Abrechnungsprüfung

Hedgefonds kauft Retaxfirma, holt Ex-TK-Chef

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Berlin -

Bei der Techniker Krankenkasse (TK) ist Professor Dr. Norbert Klusen seit 2012 nicht mehr an Bord. Doch seine Expertise ist nach wie vor gefragt. Seit Kurzem steht er der Retaxfirma Davaso als Vorsitzender des Beirats zur Seite. Der Abrechnungsdienstleister mit Sitz in Leipzig wurde gerade vom C&A-Clan an den Finanzinvestor Montagu verkauft.

Klusen war von 1996 bis Juni 2012 Vorstandschef der TK in Hamburg. Nach dem Studium der Soziologie, Politologie und Psychologie in Aachen und Berlin machte er zunächst Karriere in der Industrie, bevor er 1993 als Geschäftsführer für den Bereich Finanzen, Personal, EDV und Marketing zur Krankenkasse nach Hamburg kam.

Unter seiner Führung konnte die TK ihre Position ausbauen; heute ist die Kasse mit zehn Millionen Versicherten die Nummer 1. Mit 64 Jahren ging er 2012 in den Ruhestand, doch als Berater ist er nach wie vor im Gesundheitswesen aktiv. So ist er im Expertenbeirat des Innovationsausschusses, der beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) angesiedelt ist und über die Vergabe von Fördermitteln entscheidet. Vor zwei Jahren war Klusen außerdem als Kandidat für den Aufsichtsrat der Stada im Gespräch. In Hannover und Zwickau hat Klusen eine Honorarprofessur.

Bei Davaso, ansässig im Bürokomplex Triumphator im Osten von Leipzig, soll er als Chef des Beirats helfen, ein breites Serviceangebot für die Kassen zu entwickeln. Davaso war vor einem Jahr aus Inter-Forum und Syntela hervorgegangen; die beiden Abrechnungsdienstleister hatte der Brenninkmeijer-Clan Ende 2015 beziehungsweise Anfang 2016 übernommen.

Ende vergangenen Jahres wechselte Davaso schon wieder den Besitzer: Der britische Finanzinvestor Montagu übernahm 90 Prozent der Anteile. Über eine Holding in Luxemburg gehört der Retax-Riese nun zum ehemaligen Eigentümer des Leukoplast-Herstellers BSN Medical. Nur 10 Prozent sind nach wie vor im Besitz der Brenninkmeijer-Beteiligungsgesellschaft Bregal Investment.

Im vergangenen Sommer übernahm Davaso außerdem die Softwarefirma Gradient. Das Unternehmen mit Sitz in Singen ist mit KV Solutions seit Jahren ein fester Partner der Kassenärztlichen Vereinigungen (KV). Außerdem gibt es verschiedene browserbasierte Abrechnungssysteme für Arztpraxen (Qlab.online) sowie Rettungs- und Notfallsdienste. Zweites Standbein sind Prüfsysteme für die Druckbildkontrolle – die Software „Pixel Proof“ wird von zahlreichen Kunden aus der Pharma- und Druckindustrie genutzt.

Davaso steht für Daten (DA), Validierung (VA) und Software/Solutions (SO). Seit März 2017 ist die Firma aktiv, einer der ersten Verträge aus dem Arzneimittelbereich wurde mit der IKK classic unter neuem Namen geschlossen. Bei laufenden Verträgen treten auch Inter-Forum und Syntela noch als Absender auf. Andere Kassen wollen überhaupt nicht, dass ihr Dienstleister öffentlich in Erscheinung tritt.

An fünf Standorten sind rund 1300 Mitarbeiter beschäftigt. 450.000 digitalisierte Belege werden pro Tag verarbeitet, 144 Millionen Verordnungen mit einem Gesamtwert von 19 Milliarden Euro wurden im vergangenen Jahr geprüft. Für die Archivierung steht eine Nutzfläche von 14.000 Quadratmetern zur Verfügung. 25 Kassen lassen ihre Arzneimittelabrechnungen vom Branchenprimus unter die Lupe nehmen. 19 weiteren Kassen stellt Davaso die Software zur Prüfung zur Verfügung. Über alle Produkte hinweg gehören 100 Krankenkassen mit 60 Millionen Versicherten zu den Kunden.

Inter-Forum wurde 1990 von Claus Wippich und Armin Gerhardt als Ableger der Firma ABK Systeme in Leipzig gegründet. Der Fokus lag zunächst auf Kommunikationslösungen für Banken und Behörden; ab 1995 stieg Wippich mit seiner mittlerweile in Inter-Forum umbenannten Firma in das Geschäft mit Sozial- und Abrechnungsdaten ein.

2000 begann Inter-Forum mit der Abrechnungsprüfung der Apotheken. Angeblich soll Wippich von der Gmünder Ersatzkasse (GEK) überredet worden sein, nicht nur Lizenzen für die von seinem Systemhaus entwickelte Prüfsoftware Rezept300 anzubieten, sondern die Dienstleistung gleich mit. Drei Jahre später folgte mit Kompass302 das Pendant für den Bereich der sonstigen Leistungserbringer; parallel etablierte sich Inter-Forum als Datenstelle für Disease-Management-Programme (DMP) in unterschiedlichen KV-Regionen.

2013 erreichten die Erlöse erstmals die Grenze von 40 Millionen Euro. Das Geschäft war äußerst lukrativ; zeitweise wurden Gewinne zwischen fünf und acht Millionen Euro eingefahren – nach Steuern. Zur Finanzierung der Auslagen verfügte Inter-Forum nicht nur über großzügige Kreditlinien; zusätzliche lagen Millionenbeträge in kurzfristigen Wertpapieren bereit.

Auch wenn Inter-Forum bei den Apotheken gefürchtet war, der größte Teil des Geschäfts entfiel auf andere Leistungserbringer. 70 Prozent des Umsatzes spülten geprüfte Belege von Taxifahrern, Hebammen, Pflegediensten, Hilfsmittelanbietern und Heilmittelerbringern in die Kasse. Weitere 20 Prozent entfielen auf den nicht nur wachstumsstarken, sondern auch besonders lukrativen DMP-Bereich; hier war Inter-Forum nach eigenen Angaben unangefochtener Marktführer.

Das Apothekengeschäft war mit weniger als 10 Prozent von untergeordneter Bedeutung. Zu den Kunden in diesem Bereich gehörten die KKH und verschiedene LKKen; einige AOKen ließen ihre Belege von Inter-Forum bearbeiten. Bei den sonstigen Leistungserbringern gehörten Schwergewichte wie TK, DAK und diverse IKKen zu den Kunden. Insgesamt arbeitete das Unternehmen nach eigenen Angaben unter anderem mit fünf der zehn größten Kassen zusammen. Die Software Rezept300 wurde nicht nur von vielen Kassen eingesetzt, sondern teilweise auch von anderen externen Prüffirmen.

Syntela war seit Anfang 2005 im Geschäft. Die Firma wurde von Rando Trapp und Jörg Sander gegründet, die vorher bei Inter-Forum gearbeitet hatten. Dritter Partner war Thomas Metzger, der von der Kassenseite kam. Im Fokus stand zunächst die Prüfung der Abrechnung von Hebammen, Heilmittelerbringern & Co. Ab Herbst 2007 unterstützte die Firma ihre Kunden bei der Annahme und Kontrolle von Arztabrechnungsdaten. Die Prüfsoftware für Apotheken ging Anfang 2008 an den Start.

Im November 2014 stieg der Investor Caldec bei Syntela ein; später übernahmen die Investoren die Firma komplett. Syntela hatte zuletzt rund 140 Mitarbeiter und bot neben der Rechnungsprüfung und Datenanalyse ein breites Spektrum an Dienstleistungen an. Mit Syn!Bonus konnten Kassen ihre Bonusprogramme verwalten, bei Syn!Care wurden Daten der unterschiedlichen Leistungserbringer zusammengeführt. Ein komplettes Dienstleistungspaket gab es für die hausarztzentrierte Versorgung und die integrierte Versorgung.

Auch Zahnarztrechnungen sowie häusliche und teilstationäre Pflegeleistungen konnten über Syntela abgerechnet werden. Mit 3M kooperierte das Unternehmen seit 2012 bei der Prüfung von Abrechnungen aus Institutsambulanzen. Insgesamt hatte die Firma 65 Kassen als Kunden, davon 24 im Apothekenbereich. Während Inter-Forum stark bei AOKen und Ersatzkassen war, hatte Syntela sich vor allem im IKK- und BKK-Lager einen Kundenstamm aufgebaut.

Als Faustregel gilt: Die großen Kassen kontrollieren die Rezeptabrechnung selbst, kleinere Kassen beauftragen externe Dienstleister. Branchenkennern zufolge liegt der Marktanteil der hauseigenen Prüfstellen bei mehr als 60 Prozent – wenn man die Versichertenzahlen als Grundlage nimmt. Die restlichen 40 Prozent teilen sich einige wenige Firmen, zu denen neben Davaso Firmen wie die GfS, die Rezeptprüfstelle Duderstadt, Protaxplus, DDG und das Abrechnungszentrum Emmendingen gehören.

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