Positionspapier

BDI: Lieferengpass = Rabattsperre

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Berlin -

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) hat erstmalig ein Grundsatzprogramm zur Weiterentwicklung der Gesundheitswirtschaft am Standort Deutschland in Europa vorgelegt. Darin geht es auch um die Arzneimittelversorgung und um Video-Sprechstunden.

Seit März 2020 zeige sich, wie schnell das Thema Gesundheit zum absoluten Mittelpunkt des politischen und wirtschaftlichen Handelns werden könne. Der Gesundheitswirtschaft müsse daher endlich der Stellenwert eingeräumt werden, der ihrer faktischen Bedeutung für die Gesellschaft entspreche. „Das Verständnis von Gesundheit als ‚Kostentreiber‘ des Sozialwesens ist überholt: Vielmehr müssen diese Ausgaben als Investitionen in unsere Gesundheit gesehen werden. Sie schaffen einen Mehrwert für das individuelle Wohlergehen und sind das Rückgrat einer stabilen Wirtschaft und unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens“, heißt es in dem Papier. „Dieser Sinneswandel ist notwendig, damit die Investitionen in Gesundheit auch in Zukunft am deutschen Standort und nicht vor dem Hintergrund des harten internationalen Wettbewerbs auf den Weltmärkten immer häufiger außerhalb von Deutschland beziehungsweise Europa erfolgen.“

Das Strategiepapier analysiert 20 Standortfaktoren aus den Bereichen Versorgungssicherheit, Innovation und Forschung, Digitalisierung sowie ökonomisch-ökologische Rahmenbedingungen. Insgesamt werden mehr als 180 Handlungsempfehlungen an die Bundes-, Landes- sowie EU-Ebene adressiert.

Im Bereich der Arzneimittel wird gefordert, dass Präparate, die über zwei Jahre hinweg mehrfach ein Versorgungsdefizit aufgewiesen haben, für die Dauer von zwei bis drei Jahren nicht mehr ausgeschrieben werden dürfen. Zur Vermeidung von Versorgungsengpässen in ärmeren Ländern sowie von Fälschungsanreizen müsse die Importquote abgeschafft werden.

Grundsätzlich müsse auf eine Diversifizierung der Lieferketten geachtet werden. Die Rahmenbedingungen in Deutschland beziehungsweise Europa müssen so gestaltet sein, dass es für Unternehmen attraktiv werde, ihre Produktionskapazitäten nach Europa zu verlagern beziehungsweise hier zu belassen.

Der Marktzugang für neue Arzneimittel müsse erleichtert werden. Statt bürokratischer Einzelfallprüfungen der Krankenkassen – Stichwort: Nutzenbewertung – sollten mit Markteintritt innovativer Arzneimittel extrabudgetäre Zusatzentgelte für Krankenhäuser festgelegt werden, die Finanzierungssicherheit schaffen. Gefordert wird ein europaweit einheitliches Bewertungsverfahren der Studienevidenz zu Arzneimitteln.

Außerdem müsse im Bereich der Versorgung die Digitalisierung gefördert werden. Die Corona-Krise habe gezeigt, dass das deutsche Gesundheitssystemin vielen Bereichen Nachholbedarf habe. In der Pandemie seien viele Widerstände gebrochen worden: „Viele digitale Anwendungen, die bisher an Bedenken, mangelnder Überzeugung und fehlendem digitalem Enthusiasmus sowie fehlenden Erstattungsmöglichkeiten scheiterten, wurden aufgrund der Pandemie zur neuen Normalität“, so der BDI.

So seien die Zugriffszahlen von digitalen Angeboten stark gestiegen. Logopädie per App, Hebammenberatung über Chat, elektronische Krankschreibungen oder die Videosprechstunde hätten deutlich an Nutzern gewonnen. So sei die Zahl der niedergelassenen Ärzte mit entsprechendem Angebot von etwa 1500 im Januar 2020 auf über 100.000 im Mai 2020 gestiegen. Laut Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) seien vom 4. März bis zum 30. Juni insgesamt rund 1,2 Millionen Videosprechstunden abgehalten – im Vergleichszeitraum des Vorjahres seien es lediglich 583 gewesen. „Die Erfahrungen waren derart positiv, dass sich viele Mediziner wünschen, die grundsätzlich bestehende 20-Prozent-Begrenzung bei Fallzahl und Leistungsmenge für Videosprechstunden dauerhaft auszuweiten.“

Gerade im stationären Bereich fehle die für eine Digitalisierung benötigte Infrastruktur. Wenn der Pfad der Digitalisierung konsequent beschritten werde, ließen sich aber viele weitere Anwendungen finden. „Entscheidend hierbei sind Daten. Dabei gilt: Je mehr Daten qualitativ hochwertig nutzbar sind, desto größer ist der Gewinn für Forschung und Entwicklung sowie Diagnose und Thera-pieentscheidungen“, so der BDI. In Europa gebe es dafür jedoch hohe Hürden, allen voran den Datenschutz. „Für die Medizin von morgen brauchen wir mehr Mut zur Digitalisierung. Wir brauchen mehr Vernetzung und funktionierende Schnittstellen, um strukturierte, qualitativ hochwertige Datensätze verknüpfen zu können.“ Dafür brauche es eine größere Akzeptanz; hier sei die Branche gefordert: „Die industrielle Gesundheitswirtschaft muss, als die mit Abstand treibende Kraft der medizinischen Forschung, deutlich machen, dass wir mit diesen Daten verantwortungsvoll umgehen, Erkenntnisse aus diesen gesammelt zur Verfügung stehenden Daten zügig in die Anwendung und damit zum Patientenbringen können und dadurch zu einer signifikanten Verbesserung in der Gesundheitsversorgung beitragen.“

 

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