„Schmutzquote“

Grippeimpfstoffe: Kassen rechnen mit Millionenverlust Nadine Tröbitscher, 17.12.2018 10:00 Uhr

Berlin - 

Müssen trotz Engpass im kommenden Jahr Grippeimpfstoffe vernichtet werden? 15,7 Millionen Impfdosen hatte das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) für die Saison 2018/19 freigegeben, doch diese scheinen längst aufgebraucht zu sein: Seit Wochen suchen Apotheken überall im Land nach Restbeständen; angesichts der angespannten Situation darf importiert und teilweise getauscht werden. Bislang hat sich kein Arzt gemeldet, der noch massenhaft Ware gebunkert hat. Doch Experten gehen davon aus, dass trotz des ausgerufenen Versorgungsmangels am Ende der Saison Millionen Impfdosen auf dem Müll landen.

Für die aktuelle Saison wurden so viele Impfdosen wie in der Saison 2016/17 freigegeben. Vor zwei Jahren lag die Impfrate bei etwa 35 Prozent, wie auch in der Saison 2017/18. Generell herrscht bei der saisonalen Grippeschutzimpfung in Deutschland eine gewisse Müdigkeit. Auch in den einzelnen Regionen herrscht wenig Bewegung, auch wenn die Grippesaison 2017/18 schwerwiegend war. Wo sind die Grippeimpfstoffe in diesem Jahr geblieben? Warum werden trotz Engpass im kommenden Jahr Vakzine im Müll landen? Ein Rechenbeispiel mit Zahlen der 5. Internationalen Impfkonferenz.

In Niedersachsen leben etwa acht Millionen Menschen und somit etwa 10 Prozent der Bundesbürger. Im zweitgrößten Bundesland liegt die Impfquote der GKV-Versicherten bei etwa 15 Prozent. In der Saison 2015 wurden zu Lasten der Kassen etwa 1,1 Millionen Impfdosen abgerechnet – „Schmutzquote“ inklusive: Etwa 200.000 Grippeschutzimpfungen wurden bezahlt und weggeworfen, weil sie nicht verimpft wurden. In dieser Saison sollen dem Vernehmen nach etwa 1,4 Millionen Impfdosen und somit etwa 10 Prozent der durch das PEI freigegebenen Vakzine nach Niedersachsen geliefert worden sein. Dennoch melden Ärzte Engpässe.

Nachdem Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) Ende November den Versorgungsmangel für die saisonalen Grippeimpfstoffe ausgerufen hat und die zuständigen Landesbehörden einen Import abseits des Einzelimports nach § 73 Absatz 3 Arzneimittelgesetz (AMG) ermöglichten, sollen zudem 100.000 Impfdosen nach Niedersachsen gelangt sein. Anhand der Zahlen – ohne „Schmutzquote“, also wenn keine Vakzine weggeworfen wird – müssten sich in dieser Saison 400.000 Kassenpatienten allein in Niedersachsen mehr impfen lassen als im Jahr 2015.

Wie viele Impfdosen als Verwürfe tatsächlich in den Kühlschränken der Ärzte liegen und nicht genutzt werden, lässt sich erst im Sommer 2019 beziffern. So lange dauert es bis die Ärzte die Impfleistung bei den Kassen abgerechnet und die Inventur gemacht haben. „140.000 zu viel bestellte Impfstoffe verursachen jährlich etwa 1,7 Millionen Euro unnötige Kosten für die gesetzlichen Krankenversicherungen. Dies sind vermeidbare 12 Prozent aller Impfdosen“, schrieb die AOK Niedersachsen an die Ärzte. Die Kassen erhalten keinen finanziellen Ausgleich für die zurückgegebenen Impfdosen und den entstandenen Schaden. Den Malus zahle letztlich die Versichertengemeinschaft.

Die Hersteller orientieren sich bei der Produktion an den Vorbestellungen der Ärzte und Apotheker. In dieser Saison hatten verschiedene Faktoren zu weniger Vorbestellungen geführt. Mögliche Faktoren sind das Verbot der Rabattverträge, das juristische Gezerre um den Apothekervertrag der AOK Nordost sowie lange unklare Preise. Dies könnte für Zurückhaltung bei der Vorbestellung der saisonalen Grippeimpfstoffe gesorgt haben. Das Risiko, auf den Impfdosen sitzen zu bleiben, wollte schließlich niemand übernehmen. Dazu kam das Warten erst auf die Ständige Impfstoffkommission (STIKO), dann auf den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA). Als klar war, dass die quadrivalente Vakzine zum Leistungskatalog der Kassen gehört, blieb den Herstellern nur wenig Vorlauf für die Produktion. Bereits Ende Oktober waren die Grippeimpfstoffe abverkauft.

Dafür, dass im kommenden Jahr mehr Impfstoffe weggeworfen werden müssen, spricht auch das regionale Verteilungsproblem. Denn während in einigen Regionen die Ärzte zurückhaltend geordert haben, wurden in anderen Gebieten zu viele Impfstoffe bestellt. Unter den Ärzten darf getauscht werden, darf jedoch nur in Bayern. Denn hier gibt es eine Ausnahmeregelung.