AMVSG

Apotheker: Gewinner beim Pharmadialog Lothar Klein, 09.03.2017 17:32 Uhr

Berlin - 

Nach dreijährigem Pharmadialog und langem Tauziehen innerhalb der Regierungskoalition hat der Bundestag das Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz (AMVSG) beschlossen. Nach Ansicht von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) wird damit die Arzneimittelversorgung „zum Nutzen der Patienten weiterentwickelt“. Die Hersteller mussten unter anderem mit dem Preismoratorium einige Kröten schlucken. Die Apotheker gehören mit der Erhöhung ihres Honorars um 100 Millionen Euro zu den Gewinnern. Nach der für den 31. März geplanten Zustimmung des Bundesrates dürfte das AMVSG im April in Kraft treten.

Drei Jahre hatten das Bundesgesundheits-, das Bundeswirtschafts- und das Bundesforschungsministerium mit Herstellern, Gewerkschaften und Vertretern von Wissenschaft über die Sicherung des Pharmastandortes Deutschland beraten. Herausgekommen ist ein Gesetz, das einige Wünsche und Forderungen der Hersteller aufgreift, andere dagegen nicht. Es gibt zwar Erleichterungen bei der Nutzenbewertung von neuen Arzneimitteln. Anderseits wurde die geforderte Vertraulichkeit der Erstattungspreise in letzter Minute dem Koalitionskompromiss geopfert. Im Gegenzug verzichtete die SPD auf ihre Forderung nach einer Umsatzschwelle für neue Arzneimittel im ersten Jahr.

Auf Kritik der Hersteller stößt vor allem die Verlängerung des Preismoratorium bis zum Jahr 2022. Ab 2018 wird eine Preisanpassung entsprechend der Inflationsrate eingeführt. Diesen Eingriff in die unternehmerische Handlungsfreiheit halten die Hersteller für verfassungswidrig. Ob es zu einer Klage gegen das AMVSG kommt, ist hingegen offen.

Zu den Gewinnern des Pharmadialogs zählen die Apotheker: „Sie waren beim Pharmadialog nicht dabei, haben aber am besten abgeschnitten“, heißt es im BMG. Wie für Fertigarzneimittel müssen die Krankenkassen demnächst für Standard-Rezepturen den Fixzuschlag von 8,35 Euro zahlen. Für BtM-Rezepte steigt das Honorar auf 2,91 Euro.

Die Erhöhung des Rezeptur-Honorars summiert sich laut Gesetzentwurf auf 70 Millionen Euro, allerdings inklusive Mehrwertsteuer auf Kassenseite. Die Anhebung des BtM-Honorars von 26 Cent auf 2,91 Euro ergibt in der Summe nochmals rund 30 Millionen Euro. Auf das Rezepturhonorar wird aber der Kassenabschlag von 1,77 Euro fällig. Erfüllt wurden die Forderungen des DAV nach Abschaffung der Ausschreibungen für Zytostatika ebenso wie für Impfstoffe. Nicht erfüllt wurde die Forderung nach dem Aus für die Importquote.

Lauf BMG sollen die Regelungen in ihren wesentlichen Teilen im April 2017 in Kraft treten. Dazu kommentiert Gröhe: „Das Gesetz leistet einen wichtigen Beitrag dazu, dass Arzneimittel mit einem Mehrnutzen schnell den Weg in die Versorgung finden, Antibiotika-Resistenzen und Lieferengpässe bekämpft werden und die Arzneimittelversorgung von Krebskranken weiter verbessert wird.“ Die Entwicklung zukunftsweisender Arzneimittel und neuer Wirkstoffe trage wesentlich zu einer hochwertigen Gesundheitsversorgung in Deutschland bei. Das bewährte Verfahren zur Nutzenbewertung und Preisbildung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen, das im Jahr 2011 durch das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) eingeführt wurde, werde weiterentwickelt.

Das Gesetz enthält laut BMG folgende Schwerpunkte: Die Besonderheiten von Kinderarzneimitteln sollen bei der Nutzenbewertung besser berücksichtigt werden. Bei Antibiotika wird die Resistenzsituation bei der Nutzenbewertung und bei der Festbetragsgruppenbildung einbezogen. Zudem werden die Regelungen zur Erstattung von diagnostischen Verfahren verbessert, um den zielgenauen Einsatz von Antibiotika zu fördern.

Damit den Patienten die Ergebnisse der Nutzenbewertung zugutekommen, werden Ärzte künftig mit einem neuen Informationssystem über ihre Praxissoftware besser über diese Ergebnisse informiert. In begründeten Einzelfällen – wenn es für den Patienten eine wichtige Therapieoption bedeuten kann – ist es möglich, bei der Vereinbarung von Erstattungsbeträgen bei nicht belegtem Zusatznutzen von der Vorgabe abzuweichen, dass der Erstattungsbetrag nicht zu höheren Jahrestherapiekosten führen darf als die wirtschaftlichste Vergleichstherapie.

Die Wartefrist für eine erneute Bewertung des Zusatznutzens auf Grund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse wird verkürzt. Zur Bündelung mehrerer Bewertungsverfahren zu einem Wirkstoff und damit zur Verbesserung der Verfahren bei der Nutzenbewertung und der anschließenden Vereinbarung des Erstattungsbetrages kann auf Antrag eines Herstellers im Einzelfall von der gesetzlichen Frist zur Vorlage der erforderlichen Nachweise zur Nutzenbewertung abgesehen werden. Gilt ein Zusatznutzen als nicht belegt, weil der Hersteller trotz Aufforderung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) die erforderlichen Unterlagen nicht rechtzeitig oder nicht vollständig eingereicht hat, ist künftig ein angemessener Abschlag auf den Erstattungsbetrag zu vereinbaren.

Um Lieferengpässe bei der Arzneimittelversorgung in Kliniken zu vermeiden, wird eine Meldepflicht für die Hersteller bei absehbaren Problemen eingeführt. Kliniken können von Lieferengpässen bedrohte Arzneimittel für mehr als 14 Tage durch Importe bevorraten.

Der GKV-Spitzenverband sieht das AMVSG positiv: „Das ist eine überaus positive Entscheidung des Gesetzgebers. Die Einführung von Geheimpreisen hätte lediglich den Gewinninteressen der Pharmaindustrie gedient. Gut, dass dieses Instrument zur Industrieförderung mit Beitragsgeldern nun doch nicht kommt! Richtig ist auch, dass die Ärzte wissen, welche neuen Arzneimittel wirklich besser sind. Nur dann können sie ihre Patienten gut versorgen. Deshalb kann sich das Praxisinformationssystem zu einem Meilenstein für die bessere Patientenversorgung entwickeln“, so Johann-Magnus von Stackelberg, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des GKV-Spitzenverbandes.

Nicht gefällt dem Kassenverband die Streichung der Umsatzschwelle. Auch mit dem Streichen der Rabattverträge für Impfstoffe sei die Politik der Pharmaindustrie entgegen gekommen und habe den Krankenkassen ein Instrument genommen, für mehr Wirtschaftlichkeit in der Versorgung zu sorgen.

Das Fazit des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie (BPI) fällt ernüchternd aus. „Das Arzneimittelgesetz bleibt weit hinter den Notwendigkeiten zurück, die im Pharmadialog klar benannt wurden“, so der Vorstandsvorsitzende Dr. Martin Zentgraf. Statt den überaus komfortablen finanziellen Gestaltungsspielraum der gesetzlichen Krankenversicherung für echte Reformen zu nutzen, werde weiter an der falschen Stelle gespart: Das Preismoratorium wird verlängert, zur verbindlichen Mehrfachvergabe für Rabattarzneimittel fehlte der Mut und mit dem Arztinformationssystem werde im Sinne der Krankenkassen das Fundament für ein kostenorientiertes Verordnungssteuerungssystem geschaffen. „Das Gesetz ist inkonsequent und beliebig aber kein Gesamtkunstwerk à la van Gröhe, das die Gesundheitsversorgung nachhaltig gestaltet“, so Zentgraf.

Der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) freut sich über die Neuregelung bei Kinderarzneimitteln, kritisiert aber die erneute Verlängerung des Preismoratoriums als „im hohen Maße mittelstandsfeindlich und schädlich für den Pharmastandort Deutschland“. „Angesichts der guten Finanzsituation der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ist das Preismoratorium in keiner Weise gerechtfertigt und gehört abgeschafft“, so Hauptgeschäftsführer Dr. Martin Weiser.

Bork Bretthauer, Geschäftsführer von Pro Generika, kritisiert, dass mit dem AMVSG der Preis- und Kostendruck, der ohnehin bereits auf Generika laste, weiter verstärkt werde. „Der Kostendruck ist jedoch eine bei Experten längst anerkannte Ursache für das Auftreten von Arzneimittelengpässen. Das AMVSG verfehlt hier klar das Ziel, Engpässen ursächlich zu begegnen und Leitplanken für Versorgungssicherheit einzuziehen.“

Er kritisiert die Einführung von Rabattverträgen für Krebsmedikamente, den Verzicht auf die Mehrfachvergabe bei Rabattverträgen für Generika und die Verlängerung des Preismoratoriums bis 2022: „Unter dem Strich wird das Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz seinem Namen nicht gerecht. Es verfehlt das Ziel, die Versorgungssicherheit in Deutschland zu stärken“, so Bretthauer.