Arzneimittelmissbrauch

Apotheker fordern OTC-Preisuntergrenze

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Berlin -

Arzneimittelmissbrauch wird von der Gesellschaft akzeptiert: Die Einnahme von Arzneimitteln ohne medizinische Notwendigkeit stößt bei 60 Prozent der etwa 5000 Teilnehmer einer Forsa-Umfrage auf Akzeptanz – wenn auch mit Einschränkung. Das Ergebnis ist alarmierend, denn etwa 1,5 Millionen Deutsche sind bereits abhängig.

Die Bundesapothekerkammer (BAK) ließ 5008 Bundesbürger zwischen 16 und 70 Jahren online zum Thema Arzneimittelmissbrauch befragen. Die Ergebnisse wurden auf dem Symposium Arzneimittelmissbrauch in Berlin veröffentlicht. 97 Prozent der Befragten wissen, dass Arzneimittel auch ohne medizinische Notwendigkeit eingenommen werden können, um das Wohlbefinden zu steigern. 60 Prozent akzeptieren diesen Gebrauch beispielsweise zur Steigerung der geistigen Leistungsfähigkeit (45 Prozent), der Reduktion von Angst und Nervosität oder um die Stimmung zu verbessern (40 Prozent). Auch die Steigerung der körperlichen Leistungsfähigkeit ist eine Option (27 Prozent), genauso wie Flug- oder Prüfungsangst, ein Trauerfall oder Winterblues.

30 Prozent gaben an, schon einmal ein freiverkäufliches Arzneimittel ohne medizinischen Grund eingenommen zu haben – davon 9 Prozent, um besser auszusehen, und 5 Prozent für eine bessere körperliche Leistungsfähigkeit. Bekannt ist in diesem Fall der Einsatz von Ibuprofen bei Marathonläufen. Etwa jeder Zweite (43 Prozent) akzeptiert die Einnahme von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln ohne medizinische Notwendigkeit: 17 Prozent haben dies bereits getan und für 26 Prozent käme der Einsatz in Frage. Mit 13 Prozent steht hier die Verbesserung der Stimmung im Vordergrund. Rx-Medikamente wurden von 11 Prozent der Nutzer ohne medizinische Notwendigkeit illegal im Internet erworben – das entspricht 2 Prozent aller Befragten. 6 Prozent hatten das Arzneimittel von Freunden oder Verwandten erhalten.

Für BAK-Präsident Dr. Andreas Kiefer sind die Ergebnisse „erschreckend“. „Arzneimittel ohne medizinische Notwendigkeit einzunehmen, ist keine Lappalie.“ Die Nachfrage „gesunder“ Kunden nach Arzneimitteln nimmt laut Kiefer zu. Gefragt sei „irgendwas zur Beruhigung“ oder gegen den Stress am Arbeitsplatz. Kunden hätten den „paradiesischen Gedanken, jede Situation mit Arzneimitteln meistern zu können“, so Kiefer. Außerdem stellt der Apotheker die Frage: „Gibt es einem Zwang zur Selbstoptimierung?“

Kiefer sieht Arzneimittel als Vertrauens- und nicht Verbrauchsmittel. Sie sind Waren der besonderen Art und sollten mit Expertenrat eingesetzt werden, dies könne nur eine Apotheke vor Ort leisten. Denn die Lücke zwischen Expertenwissen und Allgemeinwissen klaffe trotz Internet immer weiter auseinander. Apotheker müssten zudem einen Fehl- und Mehrgebrauch verhindern. Denn Hirndoping ersetze das Denken nicht.

Auch die Werbung war Thema auf dem Symposium. Arzneimittel würden verharmlost und trivialisiert und die Not der Menschen ausgenutzt, da der Wunsch, wieder funktionieren zu können, getriggert werde. Kiefer stimmt für eine Einschränkung der Werbung. Auch Warnhinweise für Arzneimittel mit Missbrauchspotential wäre möglich. Professor Dr. Martin Schulz, ABDA-Geschäftsführer Pharmazie und Vorsitzender der Arzneimittelkommission (AMK), setzt hingegen auf Aufklärung und Kommunikation. Er verweist auf das Werbeverbot für Analgetika in der damaligen DDR – dennoch war der Verbrauch höher als in der BRD. Schulz hält hingegen die freie Kalkulation von OTC-Arzneimitteln für den größten Fehler, denn geringe Preise förderten Missbrauch. Kiefer hält eine Preisuntergrenze als geeignetes Mittel gegen das Preisdumping.

In Deutschland gibt es laut Schulz etwa 1,5 Millionen Arzneimittelabhängige. Davon sind etwa 1,2 Millionen von Benzodiazepinen und Z-Substanzen abhängig. Etwa 40 Prozent der Verordnungen bei gesetzlich Versicherten werden als Privatrezept ausgestellt, daher fehlen Statistiken. Normalerweise sind die Arzneistoffen bei bestimmten Indikationen erstattungsfähig. Insgesamt können laut Schulz etwa 5 Prozent aller Verordnungen ein Missbrauchs- beziehungsweise Abhängigkeitspotential zugeschrieben werden. Im März ist daher der BAK-Leitfaden „Arzneimittelmissbrauch“ erschienen.

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