Hilfsmittelausschreibungen

Grüne: Versand gefährdet Versorgung vor Ort

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Berlin -

Die Diskussion um Hilfsmittelausschreibungen hat den Bundestag erreicht: Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat sich mit einer Kleinen Anfrage an die Regierung gewandt. 38 Fragen zum Umfang der Ausschreibungen, zu Aufzahlungen, Lieferzeiten, Anbieterstrukturen und Qualitätssicherung sowie zur Information der Patienten haben die Abgeordneten gestellt. Auch auf die Kritik der Krankenkassen am veralteten GKV-Hilfsmittelverzeichnis soll die Regierung eingehen.

Die Oppositionspolitiker kritisieren, dass der Anteil der Hilfsmittel, die Krankenkassen über Ausschreibungsverfahren beziehen, deutlich angestiegen ist. Damit einher gehe eine Zunahme an Beschwerden über die mangelnde Qualität einiger Produkte.

Sowohl durch die Patienten als auch durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) seien Qualitätseinbußen in der Hilfsmittelversorgung festgestellt und dokumentiert worden, schreiben die Abgeordneten. Die Beschwerden bezögen sich auf qualitativ minderwertige Hilfsmittel, die unkoordiniert und nicht termingerecht aus dem gesamten Bundesgebiet geliefert würden.

„Beispielsweise kommt der Badewannenlifter von einer Firma in Dortmund, der Toilettenstuhl aus Sigmaringen, das Inkontinenzmaterial aus Berlin und das Pflegebett aus Gütersloh“, heißt es in der Anfrage. Je mehr Hilfsmittel ausgeschrieben würden, desto höher werde die Anzahl der verschiedenen Leistungserbringer, die einen einzelnen Patienten belieferten.

Aufgrund der großen Distanzen kämen die Hilfsmittel größtenteils über den Versandweg. Selbsthilfeverbände berichteten, dass die erforderliche Beratung und Einweisung häufig nicht in ausreichendem Maße oder lediglich am Telefon stattfinde, so die Abgeordneten. Auch notwendige Anpassungen oder Reparaturen würden aus ökonomischen Gründen teilweise unterlassen. Damit blieben elementare Serviceleistungen auf der Strecke, kritisieren die Politiker. Eine Überprüfung der Ergebnisqualität durch die Krankenkassen erfolge viel zu selten.

Ein weiteres Problem der Ausschreibungen sei, dass sich jahrelang gewachsene und erprobte, regionale Versorgungsstrukturen auflösten und es zu Leistungs-, Service- und Qualitätsverlusten für die Patienten komme. „Damit könnten die Versorger vor Ort ihr Dienstleistungsangebot, wie Notdienste, Beratungen, Reparaturen und andere Serviceleistungen, aus Rentabilitätsgründen nicht mehr aufrechterhalten“, so die Abgeordneten.

Zudem werde wiederholt beklagt, dass die gelieferte Menge nicht bedarfsdeckend sei. „Auch hier seien Lieferanten oft nur dann zur Abhilfe bereit, wenn zusätzliche Hilfsmittel mit Aufzahlung oder vollständig privat bezahlt würden“, fassen die Politiker die Patientenbeschwerden zusammen. Vonseiten einiger Krankenkassen, die die Ausschreibungspraxis vorantrieben, zeige sich indes wenig Einsicht.

Berichtet werde, dass einige Krankenkassen auf Kostenübernahmeanträge grundsätzlich zuerst mit Ablehnung reagierten. Das notwendige Widerspruchsverfahren könne sich über drei Monate ziehen, die der Kostenträger gewinne. Patienten müssten hingegen Einbußen in ihrer Versorgungs- und Lebensqualität hinnehmen.

Ein weiteres Problem sei die häufig unzureichende Information der Patienten durch die Krankenkassen. Zwar seien diese verpflichtet, ihren Mitgliedern aktuelle Vertragspartner zu nennen und auf Nachfrage über Vertragsinhalte zu informieren. „In der Praxis zeige sich jedoch, dass manche Krankenkassen dieser Informationspflicht nur sehr schleppend nachkommen“, so die Politiker. Eine Rückmeldung zur Versorgungsqualität sei so für die Versicherten kaum möglich.

Vor zwei Wochen hatte sich der Gesundheitsausschuss des Bundestages in einem Expertengespräch mit dem Thema befasst. Geladen waren Vertreter der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe (BAG Selbsthilfe), der Bundesinnungsverband für Orthopädietechnik (BIV-OT), des Bundesversicherungsamtes (BVA), der DAK-Gesundheit, der Techniker Krankenkasse (TK) und des GKV-Spitzenverbandes.

DAK-Chef Professor Dr. Herbert Rebscher sieht die Ursache für die Probleme im veralteten GKV-Hilfsmittelverzeichnis. „So entsprechen zum Beispiel die derzeit geltenden Qualitätskriterien in der Produktgruppe 15 dem Sachstand aus dem Jahr 1993“, sagte er unlängst. Allerdings seien die Produkt- und Qualitätsanforderungen für die einzelne Kasse nicht verhandelbar. Er setzt auf Selektivverträge, in denen Krankenkassen mit den Leistungserbringern abweichende und höhere Qualitätskriterien vereinbaren dürften.

Daniela Piossek, Hilfsmittelexpertin beim Bundesverband Medizintechnologie (BVMed), kritisierte diese Haltung. Rebscher habe zwar recht, dass Kassen keine höheren Standards anbieten dürften. „Aber er hat die Wahl zwischen einer Ausschreibung und Bekanntmachungsverträgen, denen verschiedene Leistungserbringer beitreten könnten“, sagte sie im Interview mit APOTHEKE ADHOC. „Ich meine, wir sollten weg von Dumpingpreisen und hin zu einem echten Qualitätswettbewerb.“

Die Aktion Inkontinenzhilfe fordert derzeit mit einer Online-Petition eine bedarfsgerechte Versorgung mit Inkontinenzhilfen ohne Aufzahlung. Die Unterzeichner setzen sich dafür ein, dass in Ausschreibungen und Verträgen der Schweregrad der Inkontinenz berücksichtigt wird, damit Patienten nach ihren individuellen Bedürfnissen versorgt werden können. Bislang haben rund 14.000 Personen die Petition gezeichnet, 50.000 müssen es bis zum 11. September noch werden, damit die Petenten in einer Ausschusssitzung angehört werden.

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