Engpässe in der Coronakrise

Bundeswehr will wieder Arzneimittel herstellen

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Berlin -

Die Bundeswehr soll wieder selbst Arzneimittel herstellen. Das fordert der Inspekteur des Sanitätsdienstes, Generaloberstabsarzt Dr. Ulrich Baumgärtner. Darauf sei nach Ende des Kalten Krieges aus betriebswirtschaftlichen Gründen verzichtet worden. Angesichts der derzeitigen Lieferengpässe sei jedoch ein Umlenken nötig. Eingestellt worden war die Arzneimittelproduktion nicht zuletzt aufgrund der Kritik des Bundesrechnungshofs.

Dass der zivile Arzneimittelmarkt künftig ausreicht, um die Truppe zu versorgen, war wohl eine der vielen Hoffnungen nach dem Ende des Kalten Krieges, die sich nicht erfüllt haben. „Man ging davon aus, eine ständige Marktverfügbarkeit der notwendigen Produkte zu haben und günstiger auf dem zivilen Weltmarkt einkaufen zu können“, so Baumgärtner. Allerdings zeige sich insbesondere jetzt in der Sars-CoV-2-Pandemie sehr schmerzlich die Nichtverfügbarkeit vieler Arzneimittel. „In der Krise stehen wir bei ihrer Beschaffung in Konkurrenz mit der ganzen Welt“, erklärte der 59-Jährige.

Da das nicht ausreichend funktioniere, müsse die Bundeswehr wieder dazu übergehen, selbst zu produzieren. „Wir müssen für die dringend notwendige Versorgung unserer Soldaten umdenken und auch bestimmte Basismedikamente wieder selbst herstellen“, fordert Baumgärtner. „Ziel muss daher der Aufbau einer robusten Fähigkeit zur Herstellung von Arzneimitteln durch eigene Herstellungsstätten sein. Diesen dringend nötigen Dreiklang haben wir in der Corona-Krise identifiziert.“

Gänzlich neu ist die Klage nicht. Schon in der Vergangenheit hatte Baumgärtner die Verlagerung der Wirkstoffproduktion nach Indien und China kritisiert. „Auf diesen Umstand und die möglichen Konsequenzen weisen wir immer wieder hin. Wir müssen uns ja auf mögliche Einsatzszenarien vorbereiten und die sanitätsdienstliche Versorgung vorplanen“, sagt Baumgärtner vor wenigen Wochen erst dem Fachmagazin „Europäische Sicherheit und Technik“ (ES&T). „Uns ist schon seit vielen Jahren klar, dass das Verlagern von Produktionsstätten für relevante wichtige Medikamente in Länder wie China und Indien in einem Krisenfall dazu führen kann, dass in Deutschland dann Medikamente knapp werden. Für uns heißt das: Wir müssen unseren Einsatzvorrat in den Bundeswehr-Apotheken so gestalten, dass wir durchhaltefähig sind und bleiben.“

Dabei fordert Baumgärtner aber auch von der zivilen Politik Maßnahmen, um die Lieferprobleme in den Griff zu bekommen. „Im Rahmen der gesamtstaatlichen Sicherheitsvorsorge müssen aber auch zivil, national wie europaweit, entsprechende Vorbereitungen getroffen werden“, so Baumgärtner zu ES&T. „Da gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten: Wir müssen entsprechende Lagerbestände vorhalten oder eben gezielt Produktionskapazitäten in den europäischen Raum zurückholen.“

Ebenfalls Anfang des Monats hatte die Bundeswehr bereits angekündigt, mit der Produktion von Desinfektionsmitteln zu beginnen. „Grundsätzlich werden durch die Bundeswehrapotheken keine Desinfektionsmittel hergestellt“, so eine Bundeswehrsprecherin damals. „Aufgrund der besonderen Situation in der Bekämpfung des Coronavirus werden derzeit Maßnahmen getroffen, diese Herstellungskapazitäten zu ermöglichen.“ Den Streitkräften zufolge hat jede Bundeswehrapotheke im In- und Ausland bereits die Möglichkeit, Rezeptur- und Defekturarzneimittel herzustellen.

Die Arzneimittelproduktion im großen Maßstab basierte auf Überlegungen aus den 80er-Jahren, aufgrund der damaligen sicherheitspolitischen Lage jederzeit eigene Arzneimittel herstellen zu können. In Ulm und Koblenz hielt die Bundeswehr eigene Kapazitäten zur Serienproduktion von Tabletten, Salben und sterilen Lösungen im industriellen Maßstab. Hergestellt wurden neben Schmerztabletten wie Paracetamol vor allem Hustentropfen, Nasenspray, Sonnencreme, Lippenschutzstifte und Insektenschutzmittel. Mit der veränderten globalpolitischen Lage nach Ende des Ost-West-Konflikts nahm auch die Bedeutung dieser Produktion ab. Den Todesstoß gab der Arzneimittelproduktion 2012 ein Bericht des Bundesrechnungshofs. „Würde die Bundeswehr konsequent auf die Wirtschaftlichkeit ihrer Versorgung mit pharmazeutischen Produkten achten, könnte sie auf die Herstellung gängiger Produkte im industriellen Maßstab verzichten“, hieß es darin. Die Bundeswehr habe bei der wirtschaftlichen Ausrichtung ihrer Apotheken nicht mit den tatsächlichen, sondern mit zu niedrigen Herstellungskosten kalkuliert. Deshalb könne sie bei der pharmazeutischen Industrie zu Preisen unter ihren eigenen Herstellungskosten einkaufen, insbesondere gängige Schmerztabletten und kosmetische Mittel.

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