller sei mit hohen Kosten verbunden. Bereits jetzt betrügen die Securpharm-Umstellungskosten für die Industrie europaweit 12 Milliarden Euro. Inzwischen bieten sich Dienstleister wie Großhändler an, gegen Bezahlung für die Hersteller die Daten für die Massenverifizierng zu generieren.

Mehr noch: Dem BMG werfen die Herstellerverbände vor, seine Position zulasten der Industrie verändert und damit viele Hersteller in die Irre geführt zu haben. In einem Schreiben vom 17. April 2017 an den Bundesverband der klinik- und heimversorgenden Apotheker (BVKA) bescheinigte das noch von Hermann Gröhe (CDU) geführte BMG, dass in Kliniken alle Packungen einzeln verifiziert werden müssten. „Die delegierte Verordnung regelt keine Ausnahmen für Krankenhausapotheke, beim Bezug von Arzneimitteln in größeren Gebinden von der Verifizierung einzelner Packung abzusehen und stellt sie insoweit öffentlichen Apotheken gleich.“ Es gebe lediglich Spielraum in Hinblick auf den Zeitpunkt und den Ort. Auf diese Aussage hätten sich die Hersteller bei der Umrüstung ihrer Produktionslinie verlassen, so der BAH.

Ein gutes Jahr später schrieb der neue BMG-Abteilungsleiter Arzneimittel, Medizinprodukte, Biotechnologie, Thomas Müller, nun am 13. Juni an Securpharm, dass Massenverifizierungen vertretbar seien, „solange es mit den Vorgaben der delegierten Verordnung über Sicherheitsmerkmale vereinbar und technisch umsetzbar ist, auf freiwilliger Basis von den Beteiligten durchgeführt wird und sich keine unvertretbaren Sicherheitsrisiken ergeben“.

In der Zwischenzeit hatten die Krankenhäuser in der Politik für die Massenverifizierung lobbyiert. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) und der Bundesverband Deutscher Krankenhausapotheker (ADKA) waren daher zuletzt an Securpharm mit der Forderung herangetreten, die Voraussetzungen zur automatisierten Verifizierung größerer Liefermengen zu schaffen, um eine Prüfung jeder einzelnen Packung zu umgehen. Anfänglich hatten DKG und ADKA von der Industrie gefordert, kurzfristig bis zur Anwendung der Fälschungsschutzrichtlinie ab dem 09. Februar 2019 sogenannte Aggregationslösungen einzuführen. Angedacht war ein aggregierter Code auf der Umverpackung jeder Palette mit den Daten aller damit gelieferten Einzelpackungen. Diese hätte so in einem Vorgang geprüft werden sollen. Dies war aber „schon technisch in dieser Frist nicht umsetzbar“, so die Herstellerverbände.

Alternativ werden jetzt „warenbegleitende Datenlieferungen“ demnächst in einem Pilotversuch getestete werden. Nach Kenntnis der Herstellerverbände ist damit zu rechnen, dass ADKA und DKG zeitnah an die pharmazeutischen Unternehmer herantreten werden, um für die Beteiligung an Pilotvorhaben zur warenbegleitenden Datenlieferung zu werben. Securpharm werde sich am Pilotvorhaben „schon aus Haftungsgründen nicht beteiligen“, heißt es in der gemeinsamen Erklärung der Hersteller. Denn für Securpharm sei es bei ankommenden Verifikationsanfragen technisch nicht möglich, zu unterscheiden, ob diese durch einen warenbegleitenden Datensatz oder die sichere Einzelverifikation von Packungen ausgelöst werden, die in bestimmten Fällen auch im Bulk-Verfahren erfolgen. Außerdem fürchtet Securpharm technische Probleme die Datenmenge wie vorgesehen innerhalb von 0,3 Sekunden zu verarbeiten.

„Es muss den Krankenhäusern wie den Apothekern auch zuzumuten sein, im Sinne der Fälschungsschutzrichtlinie jede Packung einzeln zu prüfen“, protestieren jetzt die Verbände. Es sei auch kaum nachvollziehbar, dass mit hohen Millioneninvestitionen der Hersteller die ohnehin sichere legale Lieferkette weiter abgesichert, durch die geforderte warenbegleitende Datenlieferung an Krankenhäuser aber gleichzeitig eine Sicherheitslücke geschaffen werde – und auch dies zulasten von Herstellern, die aufgefordert seien, die erforderlichen IT-Voraussetzungen zu schaffen und damit weiteren finanziellen Belastungen ausgesetzt würden.