Kommentar

EU-Wahl: Apotheker zwischen den Parteifronten

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Berlin -

Stärker als jeder bundesweite Urnengang hat die Europawahl die deutsche Parteienlandschaft durcheinander gewirbelt – mit weitreichenden Konsequenzen. Die altehrwürdige SPD kämpft um ihre Existenz, die Grünen gewinnen die Städte, die AfD den Osten und die Union kann nur noch bei den Ü60-Jährigen auf dem Land Mehrheiten gewinnen. In der Großen Koalition dürfen mit diesem Ergebnis die Spannungen steigen. Das wird sich auch auf die für die Apotheker relevante Gesetzgebung auswirken, kommentiert Lothar Klein.

Wie nie zuvor in ihrer über 150-jährigen Geschichte ist die SPD für ihre Politik von den Wählern so abgestraft worden. Bei einer bundesweiten Wahl ist die SPD erstmals hinter den Grünen auf dem dritten Platz gelandet. Das hat Gründe: Die SPD hat ihre Stammwählerschaft verloren. Laut Wahlanalysen stimmten nur 14 Prozent der Arbeiter die Sozialdemokraten. Die SPD ist auch hier auf Platz drei weit hinter der Union (24 Prozent) und sogar der AfD (23 Prozent) abgerutscht. Der verzweifelte, aber durchsichtige Versuch kurz vor der Europawahl noch mit einem Grundrentenkonzept bei ihren Wählern zu punkten, ist kläglich fehlgeschlagen.

Andererseits hat es die SPD nicht geschafft, beim wichtigsten Thema der Europawahl – dem Umweltschutz – Positionen zu besetzen. Davon haben die Grünen als eindeutige Wahlgewinner profitiert. Wenn knapp 50 Prozent den Klima- und Umweltschutz für das wichtigste Thema halten, hat die SPD mit der Grundrente einfach das Thema verfehlt. Das dürfte in den kommenden Tagen und Wochen die SPD-interne Diskussion bestimmen. Die Fragen und Kritik richten sich vor allem am Parteichefin Andrea Nahles, die es innerhalb des letzten Jahren nicht geschafft hat, der SPD ein neues und modernes Profil zu geben. Die Wähler laufen weiterhin in Scharen davon.

In der Großen Koalition dürfte die Europawahl ihre Spuren hinterlassen: Angesichts des Desasters ist die Sehnsucht nach einem Ausstieg, nach einem Ende der Merkel-Koalition mit Sicherheit nicht gestiegen. Bei einer Bundestagswahl in absehbarer Zeit drohten der SPD ebenfalls herbe Stimmenverluste, die Zahl ihrer Bundestagsmandate dürfte erheblich schrumpfen. Daran haben vor allem die aktuellen SPD-Parlamentarier kein Interesse. So gesehen kann die Europawahl die mürbe große Koalition sogar zusammenschweißen – zu einer politischen Notgemeinschaft aus Furcht vor dem Wähler.

Andererseits dürfte trotzdem in der Koalition der Ton rauher werden. Die SPD muss sich in Szene setzen. Und das geht am besten mit Streit. Als Konfliktfall könnte als erstes das Gesetzfür mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) dienen. Plötzlich ist der SPD aufgefallen, dass sich das Thema Importförderklausel politisch ausschlachten lässt. Wegen ihrer saarländischen Nähe zum Arzneimittelimporteur Kohlpharma lassen sich Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier und CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer in die Ecke von Lobby-Politikern stellen.

Die Abstimmung über das GSAV steht für den 6. Juni auf der Tagesordnung des Bundestages. Die SPD hat Widerstand gegen die darin enthaltenen Importförderklausel bereits zu Protokoll gegeben. Es ist gut möglich, dass der Streit darum zu einer Absetzung führt.

Auch das Apothekenstärkungsgesetz gerät in die Mühlen der Parteipolitik. Am 19. Juni möchte Spahn das Kabinett darüber abstimmen lassen. Selbst wenn es ihm gelingt, die Bedenken des Bundesjustiz- sowie des Finanz- und des Wirtschaftsministeriums auszuräumen, spätestens in der im Herbst beginnenden Beratung im Bundestag wird die SPD ihre Positionen vertreten: Für die Apotheker bedeutet dies nichts Gutes. Die SPD will einen Mini-Rx-Bonus durchsetzen. Die Gleichpreisigkeit wäre damit endgültig am Ende. Und wie viel mehr Geld die SPD den Apotheken für neue pharmazeutische Dienstleitungen überlässt, bleibt ebenfalls abzuwarten.

Aber es gibt noch einen Aspekt dieser Europawahl, der das Zeug hat, die Parteienlandschaft und die eingeübten Spielregeln der Demokratie auf den Kopf zu stellen: die Digitalisierung. Erstmals haben sich die Influencer des Internets eingemischt. Bisher haben sich die meisten davon hauptsächlich um eigenes Voran- und Einkommen mit Produktwerbung und Marketing gekümmert. Was aber geschieht, falls die Internetgemeinde Spaß an der politischen Macht findet? Wenn sie sich nicht nur einmischen, sondern mitmischen wollen?

Man könnte auf die Idee kommen, Online-Parteien zu gründen. Die Gründung einer Partei ist nach dem Grundgesetz frei und bedarf keines konstitutiven staatlichen Aktes. Warum sollte das nicht auch digital funktionieren und mit der oftmals zu bestaunenden Geschwindigkeit, mit der das Internet Veränderungen anschiebt, nicht auch die Parteienlandschaft disruptiv auf den Kopf stellen? Das wäre das Ende der traditionellen Parteienlandschaft.

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