BMG-Datenaffäre

Arbeitsrecht als Diebstahlschutz

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Berlin -

Der „Datenklau“-Prozess treibt weiter ohne erkennbares Ziel dahin: Das Landgericht Berlin will die Ex-Gesundheitsminister Daniel Bahr und Philipp Rösler (beide FDP) nicht als Zeugen hören, klammert aber einen weiteren Anklagefall nunmehr aus. Obwohl seit Monaten nichts Substanzielles mehr geschehen ist, hat das Gericht bis Ende Januar weitere Verhandlungstermine angesetzt.

Wie bereits angekündigt, stutzt das Gericht das Verfahren weiter zusammen. Die Staatsanwaltschaft ließ sich dazu den Antrag in den Mund legen, einen weiteren der ursprünglich 40 angeklagten Fall gemäß § 154 Abs. 2 Strafprozessordnung einzustellen. In den beiden einzigen verbliebenen Fällen soll zudem von einer Verfolgung etwaiger Verstöße gegen das Bundesdatenschutzgesetz abgesehen werden. Gleichwohl behält sich das Gericht vor, die Fälle im Falle einer Verurteilung bei der Strafzumessung gegebenenfalls zu berücksichtigen.

Die Verteidigung hat das verschiedentlich kritisiert, da weder die polizeilichen Ermittler noch die Staatsanwaltschaft konkretisieren konnten, worum es in den Fällen jeweils überhaupt ging. Allgemein steht weiterhin nur der Vorwurf im Raum, der ehemalige IT-Administrator im BMG, Christoph H., habe E-Mails aus dem Ministerium kopiert und an Thomas Bellartz verkauft.

Dessen Verteidiger Professor Dr. Carsten Wegner wies am heutigen 28. Verhandlungstag zum wiederholten Male darauf hin, dass bei seinem Mandanten keine einzige E-Mail gefunden worden sei. Das Verfahren sei ein „Schleiertanz, wobei wir nicht wissen, was hinter dem Schleier ist“. Denn es sei gar nicht benannt, welche Mails gestohlen worden sein sollen. Da im BMG mittlerweile alle entsprechenden Informationen gelöscht sind, sei auch nicht mit weiteren Erkenntnissen zu rechnen.

Wegner hatte beantragt, dass Rösler und Bahr vor Gericht bestätigen, dass dem BMG gar kein Schaden entstanden ist. Das Gericht hält dies nicht für notwendig, da es auf etwaige weitere Schäden neben der bloßen Schutzgutverletzung – dem vermuteten Diebstahl – bei der Schuldfrage voraussichtlich nicht ankomme. Dass das Ministerium nie selbst rechtlich gegen Bellartz vorgegangen ist, spielt aus Sicht der Richter ebenfalls keine Rolle.

Verzichten will die Kammer auch auf die von der Verteidigung gewünschte Bestätigung von Bahr und Rösler, dass der technische Zugriff eine Ausnutzung interner Üblichkeiten gewesen sei. Denn ein bereits als Zeuge vernommener IT-Mitarbeiter des Ministeriums habe bereits bestätigt, dass er und seine Kollegen „auf dienstliche Veranlassung hin“ auf E-Mail-Postfächer zugreifen durften. Diese Formulierung im heute ergangenen Beschluss könnte auf darauf hindeuten, dass das Gericht einen Diebstahl über den Umweg des Arbeitsrechts herleiten möchte. Inwiefern es seitens des Ministeriums „Vernachlässigungen“ gab, will die Kammer in ihrer Schlussberatung würdigen.

Verteidiger Wegner machte anschließend darauf aufmerksam, dass die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren wegen der illegalen Weitergabe der Anklageschrift eingestellt hat. Zwar teilt die Behörde den Verdacht, dass die Anklageschrift Vertretern der Presse noch vor Verlesung im Detail bekannt war. Sie sieht sich aber offenbar außerstande zu ermitteln, wer das war. Die Akte sei schließlich so oft zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und LKA hin und her geschickt worden, dass „eine Vielzahl namentlich nicht benannter und heute auch schlichtweg nicht mehr ermittelbarer Personen“ Zugriff darauf gehabt hätten.

Wegner: „Die Strafverfolgungsbehörden habe die Daten betreffend die Angeklagten und die dies dokumentierenden Verfahrensakten nicht im Griff.“ Das Gericht habe dennoch hierzu keine Zeugen geladen. Wenn es um die Aufklärung interner Abläufe gehe, „schiebt man, trödelt man, lässt Löschungsfristen verstreichen“, monierte Wegner. Er sieht eine Ungleichbehandlung: Während das Ermittlungsverfahren gegen Durchstechereien in den eigenen Reihen eingestellt werde, hätten weder Staatsanwaltschaft noch Gericht konkretisiert, welche Daten aus dem BMG bei Bellartz gefunden worden sein sollen. „Gleichwohl wird das Strafverfahren aber nicht eingestellt“, so Wegner.

Der Verteidiger würde gern mehrere Ex-Sprecher des Ministeriums, Klaus Vater, Christian Lipicki und Christian Albrecht, als Zeugen hören. Sie sollen bestätigen, dass immer wieder Informationen aus dem Ministerium gezielt an Vertreter der Presse weitergegeben wurden – und zwar unabgesprochen mit dem jeweils zuständigen Sachbearbeiter im BMG, sondern aus politischer Opportunität und auf Weisung der Hausleitung. Um eine allgemeine journalistische Öffentlichkeit sei es dem Ministerium nämlich nicht gegangen, vermutet Wegner.

Bislang hat das Gericht allerdings keinen einzigen Zeugen geladen, der von der Verteidigung vorgeschlagen wurde. Insofern ist auch hier zu erwarten, dass das Gericht die Aussagen der Ex-Sprecher für nicht relevant für die Schuldfrage stellt und den Antrag in der nächsten Sitzung ablehnt. Und so dreht sich das Verfahren weiter im Kreis, am 15. November wird erneut verhandelt.

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