„Versender werden die Verlierer sein“

Apothekenumsatz: 50 Prozent über Plattformen

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Berlin -

Die für 2020 geplante Einführung des E-Rezepts wird den Apothekenmarkt umkrempeln: „Das E-Rezept ist der Game-Changer“, sagte Andreas Arntzen, CEO des Wort & Bild-Verlages und Mitgründer der Initiative Pro Apotheke vor Ort (Pro AvO) im Gespräch mit APOTHEKE ADHOC. Dr. Hermann Sommer, Chef der Noventi-Gruppe, rechnet sogar damit, dass künftig mindestens die Hälfte des Apothekenumsatzes über den digitalen Bestellweg kommt: „Ich sage jetzt einfach mal 50 Prozent. Außerdem werden die ausländischen Versandapotheken die Verlierer der Digitalisierung sein und die Apotheken, die nicht mitmachen“, so Sommer.

Auf der Expopharm will Pro AvO ihre digitale Bestellplattform für das E-Rezept und OTC-Präparate in groben Zügen präsentieren. An der bundesweiten Branchenlösung für Apotheken und Kunden sind BD Rowa, Gehe, Noventi, Sanacorp sowie Wort & Bild beteiligt. Sommer kündigte an, dass sich in Kürze ein weiterer Partner der Initiative anschließen werde. „Wir stehen für weitere Partner offen“, so Sommer. Noch nicht vorstellen will Pro AvO auf der Expopharm allerdings den Namen der Bestellplattform. „Wir wollen die Marke nicht verbrennen“, begründete Arntzen die Zurückhaltung: „Wer zu früh auf dem Markt ist und keinen Nutzen für die Anwender liefern kann, schafft nur Enttäuschungen.“ Derzeit gebe es keinen sichtbaren Bedarf: „Niemand braucht aktuell eine isolierte Vorbestellplattform!“

Wann der richtige Zeitpunkt sein wird, um mit dem Namen in die Vermarktung zu starten, ließen Arntzen, Sommer und Gehe-Chef Dr. Peter Schreiner offen. Dann soll es aber eine bundesweite Medienoffensive geben, die der Wort & Bild-Verlag mit der Apotheken Umschau anführen wird. Arntzen: „Wir haben jeden Monat 30 Millionen Kundenkontakte mit der Apotheken Umschau. Mit TV und Radio-Werbung erreichen wir 50 Millionen Menschen.“ Daher ist pro AvO überzeugt, den Apothekenmarkt mit seiner Bestellplattform aufrollen zu können. „Mit dem Potenzial der Gesellschafter von Pro AvO kann sonst niemand im Markt aufwarten.“

Dem DAV isoliert mit seiner Patienten-App traut man bei Pro AvO die Marktführerschaft nicht zu: „Wir haben über Jahrzehnte mit VSA und jetzt Noventi unser Netzwerk mit 10.500 Apotheken, der im Hintergrund arbeitenden Technik und Software mit Millionen Euro Investitionen aufgebaut. Das kann der DAV nicht rechtzeitig aufholen. Allerdings sind wir bereit, unsere Technologie auch zur Unterstützung des DAV mit einzubringen“, so Sommer. Aus einem Verband heraus sei auch keine disruptive Lösung zu erwarten.

Allein Noventi pflegt nach eigenen Angaben mit 10.500 Apotheken eine Geschäftsbeziehung, etwa 7000 davon nutzen ein Warenwirtschaftssystem von Awinta. Die „Big Five“ haben zwar noch nicht analysiert, wie groß genau die Schnittmenge der Mitglieder ist, aber es sei wahrscheinlich, dass jede Apotheke in Deutschland mit mindestens einem der Partner zusammenarbeite, so Arntzen.

Größere Sorgen macht man sich bei Pro AvO über finanzstarke Investoren. „Der deutsche Apothekenmarkt ist sehr attraktiv.“ Bereits im Umfeld der Expopharm seien Ankündigungen nicht auszuschließen. Großinvestoren mit „Einkaufslisten“ seien unterwegs, sagte Sommer. „In den nächsten zwei Jahren werden wir da etwas sehen.“ Auch Player aus dem deutschen Gesundheitsmarkt dächten über den Einstieg in den Apothekenmarkt nach. Solchen Angriffen von außen wolle Pro AvO zuvorkommen.

Keine großen Erfolgschancen räumen die „Big Five“ den Versandapotheken mit der Einführung des E-Rezepts ein. Große Erwartungen auf stark steigende Rx-Anteile seien „nach wie vor eine Wette“. „Ich würde derzeit keine Aktien kaufen“, so Arntzen. „Nur wenn ihnen nichts aus dem Apothekenmarkt heraus entgegengesetzt wird, wird die Wette vielleicht aufgehen.“ Pro AvO setzt darauf, dass das Angebot die deutschen Apothekenkunden überzeugt und sich gegen die inländische wie ausländische Konkurrenz durchsetzen wird. „Wir haben unser Angebot auf die Bedürfnisse der Kunden ausgerichtet“, so Arntzen. Dazu wurden von Pro AvO umfangreiche Kundenbefragungen und -analysen durchgeführt.

Bei Pro AvO gibt es schon konkrete Vorstellungen, was die Plattform können wird: Die Auswahl einer einzelnen Apotheke oder die Einrichtung einer Stammapotheke sollen genauso möglich sein wie Verfügbarkeitsabfragen, ob ein Medikament sofort, in zwei bis drei Stunden oder erst morgen da ist. Bei 20 Prozent Artikeln, die nicht an Lager seien, sei das absolut essenziell, so Gehe-Chef Schreiner. Auch Lösungen zur Chronikerversorgung und der Medikationsplanung sollen integriert werden. Zudem werde eine sichere Chat-Funktion integriert. Ebenfalls vorgesehen ist ein OTC-Preisvergleich.

Außerdem müsse es eine Möglichkeit geben, zwischen verschiedenen Bezahloptionen zu wählen und die Bezahlung vorab abzuwickeln: „Niemand möchte beim Abholen noch bezahlen müssen“, so Arntzen. Dass die Apotheken dann nicht mehr vor dem Verkauf be- beziehungsweise abraten können, sieht Sommer nicht als Problem: Das Angebot sei immer noch besser als der Versandhandel, wo Kunden in der Regel völlig alleine gelassen würden. Bei der Abholung in der Offizin sei die Möglichkeit zur Beratung ein entscheidender Vorteil. Negative Rückmeldungen dazu habe es auch noch nicht gegeben.

Die von Pro AvO mehrfach ins Gespräch gebrachte einheitliche Branchenlösung für eine Handelsplattform ist laut Arntzen „auf einem sehr guten Weg“. Am Ende werde sich im Wettbewerb eine Lösung durchsetzen. „Bei Pro AvO bestimmt der Kunde, was er wann und wo haben möchte, und das System zeigt ihm, welche Apotheke das bieten kann.“ Um bei Pro AvO mitmachen zu könne, benötigen die Apotheken einen Webshop. Wenn Apotheken bereits einen anderen Webshop wie CallmyApo von Noventi, Mea von Sanacorp oder Gesund-Leben von Gehe haben, könne dieser problemlos an die neue Plattform angedockt werden. Mit anderen Warenwirtschaftsanbietern ist man laut Sommer „aussichtsreich“ im Gespräch. Er ist zuversichtlich, dass eine gemeinsame Schnittstelle analog zu FiveRx möglich ist: „Ich glaube nicht, dass ein Anbieter seinen Kunden sagen kann: ‚Das machen wir nicht.‘“

Bis zum E-Rezept-Startschuss irgendwann in der Mitte des Jahres 2020 sollten sich Apotheken mit einem dieser Shops in die Digitalisierung einarbeiten. „Wenn wir unsere Lösung dann freischalten, gibt es eine gemeinsame Plattform, mit der Kunden auf alle angeschlossenen Apotheken zugreifen können. Das ist vergleichbar mit booking.com in der Hotelbranche“, so Arntzen. Ob und was das „Apotheken-booking.com“ von Pro AvO einmal kosten wird, ließ Sommer offen: „Aber irgendwie müssen die Investitionen bezahlt werden.“ Arntzen fügte aber hinzu, dass aus der Plattform heraus Erlösmodelle entstehen könnten, an die heute noch niemand denke: „Das war bislang in allen Branchen so.“

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