Lieferengpässe

Hennrich warnt Kassen: Nicht nur auf den Preis schauen

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Berlin -

Die Anzahl der Lieferengpässe hat sich nach Ansicht von CDU-Arzneimittelexperte Michael Hennrich in den letzten Monaten „dramatisch“ erhöht. Hennrich warnte die Krankenkassen davor, notwenige Gegenmaßnahmen zu blockieren: „Bei vielen ist das Problem noch nicht richtig angekommen.“ Alle Beteiligten müssten die Lieferengpässe ernst nehmen und „nicht nur auf den günstigsten Preis schauen“. Korrekturen an den Rabattverträgen sind laut Hennrich im von der Koalition geplanten Maßnahmenpaket der „schwierigste Punkt“.

Er sei ein großer Anhänger von Rabattverträgen, sagte Hennrich bei einer Veranstaltung der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO). Sie seien für die Lieferengpässe nicht hauptverantwortlich. Allerdings müsse man die Rabattverträge „nachschärfen.“ Arzneimittelinnovationen erreichten in Deutschland sehr schnell die Patientenversorgung. Hennrich: „Aber wir dürfen die Basisversorgung nicht vernachlässigen.“ Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, dass die Politik Lieferengpässen von Rabattarzneimitteln tatenlos zusehe.

Bei den meisten Punkten des geplanten Maßnahmenbündels gegen Lieferengpässe sei man sich in der Koalition über die Ursachen und Maßnahmen einig. Diskutiert werde in der Koalition aber noch über die notwendigen Änderungen bei den Rabattverträgen: „Da ist das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht.“ Das Maßnahmenpaket werde noch in diesem Jahr zum „Schwerpunkt“ im „Faire-Kassenwettbewerb-Gesetz“ (FKG).

Aktuell berät die Koalition ein Maßnahmenpaket gegen Lieferengpässe: Mit einer Meldepflicht soll Pharmafirmen und Großhändlern unter anderem vorgeschrieben werden, die Bundesbehörden über Lagerbestände und drohende Lieferengpässen bei versorgungsrelevanten Arzneimitteln zu informieren. Bisher gibt es nur freiwillige Angaben, die das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) erfasst. Auch sollen künftig behördliche Vorgaben an Pharmafirmen und Großhändler zur Lagerhaltung wichtiger Medikamente erlaubt sein.

In Ausnahmefällen sollen demnach auch Medikamente eingesetzt werden können, die nicht in deutscher Sprache gekennzeichnet sind – wenn der Arzt sie direkt bei Patienten anwendet. Zu den Plänen zählen auch mögliche Abweichungen von Rabattverträgen: Stehen Rabattpräparate nicht zur Verfügung, sollen Apotheker nach 24 Stunden alternative Mittel abgeben dürfen. Der Jour Fixe soll per Gesetz zu einem Beratergremium beim BfArM gemacht werden.

Laut DGHO haben die Engpässe auch die Onkologie betroffen. Bei vielen Krebspatienten sei die medikamentöse Tumortherapie ein zentrales Element der Behandlung. Von der Verfügbarkeit eines Arzneimittels könne die Überlebenschance abhängen. Zwar müsse sich nicht jeder Lieferengpass zwingend zu einem Versorgungsengpass entwickeln, wenn es aber zu Schwierigkeiten bei der Versorgung kommt, kann es sowohl bei Erwachsenen als auch bei Kindern zur Verschlechterung der Prognose führen. Dass Arzneimittelengpässe seit Jahren ein Problem sind, betonte Professor Dr. med. Michael Hallek Geschäftsführender Vorsitzender der DGHO: „Es kann nicht sein, dass wir dies in einem hochentwickelten Land wie Deutschland tolerieren. Das ist völlig inakzeptabel.“

Die Sicht der Apotheker verdeutlichte Professor Dr. Martin Schulz, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK): „Die Problematik der Lieferengpässe hat sich in den letzten Jahren deutlich verschärft. Von den etwa 450 Millionen Rabattarzneimitteln in der GKV waren 2017 4,7 Millionen nicht lieferfähig. 2018 waren es 9,3 Millionen. Das ist eine Verdoppelung. Jedes 50. rabattfähige Arzneimittel war betroffen. Dieser Trend hält mit 7,2 Millionen Packungen allein im ersten Halbjahr 2019 an.“

Untersuchungen des Deutschen Arzneiprüfungsinstituts e.V. (DAPI) zeigten, dass mengenmäßig vor allem Schmerzmittel, Blutdrucksenker und Antidepressiva betroffen waren. Für die Apotheken bedeutet dies nach Ansicht von Schulz vor allem viel Arbeit: „60 Prozent wenden mindestens 10 Prozent ihrer Arbeitszeit dafür auf, Lieferengpässe zu managen. Neun von zehn Apothekenleitern sagen, dass Lieferengpässe das größte Ärgernis in ihrem Arbeitsalltag sind. Wir wissen aus einer Umfrage bei den AMK-Referenzapotheken, dass Apotheken trotz dieser Hindernisse stets versuchen, die adäquate Arzneimittelversorgung in Deutschland sicherzustellen und damit die Patientensicherheit zu wahren.“

Dies bedürfe hoher fachlicher Expertise, interprofessioneller Zusammenarbeit und einer intensiven Beratung der Patienten. Schulz: „Wir fordern seit Langem, dass Probleme in der Lieferkette vor allem frühzeitig erkannt und kommuniziert werden müssen. Es bedarf jetzt einer gesetzlichen Meldepflicht für pharmazeutische Unternehmen, umfassende Informationen allen Beteiligten schnellstmöglich zur Verfügung zu stellen, damit Apotheken rechtzeitig Gegenmaßnahmen ergreifen können.“ Schulz kritisierte die im Maßnahmenpaket enthaltene Austauschregelung für Rabattarzneimittel nach 24-stündiger Lieferunfähigkeit. Das Austauscharzneimittel dürfe allerdings nicht teurer als das verordnete sein, so Schulz: „Hier fehlt der letzte Schritt.“ Es sei „schwer erträglich“, dass für Apotheker bei der Abgabe im „Centbereich“ etwas teurerer Arzneimittel Nullretaxationen oder Patienten Zuzahlungen drohten. Das sorge täglich für Unmut in den Apotheken: „Das versteht der Patient nicht mehr.“

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