EuGH-Urteil

Dittmar (SPD): Rx-Versandverbot gefährdet Patientenwohl Lothar Klein, 20.01.2017 10:08 Uhr

Berlin - 

In der SPD gibt es nach wie vor keine klare Linie zum Rx-Versandverbot: Während Fraktionsvize Karl Lauterbach am Wochenende überraschend eine Zustimmung der SPD in Aussicht gestellt hat, lehnt die für Arzneimittel zuständige Berichterstatterin Sabine Dittmar ein Rx-Versandverbot ab: „Unser Ziel ist es, den Status Quo vor dem 19.10.2016 wieder herzustellen. Das kann nur sehr schwer durch ein Rx-Versandhandelsverbot geschehen, wie die Linke in ihrem Antrag vorschlägt“, heißt es in Dittmars zu Protokoll gegebener Bundestagsrede.

Gute, wohnortnahe und sichere Arzneimittelversorgung sei für die SPD-Fraktion ein ganz wichtiges Thema, so Dittmar. Die Debatte zum Rx-Verbotsantrag der Fraktion Die Linke fand zur späten Stunde im Bundestag nicht mehr statt. Stattdessen wurden die vorbereiteten Reden zu Protokoll gegeben. In Dittmars Rede heißt es, die Präsenzapotheken spielten „eine ganz, ganz wichtige Rolle“. Deswegen wolle die SPD die Offizinapotheke stärken.

Die Konkurrenz durch den Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln spiele bislang keine große Rolle. Aber man könne auch nicht sagen, dass „er keine Rolle spielt“. Dittmar: „Fakt ist, dass die Einführung des Versandhandels unsere von allen hoch geschätzte flächendeckende Apothekenlandschaft nicht gefährdet hat.“

Seit dem EuGH-Urteil stelle sich die Situation allerdings anders dar: Die möglichen Rx-Boni europäischer Versender verzerrten die Wettbewerbsbedingungen. „Uns ist es daher wichtig, hier wieder gleiche Wettbewerbsbedingungen herzustellen und gleichzeitig dem Verbraucher alle bisherigen Vertriebswege zu erhalten“, so Dittmars Redetext. Ein Rx-Versandhandelsverbot würde in manchen Bereichen die Versorgung erschweren, wenn nicht verschlechtern. Der Rx-Versandhandel spiele schließlich nicht nur für europäischen Versandapotheken eine Rolle, sondern auch für deutsche Apotheken.

Die Versorgung in ländlichen, strukturschwachen Regionen werde sehr häufig durch Rezeptsammelstellen und die Zustellung durch den Botendienst gewährleistet. Nach der Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) seien die Voraussetzungen für diesen Botendienst sehr restriktiv. Ihr hätten Apotheker bestätigt, dass für einen organisierten, strukturierten und auch beworbenen Botendienst, „wie ihn glücklicherweise gerade Apotheken in ländlichen Regionen anbieten, die Rechtsgrundlage des Rx-Versandes sinnvoll ist“. Die ApBetrO erlaube schließlich nur den Botendienst im Einzelfall.

Dittmar: „Zudem müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass ein Versandhandelsverbot insbesondere die Versorgung für seltene Erkrankungen erschweren würde, da in diesen Bereichen oft Fertigarzneimittel vom Markt genommen werden. Derzeit wird die Versorgung mit speziellen Rezepturen und Arzneimitteln zu großen Teilen über einige wenige hochspezialisierte deutsche Versandapotheken sichergestellt.“

Dazu führt Dittmar ein Beispiel an. „Spina Bifida Patienten, also Patienten, die unter anderem unter eingeschränkter Blasenfunktion leiden, werden derzeit beispielsweise von wenigen deutschen Versandapotheken mit Oxybutynin-Installationsspritzen versorgt. Wie wollen Sie diesen Patienten erklären, dass sie ihre Spritzen, die sie für Teilhabe benötigen, künftig nicht mehr wie gewohnt über den Versandhandel erhalten können, sondern die Versorgung – in welcher Form auch immer – aufwändiger und bürokratischer wird?“ Auf solche speziellen Versorgungsbedürfnisse liefere ein Rx-Versandhandelsverbot keine zufrieden stellenden Antworten.

Daher lohne es sich, über andere Wege für gleichlange Spieße im Wettbewerb nachzudenken. Für Dittmar liegt eine Lösung im Sozialgesetzbuch (SGB V). Dort könnte man den § 129 für alle Partner des Rahmenvertrages zur Arzneimittelversorgung so anpassen, dass es gleiche und rechtlich verbindliche Vertragsbedingungen für alle gebe und die Sanktionsmöglichkeiten schärfen. Diese Regelung läge in „alleiniger nationalstaatlicher Zuständigkeit“.

Dittmar: „Ich bin davon überzeugt, dass eine solche Regelung über das SGB nicht nur eine sehr viel bessere, sondern vor allem eine viel schnellere Antwort auf das EuGH-Urteil liefert als ein Rx-Versandhandelsverbot. Denn bekanntlich müsste ein Verbotsverfahren ein langwieriges EU-Notifizierungsverfahren durchlaufen. So lange wollen wir die Apotheker aber nicht im Regen stehen lassen.“

Mit ihrem Vorschlag liegt Dittmar auf der Linie ihres Fraktionskollegen Edgar Franke. Der Vorsitzende des Gesundheitsausschusses hatte schon vor Wochen vorgeschlagen, Rx-Boni über das Sozialgesetzbuch zu deckeln oder komplett zu verbieten. Franke lehnt Gröhes Rx-Versandverbotsinitiative als „Schnellschuss“ ab. Außerdem bestünden erhebliche Zweifel an der europarechtlichen Zulässigkeit eines Rx-Versandverbotes.

Unklar ist damit weiterhin, wie es mit der Gesetzesinitiative von Bundesgesundheitsminister Gröhe weitergeht. Die Frühkoordinierung des Entwurfs im Bundeskabinett ist noch nicht abgeschlossen. Dort kommt es insbesondere auf die Stellungnahmen des SPD-geführten Justizministeriums und des Wirtschaftsministeriums von Vize-Kanzler Sigmar Gabriel (SPD) an. Als möglicher Kanzlerkandidat der SPD muss Gabriel sowohl Rücksicht auf die SPD-Bundestagsfraktion als auch auf den wichtigen SPD-Landesverband NRW nehmen. Die NRW-SPD befürwortet ein Rx-Versandverbot. Die Gemengelage in der SPD ist entsprechend kompliziert.