Offener Brief an Minister Spahn

Durchgerechnet: Apotheker Kaiser gegen Rx-Versandverbot

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Berlin -

Christoph Kaiser ist Apotheker aus Überzeugung. Mit Herzblut und Leidenschaft arbeitet er in der Passauer Pazzawa Apotheke und fragt sich, wie sich die Pharmazie zukunftssicher machen lässt. Denn die flächendeckende Versorgung auf hohem Niveau sieht er in Gefahr. Und so schreibt Kaiser einen offenen Brief an Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und die führenden Gesundheitspolitiker. Denn: „Stillstand ist der erste Schritt rückwärts“, findet er, und das Rx-Versandverbot der falsche Weg.

„Das Rx-Versandverbot ist ein Scherz gegen das, was man erreichen kann“, ist sich Kaiser sicher. „Wir können nur gewinnen und endlich als kompetenter Partner im Gesundheitswesen im Rahmen der integrierten Versorgung unseren Platz einnehmen.“ Dabei müsse sich die Pharmazie neu erfinden und bereit sein, Verantwortung zu übernehmen, schreibt Kaiser in einem offenen Brief an den Spahn und die Bundestagsabgeordneten Kordula Schulz-Asche (Die Grünen), Sabine Dittmar (SPD) und Melanie Huml (CSU) sowie Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) und ABDA-Präsident Friedemann Schmidt.

„In Zeiten der wachsenden Bedeutung von Digitalisierung und eHealth, ist es an der Zeit, die richtigen Weichen zu stellen. Die Gefahr ist groß, dass der Patient unter die Räder gerät,“ schreibt Kaiser, der feststellt, dass im Gesundheitswesen der Patient immer mehr als Kunde betrachtet wird. Kaiser sorgt sich um die Zukunft der Apotheke, will aber auch Lösungen und Visionen anbieten und sich nicht verstecken oder gar auf das Rx-Versandverbot verlassen und dafür die Fahne hochhalten. Denn Kaiser ist sich sicher, das Rx-Versandverbot wird – wenn überhaupt – nur sehr kurze und kaum spürbare Effekte zeigen, auch bestehende Strukturen könnten sich dadurch nicht erhalten lassen.

Seine Sorge: „Genau betrachtet, wird das Verbot keine kleine oder mittelgroße Apotheke vor der Schließung retten, beziehungsweise einen Arbeitsplatz erhalten oder schaffen.“ Es helfe nur den großen Apotheken. „Um die flächendeckende Versorgung zu erhalten und dem eigenen Berufsstand Perspektiven zu bieten, braucht es mehr als Notiz im Koalitionsvertrag. Es braucht Visionen wie GKV finanziertes Medikationsmangement, Prescribing Pharmacist und so weiter“, schreibt Kaiser an die Politiker. Dabei ist sich der Apotheker bewusst, bei den Kollegen auf Gegenwehr zu stoßen und anzuecken. Kaiser mahnt die Apotheker, die Angst vor beispielsweise Folgeverordnungen und die Konservativität abzulegen. „Wir können nur gewinnen.“

Gegen die Vision Rx-Versandverbot stellt Kaiser eine einfache Rechnung: „Bei dem Thema fällt mir auf, dass fast immer nur von einem Umsatzvolumen gesprochen wird. Bezahlt wird aber nur ein Fixum nach Stückzahl/Fertigarzneimittel (AMPreisV § 3). Von Umsatz auf Gewinn zu schließen, ist in dieser Diskussion nicht zielführend. Daher darf nur streng nach Stückzahlen gerechnet werden, um den Effekt des Versandverbots zu beurteilen.“

Kaiser rechnet weiter: „2017 hat der Gesamtmarkt ein Volumen von 738 Millionen Packungen (AWA Wirtschaftsdienst 1/18) erzielt. Auf den Versand Rx entfallen 8,3 Millionen Packungen.“ Diese würden auf 19.748 Apotheken verteilt. „Es ist natürlich eine ‚Milchmädchenrechnung‘, aber es verdeutlicht das Problem auf sehr anschauliche Weise.“

8,3 Millionen Packungen auf 19.748 Apotheken entsprechen 420 Packungen pro Jahr/Apotheke rechnet Kaiser vor. Der Gewinn pro Packung ergebe sich aus 8,35 Euro Honorar abzüglich 1,77 Euro Kassenabschlag zu 6,58 Euro pro Packung, entsprechend bei 420 Packungen ergäben sich pro Jahr pro Apotheke 2763,60 Euro mehr Rohgewinn. Berücksichtigt man noch den Aufschlag von 3 Prozent gemäß AMPreisV ergäben sich rund 3500 Euro. Dabei beziehen sich die Zahlen allein auf die gesetzlich Versicherten. Kleinen Apotheken im ländlichen Raum würden entsprechend kaum profitieren, ist Kaiser überzeugt.

Kaiser: „Ich wohne und arbeite im Landkreis Passau. Der Landkreis ist sehr ländlich geprägt und neben einer hohen Apothekendichte in der Stadt hat so gut wie jede Gemeinde eine versorgende Landapotheke. Deshalb will ich als Beispiel auch noch den Landkreis anhand von Durchschnittswerten ausrechnen. Im Jahr 2017 hat die Durchschnittsapotheke 22.000 Packungen zu Lasten der GKV abgerechnet. Würde man nun die durch das Verbot hinzukommenden Rx-Packungen mit einberechnen, bringt das nicht einmal eine Steigerung von 2 Prozent. Wenn ich mir diese Rechnungen anschaue, wird die Pharmazie dadurch nicht gerettet oder zukunftsfähiger. Auch der flächendeckende Versorgungsauftrag lässt sich sicher damit nicht bewerkstelligen.“

Kaiser geht sogar weiter: „Das Rx-Versandverbot als alleinige Maßnahme reduziert die Apotheken auf eine Ausgabestelle für Arzneimittel.“ Dabei kann die Apotheke viel mehr und mit neuen Kompetenzen wie dem GKV-finanzierten Medikationsmanagement, zeigen was sie kann. „Im Sinne einer menschlicheren Medizin ist es an der Zeit, dass Krankenkassen den Apothekern mehr zutrauen als Packungen zu verkaufen. Gleichzeitig ist auch die Kollegialität unter den Heilberuflern gefragt. Apotheker wollen den Ärzten nichts wegnehmen, sie können sie nur entlasten. Gemeinsame Anstrengungen zum Wohl des Patienten sind das Ziel. Der Anfang ist die Einführung eines flächendeckenden, von der GKV finanzierten Medikationsmanagements mit E-Rezept und digitaler Patientenakte.“

Auch hierfür hat Kaiser eine Rechnung aufgestellt. „In Deutschland leben etwa 22 Millionen Menschen über 60 Jahren. Diese nehmen im Schnitt mehr als fünf verschiedene Medikamente ein. Angenommen diese Menschen kommen zu einem Drittel in ein Medikationsmanagementprojekt, das mit 30 Euro pro Patient vergütet wird. Dann ergeben sich 217.800.000 Euro. Aufgeteilt auf 19748 Apotheken sind das 11.029 Euro pro Apotheke, also mehr als das Dreifache im Vergleich zum Rx-Versandverbot. Dafür lohnt es sich zu kämpfen.“

Kaiser verweist auf das von ABDA und Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV) vorgelegte gemeinsamen Eckpunktepapier, „Zukunftskonzept Arzneimittel”. Dieses zeige, dass bei einer Einbindung der Apotheker die Versorgungsqualität steige aber die Kosten sinken. „Der Vorteil beträgt etwa zwei Milliarden Euro/Jahr für die Gemeinschaft“, schreibt Kaiser. „Damit würde die Apotheke vor Ort sich weg von der Ausgabestelle für Arzneimittel, hin zu einem Kompetenzzentrum wandeln können, das unabhängig ist von packungsbezogener Honorierung.“

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