Bizarrer Streit über Rezeptsammelstelle

Gericht: Ein Briefkasten je Apotheke

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Berlin -

In Niedersachsen gibt es einen bizarren Streit um eine Rezeptsammelstelle. Drei Apotheken wechseln sich mit der Belieferung ab, doch eine Inhaberin will einen Konkurrenten ausschließen. Außerdem findet sie die Vorgabe, dass der Briefkasten zweimal täglich geleert werden muss, unangemessen. Sie klagte gegen die Kammer, man traf sich vor Gericht. Der Fall könnte einige Sprengkraft entfalten.

Ende 2018 schloss die Burg-Apotheke in der Gemeinde Rhade auf halber Strecke zwischen Hamburg und Bremen. Im Vorraum des Dorfladens wurde eine Rezeptsammelstelle eingerichtet, die sich laut Beschluss der Kammer drei Apotheken teilen sollten: die Geestland-Apotheke und die Alte Apotheke aus Selsingen sowie die Paulus-Apotheke aus Gnarrenburg. Im Monatsturnus wechseln sich die Kolleg:innen ab.

Der Rezeptkasten hängt für jedermann zugänglich in einem Zwischenraum im Dorfladen von Rhade. Dort steht auch ein Bankautomat. Vor Ort ist man zufrieden mit der Versorgung: Der Briefkasten werde gut angenommen, sagt eine Angestellte des Ladens. Gerade Kund:innen, die nicht mobil seien, nutzten das Angebot. „Das klappt wunderbar.“ Bei Fragen zur Sammelstelle werde auf die Apotheke verwiesen. „Damit haben wir nichts zu tun.“

Doch hinter den Kulissen tobt ein Streit unter den beteiligten Pharmazeuten. Laut Britta Schleßelmann, Inhaberin der Alten Apotheke Selsingen, hätte die Paulus-Apotheke nämlich gar nicht einbezogen werden dürfen: Laut Richtlinie der Kammer sind Anträge von mehreren Apotheken nur dann als gleichwertig zu behandeln, wenn der Entfernungsunterschied zum Ort der Rezeptsammelstelle (Ortsmittelpunkt) weniger als 2 Straßenkilometer beträgt und die Apotheken in gleicher Weise die ordnungsgemäße Arzneimittelversorgung gewährleisten. Genau das sei hier nicht der Fall: So liege die Paulus-Apotheke exakt 2,09 km weiter entfernt vom Briefkasten als ihre eigene Apotheke beziehungsweise 2,02 km weiter als die Geestland-Apotheke.

Auch dass die Kammer zwei Leerungen des Briefkastens am Tag zur Auflage machte, störte Schleßelmann. Die Arztpraxis habe nur zweimal in der Woche nachmittags Sprechstunde, an allen anderen Tagen würden nachmittags kaum Rezepte eingeworfen. 40 Prozent der Fahrten am Nachmittag seien umsonst, weil der Briefkasten leer sei, rechnete sie vor. Für die Arzneimittelversorgung sei es ausreichend, wenn einmal täglich mittags geleert werde: Denn die Patienten würden dann statt am Abend am folgenden Vormittag bis spätestens 12 Uhr beliefert. Für dringende Fälle sei man jederzeit erreichbar und finde eine Lösung.

Die Kammer argumentierte, dass die Grenze von 2 km nicht starr gesehen werden dürfe, zumal der Unterschied, um die es gehe, gerade einmal 50 m betrage. Bei einer so geringen Differenz wäre es angesichts der Verkehrsverhältnisse eher willkürlich gewesen, die Gleichwertigkeit nicht anzunehmen. Die Auflage, die Rezepte in Orten mit Arztpraxis zwei- statt einmal täglich abzuholen, diene der ordnungsgemäßen Versorgung der Bevölkerung. Denn die Beschränkung auf eine Tour am Tag könne dazu führen, dass ein Patient über das Wochenende unversorgt bleibe. Das Interesse an einer zügigen Auslieferung überwiege das Interesse der Apothekerin, den Aufwand für den Betrieb der Rezeptsammelstelle möglichst gering zu halten.

Schleßelmann geht es, wie sie sagt, nicht nur um die Wirtschaftlichkeit, sondern auch ums Prinzip: „Bei uns Apotheken nimmt es die Kammer immer ganz genau. Wenn die Grenze zwei Kilometer ist, ist es zwei Kilometer, dann gilt das auch dafür“, argumentiert die Apothekerin auf Nachfrrage. Da sie gegen den Bescheid keine Beschwerde einlegen konnte, sah sie sich gezwungen, vor Gericht zu ziehen: Im Frühjahr 2019 reichte sie beim Verwaltungsgericht Stade (VG) Klage gegen die Kammer ein. „Ich hätte auch lieber das Gespräch gesucht“, sagt sie.

Auch wenn der Antrag der Apothekerin teilweise verworren war und mehrfach abgeändert wurde, setzten sich die Richter eingehend mit ihren Argumenten auseinander und wogen Für und Wider ab. Am Ende war die zweite Nachkommastelle entscheidend, denn diese wird in der Richtlinie der Kammer vernachlässigt. Ergo ist der Unterschied aus Sicht des VG „weder kleiner noch größer als 2,0 km“. Also habe die Kammer ihre Richtlinie nicht willkürlich angewendet, zumal aus der Vergangenheit auch keine Fälle bekannt seien, in denen der Entfernungsunterschied sich erst in der zweiten Nachkommastelle auswirkte.

Angreifbar war der Entscheid aus Sicht des Gerichts trotzdem, schon weil er an die frühere Inhaberin der Paulus-Apotheke gebunden war, die sich aber zur Ruhe gesetzt und ihre Apotheke übergeben habe. Es sei Schleßelmann weder erlaubt, die Rezeptsammelstelle mit der alten Inhaberin zu betreiben noch mit deren Nachfolger, der nicht im Bescheid genannt werde.

Womit die Richter aber vor allem ein Problem hatten, war die Aufteilung auf mehrere Apotheken. Dass für einen abgelegenen Ort nur eine einzige Rezeptsammelstelle zulässig sein soll, ergebe sich zwar aus der Richtlinie, sei aber gesetzlich nicht bestimmt. Denn der Wortlaut des § 24 Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) – „Die Erlaubnis ist dem Inhaber einer Apotheke auf Antrag zu erteilen, wenn zur ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung von abgelegenen Orten oder Ortsteilen ohne Apotheken eine Rezeptsammelstelle erforderlich ist.“ – sage nichts über eine bestimmte Anzahl pro Ort aus. Zulässig sei allenfalls der Schluss, dass nur eine Rezeptsammelstelle je Inhaber zulässig sein solle – aber nicht der Umkehrschluss, dass es nur eine Rezeptsammelstelle je Ort geben dürfe.

Die „Erforderlichkeit“ sei für jeden Antrag gesondert zu prüfen – und zwar unabhängig davon, ob bereits Rezeptsammelstellen vorhanden sind oder ob Rezeptsammelstellen parallel beantragt wurden, so die Richter. Eine Prüfung, wie sie die Kammer durchführe, sei mit der im Grundgesetz verbrieften Berufsausübungsfreiheit nicht vereinbar. „Es ist für die Versorgung der Bewohner eines abgelegenen Orts mit Arzneimitteln offensichtlich unerheblich, ob im Ort ein, zwei oder drei Rezeptsammelstellen vorhanden sind, genauso wie es unerheblich ist, ob in einem Ort ein, zwei oder drei Apotheken vorhanden sind. Maßgeblich ist lediglich, dass die Rezeptsammelstellen ordnungsgemäß zuverlässig betrieben werden. Das ist aber nicht von ihrer Anzahl abhängig, sondern von der Zuverlässigkeit des Apothekers, der die Sammelstelle betreibt.“

Auch wenn Rentabilitätsaspekte dabei keine Rolle spielten, ist der Bescheid aus Sicht der Richter nach diesem Maßstab rechtswidrig, weil die Kammer zwar die Erforderlichkeit angenommen habe, Schleßelmann aber nicht die beantragte eigene Erlaubnis erteilt, sondern sie auf den gemeinsamen Betrieb eingeschränkt habe.

Für die bestehende Rezeptsammelstelle spielt die Entscheidung faktisch keine Rolle mehr, denn sie war bis Ende des Jahres befristet. Da der Antrag für drei Jahre gilt, wäre es bald an der Zeit, ihn erneut zu stellen. „Ob ich das machen werde, weiß ich noch nicht“, sagt Schleßelmann.

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