Umstrittene Frischzelltherapien

Bundesverwaltungsgericht: Arzt ist nicht allmächtig APOTHEKE ADHOC, 11.02.2020 15:11 Uhr

Behörden dürfen in begründeten Fällen auch die Anwendung von Arzneimitteln einschränken, entschied jetzt das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) im Zusammenhang mit der umstrittenen Frischzellentherapie. Foto: APOTHEKE ADHOC
Berlin - 

Ärzte sind in ihren Therapieentscheidungen frei – so lange sie Patienten nicht gefährden. Die Behörden dürfen in begründeten Fällen auch die Anwendung von Arzneimitteln einschränken, entschied jetzt das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) im Zusammenhang mit der umstrittenen Frischzellentherapie. Ein Arzt aus Rheinland-Pfalz hatte sich geweigert, einen Beleg für die Wirksamkeit zu liefern. Er sah vielmehr die Aufsicht in der Pflicht, konkrete Risiken nachzuweisen – und wurde von den Richtern in Leipzig eines Besseren belehrt.

Der Mediziner war bis 2018 als Chefarzt einer Privatklinik tätig und behandelte unter anderem Organerkrankungen, Allergien und Herz-Kreislaufstörungen mit Zellen tierischer Herkunft. Dabei injizierte er seinen Patienten Zellen und Gewebe aus Schafsföten, die geschlachteten trächtigen Schafe entnommen worden waren. Nachdem im August 2014 in einer anderen Einrichtung mehrere Personen an Q-Fieber erkrankten, die mit Frischzellen von Tieren aus derselben Schäferei behandelt worden waren, stufte die Behörde die Präparate als bedenkliche Arzneimittel ein und untersagte Herstellung und Anwendung.

Widerspruch, Klage und Berufung blieben erfolglos, nun wollte der Mediziner die Sache vom Bundesverwaltungsgericht geklärt wissen. Er stellte sich auf den Standpunkt, dass die Herstellung von Arzneimitteln durch einen Arzt zur Anwendung bei seinen Patienten nicht in den Anwendungsbereich des Arzneimittelgesetzes falle und es folglich keine Einschränkung der ärztlichen Berufsausübungsfreiheit geben dürfe.

Doch die Richter in Leipzig lehnten es mangels grundsätzlicher Bedeutung ab, sich erneut mit dem Fall zu befassen. Akribisch legen sie gegenüber dem Arzt dar, dass 2006 – übrigens gerade wegen der Frischzellentherapie – der Gesetzgeber per Änderung des Grundgesetzes ermächtigt wurde, auch die Herstellung von Arzneimitteln zur direkten Anwendung durch den Arzt zu regeln. Dass 2009 davon Gebrauch gemacht wurde und das Arzneimittelrecht auf die Zubereitung in der Praxis ausgeweitet wurde. Dass dabei neuartige Therapien und exogene Arzneimittel explizit nicht von der Erlaubnispflicht wurden. Und dass schließlich neben dem Inverkehrbringen auch die Anwendung von bedenklichen Arzneimitteln untersagt wurden, um den Schutz der Patienten zu stärken und Strafbarkeitslücken zu schließen.

Auf dieser Grundlage habe das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz zu Recht entschieden, dass es sich bei den Frischzellenpräparaten um bedenkliche Arzneimittel handele. Über Bekundung eines unspezifischen, subjektiv empfundenen Nutzen seiner Patienten hinaus habe der Arzt keine hinreichenden Belege für eine konkrete Wirksamkeit in einer bestimmten Indikation erbracht.m Vielmehr ergebe sich gemäß eines Gutachtens des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) der begründete Verdacht schwerwiegender autoimmunologischer und allergischer Nebenwirkungen.

Diese Bedenken habe der Mediziner nicht ausräumen können, vielmehr habe er sich damit begnügt, „seine eigene Meinung an die Stelle der Würdigung des Gerichts zu setzen“. Das Gericht habe sich dagegen nicht nur mit theoretischen Möglichkeiten begnügt, sondern auf konkrete Fälle und statistische Auswertungen von Nebenwirkungen abgestellt. Als bedenklich seien Arzneimittel einzustufen, bei denen nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse der begründete Verdacht bestehe, dass sie bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen haben, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen. „Ein positiver Nachweis der befürchteten schädlichen Wirkungen ist deshalb nicht erforderlich.“

Mit dem Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) wurden Frischzelltherapien übrigens Ende vergangenen Jahres komplett verboten. Laut aktuellem Forschungsstand sind sie nicht nur nutzlos, sondern auch gefährlich. Im Jahr 2014 steckten sich zum Beispiel in Rheinland-Pfalz mehrere Patienten und Klinikmitarbeiter mit der hochansteckenden Schafkrankheit Q-Fieber an. Sie kann zu Lungenentzündung, Herzmuskelentzündung und auch zum Tod führen.

Frischzellentherapien wurden als „Anti-Aging-Kur“ oder zur „Stärkung er Immunabwehr“ angepriesen. Privatkliniken lockten mit diesen und ähnlichen Versprechen zum Teil schwer kranke Menschen aus aller Welt an. Sie erhofften sich mit den Kuren unter anderem Heilung oder Linderung von Krankheiten wie Parkinson oder Multipler Sklerose.