Kinderarzneimittel

BAH: Was darf die Erdbeere kosten? Patrick Hollstein, 19.05.2015 15:35 Uhr

Berlin - 

Erdbeer- statt Bananengeschmack, Saft statt Tablette: Welche Weiterentwicklungen von Arzneimitteln sind nützlich und was darf der Unterschied in Euro und Cent mehr kosten? In dieser Frage sind Ärzte, Apotheker und Hersteller auf der einen sowie Politik und Kassen auf der anderen Seite gespalten. Der Bundesverband der Arzneimittelhersteller (BAH) will wenigstens für Kinderarzneimittel einen Sonderstatus durchsetzen. Ein kleiner Erfolg zeichnet sich ab.

Dass für neuartige Wirkstoffe nach geltender Rechtslage an der Nutzenbewertung kein Weg vorbei führt, kann man beim BAH verstehen. Doch bei gezielten Weiterentwicklungen nicht mehr patentgeschützter Wirkstoffe für die Anwendung bei Kindern (Pediatric Use Marketing Authorization, PUMA) werden aus Sicht von Dr. Markus Rudolph (Infectopharm) die Anreize, die auf europäischer Ebene gesetzt werden, ausgehebelt.

Denn schon bei der Planung der Studien werde eng mit dem Paediatric Committee (PDCO) der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) zusammengearbeitet, so Rudolph, der auch Vorsitzender der Initiative Arzneimittel für Kinder (IKAM) ist. Eine PUMA-Zulassung inklusive zehnjähriger Marktexklusivität werde nur dann erteilt, wenn der Nutzen für die Patientengruppe nachgewiesen sei.

Dass sich PUMA-Arzneimittel dann erneut der Bewertung durch G-BA und IQWiG stellen müssten, sei kontraproduktiv. „Teilweise werden wir dann mit Fragen zu Studien konfrontiert, die wir gar nicht durchführen durften“, so Rudolph. Als Qualitätssiegel sieht er ein positives Votum nicht, denn im Zweifelsfall gelte das nur für Subgruppen, wie bei Hemangiol (Propranolol, Pierre Fabre). Und eine Garantie, dass kein preiswertes Generikum off-label eingesetzt werde, gebe es auch nicht.

Aus Sicht des BAH sollte der Zusatznutzen bei Kinderarzneimitteln grundsätzlich als belegt angesehen werden, wenn diese das gesonderte Zulassungsverfahren erfolgreich abgeschlossen haben. Ähnliche Forderungen – automatischer Zusatznutzen, Substitutions- und Rezepturverbot – hat auch der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) bereits vorgetragen.

Bei einer Diskussionsveranstaltung in Berlin gab es jetzt erstmals Signale aus der Politik, dass diese Idee aufgegriffen werde könnte. Die Debatte über PUMA-Medikamente sei berechtigt, sagte Joachim Becker, Leiter der Unterabteilung Krankenversicherung im Bundesgesundheitsministerium (BMG). Auch der CDU-Gesundheitsexperte Michael Hennrich kann sich vorstellen, hier einen ähnlichen Weg wie bei den Orphan drugs zu gehen.

Für den BAH wäre dies zwar mehr als ein „halber Erfolg“, aber beileibe nicht genug: PUMA-Arzneimittel machten im pädiatrischen Bereich vielleicht 2 Prozent aus, sagte BAH-Hauptgeschäftsführer Dr. Martin Weiser. Der Bestandsmarkt, aber auch kleinere Weiterentwicklungen würden nach wie vor abgestraft – beispielsweise durch undifferenzierte Festbetragsgruppen.

Lutz Boden, Leiter des Berliner Büros des BAH, erklärte, dass Kinderarzneimittel innerhalb der Festbetragsgruppen eine so kleine Rolle spielten, dass sie bei der Preisbildung gar nicht berücksichtigt werden könnten. „Hier wird alles über einen Kamm geschert.“

Laut Rudolph sind Säfte oder spezielle Dosierungen für Kinder in der Herstellung teurer als die klassische Tablette – und für die Hersteller im Festbetragssystem daher allzu oft unattraktiv. „Dabei kann gerade ein kaschierter Geschmack therapeutische Relevanz haben, indem so die Compliance gefördert wird.“ Spielraum für Schrittinnovationen gebe es aber nicht.

„Sie müssen ja kein Geld obendrauf legen, Sie müssen die Festbeträge weiterentwickeln, sodass Medikamente für Kinder beispielsweise als separate Gruppe berücksichtigt werden“, forderte Weiser von der Politik.

Professor Dr. Volker Möws, Politikchef der Techniker Krankenkasse (TK), konterte, dass sich erfolgreiche Produkte am Markt auch ohne Aufschlag durchsetzen könnten – Ärzte könnten ja das Aut-idem-Kreuz setzen und Apotheker pharmazeutische Bedenken geltend machen. „Wir wollen nicht an einem Schräubchen drehen, das sich hinterher als Schraube herausstellt.“

Auch Hennrich ist nicht bereit, dass die Festbeträge als erfolgreiches Sparinstrument „durch die Hintertür“ angegriffen werden. Er sieht auch keinen Bedarf, denn innerhalb des Systems gebe es für die Selbstverwaltung genügend Spielraum, um auch Schrittinnovationen und deren Effekt auf die Compliance abzubilden.