Aussagen zu Grippeimpfung

Hausarzt attackiert Spahn: „Jetzt müssen wir aufklären“

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Berlin -

Unbedachte Äußerungen und Entscheidungen der Politik in der Corona-Krise haben nach Ansicht von Hausärzten zu einer hohen Belastung der Praxen geführt.

„Es gibt ja gut gemacht und gut gemeint. Leider waren einige Entscheidungen aus der Politik aus der zweiten Kategorie», sagte Jens Wasserberg am Freitag bei WDR 5. Der zweite Vorsitzende des Hausärzteverbandes Nordrhein richtet seine Kritik auch an Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU): Er müsse in seiner Praxis allein eine Mitarbeiterin fürs Telefon abstellen, die den ganzen Tag nichts anderes mache, als verunsicherte Patienten über die Grippeschutzimpfung aufzuklären, sagte Wasserberg.

Spahn hatte wiederholt gesagt, dass genug Impfstoff vorliege. „Jetzt müssen wir aufklären und den Menschen, die nicht zur Risikogruppe gehören, sagen, dass sie keine Grippeimpfung benötigen“, sagte Wasserberg.

Wasserberg bezeichnete auch die Beherbergungsverbote in einigen Bundesländern als „ziemliche Katastrophe“. Gesunde Urlauber würden mit Kranken um Testkapazitäten konkurrieren. Die Labore seien an ihre Grenzen gestoßen und die Rückgaben der Testergebnisse dadurch verzögert worden. Die Politik solle nicht einfach „so was raushauen“, forderte der Hausärztevertreter.

Ärzte und Patientenschützer hatten in den vergangenen Tagen immer wieder Aussagen von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zur Verfügbarkeit von Grippeimpfstoff kritisiert.

Der Deutsche Hausärzteverband forderte, der Grippeimpfstoff müsse jetzt überall verfügbar sein. „Die Nachfrage ist in vielen Regionen, sicherlich auch aufgrund der medienwirksamen Aufrufe aus der Politik, sehr früh in diesem Jahr sehr hoch“, erklärte der Verbandsvorsitzende Ulrich Weigeldt. „Das gibt eigentlich Anlass zur Freude. Allerdings sind in einigen Hausarztpraxen die ersten Impfdosen bereits verimpft und die Kolleginnen und Kollegen suchen händeringend Nachschub.“

„Ich appelliere daher an die Politik: Es muss dringend sichergestellt werden, dass jetzt überall genügend Impfdosen vorhanden sind und es nicht zu längeren Verzögerungen kommt. Es darf nicht sein, dass einerseits zum Impfen aufgerufen wird, dann aber die Impfstoffe nicht nachkommen“, so Weigeldt. „Dass es bereits Mitte Oktober zu ersten regionalen Engpässen kommt, ist gerade in diesem Jahr problematisch. Viele Patientinnen und Patienten sind durch die Pandemie zu Recht verunsichert – wenn es dann in der Praxis oder Apotheke heißt, dass es aktuell keinen Impfstoff mehr gibt, sorgt das für Verunsicherung und Unmut.“

Aus der Opposition kommt Kritik: „Dass der Minister jetzt lokale Lieferengpässe einräumen muss, halte ich für äußerst bedenklich“, sagt die gesundheitspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, Christine Aschenberg-Dugnus. „Der Minister hätte von Anfang an darauf hinweisen sollen, dass sich am Anfang der Grippesaison zunächst Risikogruppen sowie Akteure im Gesundheitsbereich impfen lassen sollen.“ Dass der Impfstoff derzeit ungleichmäßig verteilt sei und es in einigen Regionen Engpässe gebe, hätte Spahns Ministerium früher als „Problem erkennen und mit einer Informationsstrategie entgegenwirken müssen“, so Aschenberg-Dugnus. Sie hätte hier „mehr Weitsicht erwartet“.

„Spahn fehlt ganz offensichtlich eine erkennbare Impfstrategie“, so Kordula Schulz-Asche (Grünen). „Das schafft gerade kein Vertrauen in der Bevölkerung.“ Sie verwies darauf, dass Spahn erst im Frühjahr bei der Empfehlung zur Pneumokokken-Impfung „ähnlich chaotisch“ reagiert habe. Damals hatte es ebenfalls einen Aufruf, aber keinen Impfstoff gegeben.

Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, warf dem Minister vor, bei der Grippeimpfung Chaos angerichtet zu haben. „Wochenlang trommelt Jens Spahn dafür, sich impfen zu lassen. Doch jetzt fehlen landauf und landab die Impfdosen, und plötzlich heißt es vom Ressortchef, zunächst sollen nur Risikogruppen den Schutz erhalten“, sagte Brysch. „Das schürt maximal Verunsicherung.“

Zuvor hatten Kinder- und Jugendärzte vor einem Mangel gewarnt. Die von der Bundesregierung vorgesehene Menge von 26 Millionen Impfdosen reiche offenbar nicht einmal für alle Risikopatienten aus, sagte der Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ), Thomas Fischbach, der Augsburger Allgemeinen. Bei dieser geplanten Menge werde von einer „nach wie vor niedrigen Impfrate“ ausgegangen.

Der Präsident der Bayerischen Landesärztekammer (BLÄK) sagte am Donnerstag, er könne Spahns Aussage, es bestünden keine Engpässe bei Grippeimpfstoffen, nicht so stehen lassen. Fakt sei, dass in Bayern viele Praxen noch nicht einmal die vorbestellten Impfstoffe komplett erhalten hätten. Nachbestellungen seien zwar möglich, jedoch zeitlich nicht absehbar. „Ob in Zukunft fristgerecht geliefert werden wird, ist eine Hypothek auf die Zukunft“, sagte Quitterer. Quitterer appellierte an die Politik, sie solle „nicht nur die Bevölkerung zum Impfen aufrufen, sondern auch sicherstellen, dass die impfwilligen Patientinnen und Patienten, vor allem die Risikopatienten und chronisch Kranken, diese Impfung auch erhalten können“. Die Nachfrage bei Grippeimpfungen sei in diesem Jahr auch in Bayern sehr hoch. Daher seien in einigen Hausarztpraxen die ersten Impfdosen bereits verimpft.

Spahn hatte am Mittwoch Befürchtungen vor Versorgungsengpässen beim Grippeimpfstoff zurückgewiesen und besonders gefährdete Bevölkerungsgruppen dazu aufgerufen, sich impfen zu lassen. Es könne momentan lokal und zeitlich zu Lieferengpässen kommen, das heiße aber nicht, dass es Versorgungsengpässe bei diesem Grippeimpfstoff gebe. Auf Nachfragen hatte er gereizt reagiert.

 

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